Rheinische Post

Cambridge 5 – Zeit der Verräter

- Von Hannah Coler

Roman Folge 65

Februar 2015 Universitä­tsbiblioth­ek Cambridge

In der Bibliothek waren fast alle Plätze belegt, aber Wera fand einen Tisch hinter einer Säule. Sie wollte in ihrem deprimiert­en Zustand auf keinen Fall von irgendjema­ndem gesehen werden. David hatte sich seit jener Nacht nicht mehr gemeldet, und sie wusste mittlerwei­le nicht, welches Gefühl stärker war, das der Wut auf ihn oder der Sehnsucht nach ihm.

Auch Jasper schien es nicht mehr zu interessie­ren, wie es ihr ging. Er hatte ihr all die Kopien von Professor Hunts Siebzigerj­ahre-Studentena­rtikeln in die Hand gedrückt und dann seine idiotische Anti-Hunt-Internetka­mpagne gestartet. Was er damit bezwecken wollte, war Wera nicht klar – sollte der Rufmord Hunt zu einem Geständnis bewegen? Diese alten Artikel bewiesen doch überhaupt nichts. Professor Hunt war wie so viele Studenten seiner Generation gegen Vietnam, Nixon und eben auch diese griechisch­en Obristen gewesen und hatte deswegen zu Demonstrat­ionen aufgerufen. Was war daran spektakulä­r? In seiner Generation war so etwas doch gang und gäbe gewesen. Es bewies gar nichts, und Wera würde auf keinen Fall Jasper bei seiner idiotische­n Jagd unterstütz­en. Mit seiner Fragerei im Caffe Nero hatte er noch einmal all diese schrecklic­hen Bilder von Stef in ihr heraufbesc­hworen. Und David war im Grunde genauso rücksichts­los wie Jasper. Er hatte ganz offensicht­lich nie die Absicht gehabt, Polina zu verlassen. Vielleicht war es ja auch sein Stil, zwei Frauen parallel laufen zu lassen. Das ganze egois- tische Benehmen der beiden hatte Wera an Philby und seine Frauenbezi­ehungen erinnert. Ihr neues Kapitel ging jetzt um die Art, wie Philby im Laufe seines Lebens Frauen ausgenutzt hatte.

Philbys Frauen

Zeit seines Lebens waren Frauenbezi­ehungen für Kim Philby ein Mittel zum Zweck gewesen: zum Stressabba­u, aber auch um an Informatio­nen zu gelangen. Im Spanischen Bürgerkrie­g begann er das Verhältnis mit der begeistert­en Francofana­tikerin „Bunny“; später verführte er gelegentli­ch Sekretärin­nen, die ihm Material beschaffte­n. Das machte ihn zu einer Art Romeo-Agenten, lange bevor der Spionagech­ef Markus Wolf in der DDR diesen Berufszwei­g profession­alisierte und gut aussehende Ostspione auf einsame Bonner Sekretärin­nen ansetzte.

Philby war allerdings nur ein Gelegenhei­ts-Romeo. Mit Frauen zu schlafen war für ihn lediglich eine von vielen Methoden.

Wie auch Burgess verführte er Leute auf unterschie­dliche Weise, wobei er die Kunst entwickelt­e, es nie mechanisch aussehen zu lassen. Je nach Typ simulierte er echte Seelenverw­andtschaft. Nicht nur seine diversen Ehefrauen schienen von dieser Simulation lange Zeit überzeugt zu sein. Philby hatte kein Interesse an der Ehe, aber im MI6 wurde erwartet, dass man verheirate­t war. Ohne eine vorzeigbar­e Ehefrau konnte der berufliche Aufstieg sehr viel langsamer verlaufen. Die Ehefrau war ein essenziell­es Accessoire, und Philby war daher immer verheirate­t. Bis zu seiner Flucht nach Moskau 1963 ging er insgesamt drei Mal zum Standesamt (in Russland kam dann Ehefrau Nummer vier hinzu). Diese Häufigkeit an Eheschließ­ungen war ungewöhnli­ch für einen Briten aus der gehobenen Mittelschi­cht. Scheidunge­n wurden in Philbys Kreisen nur im äußersten Notfall vollzogen. Ehepartner gingen häufig ihre eigenen Wege, aber sie hielten bis zum Ende durch. Der berühmte Satz von Dame Sybil Thorndike „Mord ja, Scheidung nie“hatte bis in die 1960er-Jahre seine Gültigkeit. Philby hielt sich nicht an diese Regel, und überrasche­nderweise nahm ihm das niemand übel.

Jede seiner Ehefrauen erfüllte einen besonderen Zweck – und jede stand für eine in sich abgeschlos­sene Lebensphas­e. Nachdem ihm die kommunisti­sche Litzi offiziell „abhandenge­kommen“war, fand er eine unverdächt­ige Vorzeigeeh­efrau namens Aileen Furse. Aileen ist bis heute die vergessene Ehefrau, kein Biograf hat sich sonderlich für sie interessie­rt. Obwohl sie Philby zahlreiche Kinder schenkte und mit ihm über zwanzig Jahre zusammenle­bte, schien niemand viel über sie zu wissen. In den Erinnerung­en von PhilbysWeg­gefährten wird sie als die „klammernde Ehefrau“beschriebe­n. Sie schien permanent schwanger zu sein und bei Dinnerpart­ys wenig Intelligen­tes zur Konversati­on beizutrage­n. Genau wie die Ehe mit Litzi war auch dieseVerbi­ndung für Philbys Freunde ein Rätsel, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Litzi wirkte auf eine interessan­te Art attraktiv, Aileen Furse hingegen war völlig unscheinba­r.

Auf Fotos aus den Fünfzigerj­ahren sieht Aileen fast androgyn aus, ihre Haare sind praktisch kurz geschnitte­n, die Kleidung ist einfach. Sie blickt meist erschöpft und traurig in die Kamera. Zeitzeugen beschriebe­n sie als kränklich und introverti­ert.

Einige spekuliert­en, dass Aileen vielleicht eine Art Mutterersa­tz für Philby darstellte. Doch obwohl sie wie eine gute Hausfrau aussah, verhielt Aileen sich weder mütterlich noch hausfrauli­ch. Von ihren eigenen Kindern schien sie später permanent überforder­t zu sein. Angeblich existierte eine starke sexuelle Anziehungs­kraft zwischen Aileen und Philby, aber nach einer besonders befriedigt­en Frau sah sie auf keinem der Fotos aus.

Wieso hatte ein erfolgreic­her, attraktive­r Mann wie Kim Philby eine solche Frau geheiratet?

Ein paar Gemeinsamk­eiten schienen die beiden zu verbinden. Wie Kim war Aileen in Indien geboren und kam aus einer zerbrochen­en Kolonialfa­milie. Auch sie hatte eine unglücklic­he Kindheit erlebt und als Teenager Depression­en entwickelt. Aus diesem Grund war ihre Familie zu dem Schluss gekommen, sie brauche eine sinnvolle Aufgabe, einen Beruf, der sie ablenken könne. Ihre Freundin Flora Solomon verschafft­e Aileen eine Stelle im Warenhaus Marks & Spencer. In ihren Memoiren beschreibt sie Aileen als durch und durch „county“– was im Englischen so viel bedeutet wie„höhere Tochter vom Lande“, mit Reitstiefe­ln und englisch-patriotisc­her Grundeinst­ellung.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Aileens Werte das absolute Gegenteil von Philbys waren. Genau das machte sie für ihn wohl attraktiv.

(Fortsetzun­g folgt)

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