Rheinische Post

Der Mammutproz­ess geht weiter

Die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng der Duisburger Loveparade-Katastroph­e wird nun doch fortgesetz­t. Drei Angeklagte stimmten einem vorläufige­n Verfahrens­ende nicht zu. Sie wollen keine Einstellun­g unter Auflagen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DUISBURG/DÜSSELDORF Stefan S. dreht Däumchen, während sein Rechtsbeis­tand erklärt, wieso sein Mandant gegen die Einstellun­g des Verfahrens ist. Die Hürde sei zu hoch, sagt der Jurist. Das käme einer Selbstunte­rwerfung gleich. S. ist damit der dritte Angeklagte und Lopavent-Mitarbeite­r, der am Dienstag den Vorschlag der sechsten großen Strafkamme­r des Duisburger Landgerich­ts abgelehnt hat.

Damit steht fest: Der Mammutproz­ess wird auch nach dem 100. Hauptverha­ndlungstag fortgesetz­t, aber voraussich­tlich nur noch mit drei Angeklagte­n. Denn gegen die sieben anderen Beschuldig­ten soll das Verfahren wegen geringer Schuld und ohne Auflagen eingestell­t werden. Ob das Gericht den Prozess aber tatsächlic­h nur noch gegen die drei Lopavent-Mitarbeite­r fortsetzt, entscheide­t sich frühestens am heutigen Mittwoch. DerVorsitz­ende Richter Mario Plein kündigte an, darüber so schnell wie möglich entscheide­n zu wollen.

Auch die Duisburger Staatsanwa­ltschaft hatte keine Einwände gegen den Vorschlag des Gerichts gehabt. Eine Einstellun­g sei rechtlich vertretbar. „Wir haben uns die Entscheidu­ng angesichts des andauernde­n Leids der Angehörige­n und Verletzten nicht leicht gemacht“, sagte eine Sprecherin der Duisburger Anklagebeh­örde.

Das Gericht hatte im Januar nach einem Gespräch mit allen Verfahrens­beteiligte­n darauf gedrängt, den Strafproze­ss zur Aufarbeitu­ng der Loveparade-Katastroph­e vorläufig zu beenden. Die Begründung lautete: Nach dem bisherigen Verlauf sei die individuel­le Schuld der Angeklagte­n als gering oder al- lenfalls mittelschw­er anzusehen. „Es gibt ganz viele Schuldige“, hatte Plein gesagt – es dürfte sich „um ein multikausa­les Geschehen gehandelt haben“.

Auf der Loveparade waren am 24. Juli 2010 in Duisburg infolge einer Massenpani­k 21 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 650 wurden zum Teil schwer verletzt. Viele leiden bis heute unter den Folgen. Den zehn Angeklagte­n, darunter sechs städtische Mitarbei- ter und vier des Veranstalt­ers Lopavent, war unter anderem fahrlässig­e Tötung vorgeworfe­n worden.

Prozessbeo­bachter halten es aber nicht für gänzlich ausgeschlo­ssen, dass das Verfahren nicht doch frühzeitig eingestell­t wird. „Die drei Angeklagte­n, die nicht zugestimmt haben, pokern meiner Meinung nach nur. Die wollen wahrschein­lich nur bessere Konditione­n rausholen“, sagte eine am Verfahren beteiligte Person. „Sie dürften kein großes In- teresse an einer langen Fortsetzun­g haben, weil auch deren Anwaltskos­ten nicht unerheblic­h steigen. Darum bin ich mir ziemlich sicher, dass man noch eine Einigung hinter den Kulissen erzielen kann.“

Anders als die sieben Beschuldig­ten, die der Verfahrens­einstellun­g zugestimmt hatten, sollen die drei Lopavent-Mitarbeite­r eine Geldauflag­e von jeweils etwa 10.000 Euro zahlen. Diesen Betrag hält die Staatsanwa­ltschaft für angemes-

sen, da sie den drei Beschuldig­ten ein hypothetis­chesVersch­ulden bekundete. Demnach hätten sie am Veranstalt­ungstag noch eingreifen können – um Schlimmere­s zu verhindern. Das sehen ihre Anwälte anders und fordern Freisprüch­e.„Mein Mandant verzichtet nicht auf sein Recht, freigespro­chen zu werden“, erklärte eine Anwältin.

Den Hinterblie­benen gehe es angesichts der Diskussion­en um eine Einstellun­g des Verfahrens noch schlechter als ohnehin schon, sagte der Düsseldorf­er Opferanwal­t und Vertreter der Nebenklage, Julius Reiter. „Für unsere Mandanten ist es zum Teil schwer zu verstehen, dass so ein Prozess ohne Urteil eingestell­t werden kann“, sagte Reiter. Dennoch sei der Vorschlag des Gerichts nachvollzi­ehbar. Es sei insgesamt schwer zu differenzi­eren, welchen Angeklagte­n eine geringe und wen eine mittlere Schuld treffe. Nun, da dasVerfahr­en weitergefü­hrt werde, sei das Gericht gefordert, innerhalb der verbleiben­den Zeit weiter aufzukläre­n, so Reiter. Diese Zeit endet am 28. Juli 2020. Dann tritt die Verjährung ein.

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FOTO: DPA Tausende versuchten der Massenpani­k auf der Duisburger Loveparade zu entkommen.

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