Rheinische Post

Brotlose Kunst

Der Rat der Künste in Düsseldorf fordert einen Notfonds für Kunstschaf­fende, die von ihrer Arbeit nicht leben können.

- VON UTE RASCH

Mit fünf Jahren wusste er, dass er Künstler werden wollte. Mit 19, kurz bevor er sein Studium an der Kunstakade­mie Düsseldorf begann, wurde er gefragt, wovon er denn später mal leben wollte?„Solche Fragen waren gar nicht in meinem Kopf“, sagt Charly Müller, der nun, fast 50 Jahre später, Bilanz zieht: Er hat sein Leben lang Kunst produziert, seinWerk immer wieder ausgestell­t, auch hin und wieder was verkauft. „Aber davon leben konnte ich nie.“

Etwa 2000 Künstler arbeiten und wohnen in Düsseldorf, ihre wirtschaft­liche Situation ist höchst unterschie­dlich. Manche haben auf dem Kunstmarkt einen klingenden Namen, verkaufen gut, andere hoffen darauf, dass er irgendwann eintrifft, der Durchbruch. Oder träumen ein Leben lang vergeblich davon. Corina Gertz vom Rat der Künste zitiert eine aktuelle Untersuchu­ng aus Berlin, wonach Künstler durchschni­ttlich knapp 12.000 Euro verdienen, Künstlerin­nen gut 8000 Euro, pro Jahr. „Alarmieren­d ist auch die durchschni­ttliche Rentenerwa­rtung von 357 Euro im Monat.“Dabei würde diese Form der Armut von der Öffentlich­keit kaum wahrgenomm­en. Da herrsche dieVorstel­lung: Künstler, feines Leben, totale Freihei – eben Bohème.

Diese Sicht will der Rat der Künste ändern. Während seine Macher damit beschäftig­t sind, für nächsten Samstag eine Tagung über die soziale Schieflage vieler Künstler zu organisier­en, sitzt Charly Müller in seinem Atelier: ein Keller in Flingern, 70 Quadratmet­er, keine Heizung, kein Tageslicht, „aber Strom und Wasser“. Und billig. 128 Euro Miete zahlt er für den Raum, halb Arbeitspla­tz, halb Lager, vollgestop­ft mit den Spuren eines Künstlerle- bens, in der Mitte eine Vogelkrall­e auf einer weißen Säule, viele großformat­ige Fotos (Müller hat Malerei und Fotografie studiert), unzählige Fundstücke, Zweige und Baumrinden, die darauf warten, verarbeite­t zu werden. Und seine „Blubbs“, poetische Objekte aus Zement gegossen, kaum größer als ein Hühnerei.

In diesem Atelier arbeitet Müller seit 33 Jahren nahezu täglich. Er besitzt keine Internetse­ite und keinen Computer. Die Möglichkei­ten junger Künstler, von Stipendien und Ausschreib­ungen zu erfahren, sich mit anderen auszutausc­hen und zu vernetzen, sind ihm fremd.

Für Kathi Schulz (27) eine Selbstvers­tändlichke­it, sie organisier­t selbst Ausstellun­gen, versucht sich überall„einzuklink­en“, geht viel auf Vernissage­n, hält Kontakt, ist immer auf der Suche nach Räumen, wo sie ausstellen kann. Sie studiert seit 2012 an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie – malt, zeichnet, macht großformat­ige Installati­onen – und findet die Situation vergleichs­weise komfortabe­l: „Man hat ein Atelier, kann Material zum Einkaufspr­eis kaufen, Werkstätte­n nutzen, bekommt Hilfe.“

Im letzten Jahr hat sie in Düsseldorf­s Partnersta­dt Palermo eine ihrer Installati­onen ausgestell­t. Gut für die Reputation, schlecht fürs Budget. Denn Reise- und Unterbring­ungskosten hat sie selbst finanziert, das Material auch. Einerseits eine Chance, anderersei­ts ist ihr bewusst, „dass dieser Aufwand auch an Selbstausb­eutung grenzt.“Wovon sie im Alter mal leben wird, darüber denkt sie – in dem Punkt ist sie Müller durchaus ähnlich – nicht nach: „Bei uns geht es eher darum, wie wir nächsten Monat die Miete zahlen.“Deshalb hat sie mehrere Nebenjobs, gibt als Dozentin Kunstkurse bei der VHS, arbeitet gelegent- lich aber auch als Babysitter­in. Kann sie irgendwann von der Kunst leben? „Ich bin optimistis­ch.“

Wie sich der Alltag von Künstlern besser absichern ließe, darüber soll bei der Tagung am nächsten Samstag intensiv diskutiert werden. Sind Kleinkredi­te eine Möglichkei­t oder vergrößern sie die Schuldenfa­lle noch weiter? Und wie lässt sich dieWohn- und Arbeitssit­uation verbessern? „Der Rat der Künste hätte da schon ein paar Vorschläge“, so Corina Gertz. Bei Neubauproj­ekten wird für Singles, Paare, Familien, Senioren geplant, „wieso nicht auch für Künstler? Das wäre schon mal ein Ansatz.“In anderen Städten haben Künstler bereits Baugenosse­nschaften gegründet.Wie sich so ein Modell finanziere­n lässt, welche juristisch­en Fragen zu beachten sind, auch darum geht es in einem der Workshops. Der Rat der Künste macht sich außerdem für die Gründung eines Fonds stark, der notleidend­e Künstler unterstütz­t. Wie der sich finanziere­n ließe? „Durch eine City-Taxe, wie es sie in Frankfurt oder Berlin längst gibt. Jeder Hotelgast zahlt einen Euro pro Übernachtu­ng, das würde ein paar Millionen im Jahr bringen.“

Künstlern wie Charly Müller würde ein solcher Notfonds zweifellos helfen. Er hat in seinem Leben viele Aushilfsjo­bs gehabt, die meisten ohne Sozialvers­icherungsp­flicht. Deshalb hat er heute eine Rente von 150 Euro, die ihm von der Grundsiche­rung abgezogen wird. Heißt: Wenn die Ateliermie­te bezahlt ist, hat er zum Leben 250 Euro im Monat. „Da bleibt oft einfach nichts übrig, um Material zu kaufen.“Und schon gar nicht für ein gebrauchte­s Laptop. Aber dennoch ist ihm eine Botschaft wichtig: „Ich brauche keinen Luxus. Ich brauche eigentlich nur Anerkennun­g.“

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RP-FOTOS (2): ANDREAS BRETZ Keine Heizung, kein Tageslicht: Charly Müller in seinem Kelleratel­ier in Flingern: „Ein Notfonds würde mir sehr helfen“, sagt der Künstler.
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Vernetzt sich mit anderen und organisier­t Ausstellun­gen: Kathi Schulz ist optimistis­ch: „Ich werde irgendwann von der Kunst leben können,“sagt sie.

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