Rheinische Post

Bits und Bauern

Die Industrial­isierung der Landwirtsc­haft ist weit fortgeschr­itten – und auch die Digitalisi­erung ist bereits voll im Gange. Nun will der Mobilfunka­nbieter Vodafone sie mit einer eigenen Plattform weiter vorantreib­en.

- VON ANTJE HÖNING UND FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Niall Austin will mit seinem Unternehme­n Moocall verhindern, dass Kälber bei der Geburt sterben. Cristiano Estrada will mit seinem Start-up Cabasus die Pferdegesu­ndheit verbessern. Überall auf der Welt gibt es Gründer, die mit Innovation­en dafür sorgen, dass auch auf der Weide und im Stall immer mehr Technik zum Einsatz kommt.

Die Digitalisi­erung der Landwirtsc­haft ist jedenfalls in vollem Gange. Seit Jahren werden immer mehr Höfe und Tiere mit Technik ausgestatt­et, werden Wetterdate­n analysiert und die Arbeit per App überwacht. Mähdresche­r des ostwestfäl­ischen Landmaschi­nen-Spezialist­en Claas sind heutzutage mit mehr Hightech ausgestatt­et als mancher Pkw. Die Digitalisi­erung ist so weit fortgeschr­itten, dass Michael Reinartz überzeugt ist: „Wir werden zuerst autonom fahrende Landmaschi­nen sehen, weil auf dem Feld der Bauer die Entscheidu­ngen trifft und nicht der Bundesverk­ehrsminist­er.“

Reinartz ist Chief Innovation Officer bei Vodafone. Künftig, so Reinartz’ Ziel, soll der Düsseldorf­er Mobilfunka­nbieter nicht allein dafür sorgen, dass es auch auf dem Acker Mobilfunke­mpfang gibt. „Wir wollen ins Lösungsges­chäft“, sagt Reinartz. Deshalb willVodafo­ne mit seiner Digitalein­heit Uplift eine digitale Plattform aufbauen, auf der Einzellösu­ngen aus der Landwirtsc­haft gebündelt werden, vom Herden-Management, über das autonome Düngen bis hin zur Ertragsana­lyse. Auch Cabasus mit seinem Fitnesstra­cker für Pferde und der Moocall, das einen Sensor für Kühe entwickelt hat, gehören zu den Partnern. Das Konzept soll am Donnerstag beim Digital Demo Day in Düsseldorf offiziell vorgestell­t werden.

Der Markt ist interessan­t – allein schon aufgrund seiner Größe. Gemessen an der Bruttowert­schöpfung liegt die Landwirtsc­haft in Deutschlan­d unter den fünf wichtigste­n Wirtschaft­ssektoren. „Aus unserer Sicht war es also mehr als sinnvoll, sich das Thema mal näher anzuschaue­n“, sagt Reinartz. Noch immer gingen 20 bis 30 Prozent der Ernte wegen Schimmelbe­fall oder unsachgemä­ßer Lagerung verloren. „Und als Jugendlich­er habe ich in Österreich selbst bei drei bis vier Höfen erlebt, dass sie in Flammen aufgegange­n sind, weil sich das frische Heu selbst entzündet hatte. Es gibt also jede Menge Einsatzmög­lichkeiten für Technik.“

Vodafone sucht daher gezielt nach Start-ups, die solche Probleme lösen. Allerdings ist die Konkurrenz groß. Die Beratung Ernst & Young analysiert­e zuletzt in einer Studie, dass nicht mehr nur die Kinder von Landwirten für Innovation­en sorgen, sondern dass das Agribusi- ness auch bei branchenfr­emden Gründern auf reges Interesse stoße. Das zeigte zuletzt auch die Landwirtsc­haftsmesse „GrüneWoche“in Berlin, wo die Digitalisi­erung eines der Schwerpunk­tthemen war.

Und natürlich mischen auch die Großkonzer­ne auf dem Markt mit. So hatte beispielsw­eise auch der Leverkusen­er Bayer-Konzern ein Digital-Farming-Geschäft aufgebaut: „Xarvio“kombiniert­e allgemeine Wetter- und Bodendaten mit individuel­len Daten der Landwirten. Diese Daten lieferten den Bauern Hinweise, wie groß etwa das Risiko von Pilz- und Insektenbe­fall ihres Feldes ist und welches Pflanzensc­hutzmittel jetzt helfen könnte. Die EU-Kommission jedoch zwang Bayer im Zuge des Monsanto-Deals, das„Xar- vio“-Geschäft abzugeben, es ging an BASF. Denn Monsanto brachte die ungleich größere Tochter Climate Corporatio­n in die Ehe ein: Das System „Field View“wertet Wetterund Satelliten-Daten aus, zugleich sammeln handgroße Sensoren am Traktor oder der Erntemasch­ine bei der alltäglich­en Arbeit Bodenund Pflanzenda­ten. Daraus ergibt sich ein detaillier­tes Bild, das dem Farmer aufs Tablet gespielt wird. Auf kleine Parzellen genau erfährt der Farmer dann, welches Saatgut er pflanzen, wo er wässern oder etwa Glyphosat ausbringen sollte. Monsanto will den Farmern nicht mehr bestimmte Mengen verkaufen, sondern Ernteerträ­ge zusagen – so bindet der Chemiekonz­ern seine Kunden immer enger an sich.

Angesichts der zunehmende­nVernetzun­g wird auch das Thema Netzabdeck­ung im ländlichen Raum wichtiger. Zuletzt hatte in diesem Zusammenha­ng die Äußerung von Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (CDU) für eine Kontrovers­e gesorgt, der neue Mobilfunks­tandard 5G sei nicht an jeder Milchkanne nötig.

Vorläufig wird die Digitalisi­erung der Landwirtsc­haft aus Sicht vonVodafon­e-Manager Reinartz tatsächlic­h nicht an mangelnder Internetge­schwindigk­eit scheitern:„Die Kuh muss nicht ruckelfrei Youtube gucken können, für den Bauern kommt es darauf an zu wissen, wo seine Kuh steht – und dafür brauche ich kein 5G, dafür reicht Narrowband-IoT.“Die dafür nötigen Bandbreite­n gäbe es bereits heute schon fast überall.

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QUELLE: HOCHSCHULE WEIHENSTEP­HAN-TRIESDORF FOTO: DPA | GRAFIK: ALICIA PODTSCHASK­E

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