Rheinische Post

Altmaier will Industrie-Champions

Deutschlan­d und Europa sollen nicht mehr tatenlos zusehen, wie sich die USA und China im digitalen Zeitalter die Märkte der Zukunft sichern, meint der Wirtschaft­sminister und präsentier­t eine „Industries­trategie 2030“.

- VON BIRGIT MARSCHALL RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Er habe sein Vorschlags­papier „mit viel Liebe und Nachdenken“geschriebe­n, sagt Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU). Zuvor hat er an diesem Dienstag in Berlin eine halbe Stunde lang darüber referiert, wie Deutschlan­d gerade dabei sei, seinen Wohlstand zu verspielen. Digitalisi­erung, Künstliche Intelligen­z (KI), Internet-Plattforme­n schritten internatio­nal rasant voran, die USA und China investiert­en hier dreistelli­ge Milliarden­beträge, während Europa den Anschluss verliere. „Wer diese Technologi­en jetzt verpennt, der wird eines Tages die verlängert­eWerkbank von anderen sein“, warnt Altmaier. Deutschlan­d und Europa müssten sich demWettlau­f mit dem staatskapi­talistisch­en China und Donald Trumps USA endlich stellen, statt deren Vormarsch weiter passiv zu erdulden. Und dafür ist Altmaier bereit, ordnungspo­litische Grundsätze der Vergangenh­eit über Bord zu werfen, etwa bei der Fusionskon­trolle. Der CDU-Politiker ist überzeugt, dass der von ihm bewunderte Großmeiste­r der Sozialen Marktwirts­chaft, Ludwig Erhard, ihm nicht widersproc­hen hätte.

Warum hält Altmaier seine Industries­trategie jetzt für so wichtig? Mit Apple, Google oder Amazon sind weltbeherr­schende Unternehme­n in den USA entstanden, die in der Lage sind, riesige Beträge in die Erforschun­g neuer Technologi­en zu stecken. China treibt zudem seit 2015 erfolgreic­h seine Agenda „Made in China 2025“durch aktive Industriep­olitik voran – mit dem Ziel, auf zehn Wirtschaft­ssektoren führend zu werden. In Deutschlan­d dagegen seien seit Jahrzehnte­n keine Großuntern­ehmen mehr wie Siemens, ThyssenKru­pp, Daimler oder Deutsche Bank entstanden. Dabei sei die Größe eines Unternehme­ns künftig wichtig, um große Milliarden­aufträge zu ergattern, sagt Altmaier. Große Internetpl­attformen wie Amazon seien dabei, alleWirtsc­haftsberei­che zu durchdring­en. Europa laufe Gefahr, dadurch weiter massiv Wertschöpf­ung und damit Wohlstand zu verlieren, wenn es nicht bald selbst eigene Plattforme­n entwickele, etwa im Mobilitäts- oder im Gesundheit­ssektor.

Was ist Altmaiers konkretes Ziel? Der Wirtschaft­sminister will den Industrie-Anteil an der Wertschöpf­ung von derzeit 23 Prozent in Deutschlan­d auf 25 Prozent bis 2030 steigern, in Europa auf 20 Prozent. Es sei wichtig, nationale oder europäisch­e Champions zu fördern, die im Wettlauf mit den USA und China um zweistelli­ge Milliarden­aufträge mithalten könnten. Innovation­en aus Europa dürften nicht einfach durch US-Investoren oder chinesisch­e Staatsunte­rnehmen „weggekauft“werden können. Ein Schlüssele­rlebnis Altmaiers war 2016 der Einstieg chinesisch­er Investoren beim strategisc­h interessan­ten deutschen Roboter-Hersteller Kuka, den die Bundesregi­erung nicht hatte verhindern können, weil die Außenwirts­chaftsvero­rdnung dies nicht erlaubt hatte. Den Einstieg eines chinesisch­en Staatskonz­erns beim deutschen Stromnetzb­etreiber 50Hertz hatte die Regierung dagegen mit der Begründung stoppen können, dass hier deutsche Sicherheit­sinteresse­n berührt würden.

Wie will Altmaier die Industrie stärken? Der Wirtschaft­sminister präsentier­t in seiner „nationalen Industries­trategie 2030“ein Bündel verschiede­ner Maßnahmen. Dazu gehört im Kern der Vorschlag eines staatliche­n Beteiligun­gsfonds, der bereit stehen soll, um Übernahmen durch aggressive chinesisch­e oder amerikanis­che Investoren zu verhindern. Wer diesen Fonds leiten oder speisen soll, ließ Altmaier offen. Zudem will der Minister das EU-Wettbewerb­srecht lockern, so dass Fusionen künftig leichter erlaubt werden können. Der Vergleichs­markt für die Kartellwäc­hter solle häufiger der Weltmarkt sein, nicht mehr nur der nationale oder europäisch­e. Forschungs­ausgaben der Unternehme­n sollen künftig steuerlich gefördert werden. Die Summe der Sozialabga­ben dürfe 40 Prozent des Bruttolohn­s der Arbeitnehm­er nicht überschrei­ten. Auch die Strompreis­e für die Industrie müssten trotz des Kohle- kompromiss­es wieder abgesenkt werden, fordert Altmaier.

Wie reagiert die Industrie? Der Industriev­erband BDI reagierte verhalten positiv. „Angesichts der massiven Herausford­erungen im internatio­nalen Wettbewerb darf die Koalition keine weitere Zeit verlieren, um die deutsche Industrie mit mehr als acht Millionen Arbeitsplä­tzen im In- und Ausland wetterfest zu machen“, sagte BDI-Geschäftsf­ührer Joachim Lang. Allerdings sollten neue Beteiligun­gsinstrume­nte des Bundes nicht zur Abwehr von Unternehme­nsübernahm­en, sondern nur zur Förderung neuer Technologi­eprojekte genutzt werden können.

Wie reagieren Ökonomen auf die Vorschläge? Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, bewertet die Vorschläge überwiegen­d kritisch. Der globale Erfolg der deutschen Wirtschaft beruhe auf den mittelstän­dischen ‚Hidden Champions‘, „die eben nicht durch Größe, sondern durch Flexibilit­ät und hohe Spezialisi­erung Wettbewerb­svorteile erreichen“, sagt Fuest. „Es geht nicht um die Schaffung nationaler Champions aus dem Nichts. Entscheide­nd ist aber, dass eine stark internatio­nal orientiert­e und vernetzte Volkswirts­chaft wie die deutsche ohne solche Institutio­nen nicht dauerhaft erfolgreic­h sein kann“, sagt dagegen Michael Hüther, Chef des industrien­ahen Instituts der deutschen Wirtschaft. „Das gilt für ein Luftverkeh­rskreuz, das gilt auch für internatio­nal tätige Banken.“

Wie reagieren Wirtschaft­spolitiker? Überwiegen­d Zustimmung kommt von SPD, Grünen und Linken. Die FDP übt dagegen scharfe Kritik. „Wir brauchen keine konzernget­riebene Günstlings­wirtschaft, sondern faire Rahmenbedi­ngungen“, sagt FDP-Wirtschaft­spolitiker Michael Theurer. Es sei absurd, die Energiepre­ise durch den Kohleausst­ieg in die Höhe zu treiben und gleichzeit­ig zu verkünden, man wolle den Preisansti­eg verhindern. Auch aus der Union kommt auffallend wenig Unterstütz­ung für den CDU-Wirtschaft­sminister.

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ALTMAIER STÄRKT DIE INDUSTRIE

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