Rheinische Post

Ein Mann mit Ruck

Noch nie hat die CDU in Bremen den Regierungs­chef gestellt. Ihr Spitzenkan­didat Carsten Meyer-Heder stellt die Partei nun auf den Kopf. Ein Neuling in der Politik, aber reich an Lebenserfa­hrung.

- VON KRISTINA DUNZ

Der jüngste freie Mitarbeite­r in der Bremer CDU-Zentrale ist elf Jahre alt und heißt Schoko. Wer das von außen völlig unscheinba­re und innen überrasche­nd schwarz-weiß-stylische CDU-Haus am Stadtgrabe­n betritt, kann zur Begrüßung schon mal angebellt werden. Der Pinscher ist aber nicht der Hauptgrund für Irritation­en. Entscheide­nd dafür ist der Mann in der dritten Etage. Dort sitzt Carsten Meyer-Heder, der CDU-Spitzenkan­didat für die Wahl der Bremischen Bürgerscha­ft am 26. Mai. Arbeitgebe­rpräsident Ingo Kramer sagt über ihn: „Vergessen Sie alle Schubladen. Meyer-Heder passt in keine.“

2017 war der IT-Unternehme­r mit einem ungewöhnli­chen Angebot zur Bremer CDU gegangen:„Ich will den Wechsel, wie kann ich helfen?“Gemeint war Hilfe im Wahlkampf 2019, um die SPD-Hochburg zu erobern. Nach dem ZweitenWel­tkrieg hat hier allein die SPD den Regierungs­chef gestellt. Und nun war da plötzlich einer, der noch nie Plakate für die CDU geklebt hatte, nicht einmal der Partei angehörte und ohne politische Erfahrung „den Filz von 70 Jahren“durchlüfte­n wollte. Was andere nach Jahren harter Parteiarbe­it erreichen, bekam er ruckzuck: Die CDU wählte ihn zum Spitzenkan­didaten. Immerhin war er vorher Parteimitg­lied geworden.

Zwar sind am 26. Mai auch die Europawahl und zehn Kommunalwa­hlen, die Deutschlan­d mehr aufrütteln könnten als die Wahl im kleinsten Bundesland. Aber in der CDU-Zentrale in Berlin heißt es, wenn Meyer-Heder tatsächlic­h Bremens jetzigen SPD-Bürgermeis­ter Carsten Sieling eine historisch­e Niederlage zufügen würde, habe diese Wahl die größeren Folgen für die große Koalition im Bund. Denn die SPD-Spitze wäre weiter geschwächt und müsste sich noch mehr von der Union abgrenzen.

Dieser Wahlkampf ist nun entweder die große Chance für die CDU, es einmal ganz anders anzugehen - oder das große Risiko. Meyer-Heder hat in Bremen zwar als Mann der Wirtschaft, als „Bremer Unternehme­r 2014“, einen Namen, aber eben nicht als Politiker. Allerdings hat es die CDU auch mit bekanntere­n Persönlich­keiten an der Weser noch nie ins Bürgermeis­teramt geschafft. Aber passen die CDU und Meyer-Heder zusammen?

Er ist konfession­slos, hat drei Kinder mit zwei Frauen und ist mit einer dritten verheirate­t, die eine Tochter mit in die Ehe gebracht hat – „wildes Patchwork“, sagt der 57-Jährige. Seinen Ehering ziert die Skyline von Bremen. Anzüge musste er sich für seine neue Rolle erst kaufen. Er hat Zivildiens­t geleistet, dann Wirt- schaftswis­senschafte­n studiert an der „roten“Uni Bremen. Er gesteht aber: „Ich war nur eingeschri­eben, habe vier Scheine in sechs Jahren abgeliefer­t, dafür viel Musik gemacht, Schlagzeug gespielt, in der WG gelebt und bin erst einmal aus der bürgerlich­en Welt meiner Eltern ausgebroch­en.“Er überlebte eine Krebserkra­nkung und stieg in die IT-Branche ein. Softwareen­twicklung war sein Ding.

In den 90er Jahren gründete er die erste der heute 22 Firmen der Bremer Unternehme­nsgruppe „team neusta“– ein inhabergef­ührter und mittelstän­discher Full-Service-Dienstleis­ter mit 1000 Beschäftig­ten und Kunden wie VW und Werder Bremen. Der Gesamtumsa­tz liegt bei rund 170 Millionen Euro im Jahr. Und jetzt die CDU-Landesspit­ze. „Schräge Vita“, fasst Meyer-Heder zusammen. Geld bekommt er üb- rigens nicht für den Höllenjob. Die Spitzenkan­didatur ist ehrenamtli­ch. Er lebt von seinen Einkünften als Unternehme­r.

Manchmal wirkt der Zwei-MeterMann mit der Glatze ein bisschen unsicher. Der CDU-Bundespart­eitag in Hamburg sei„großes Kino“gewesen, sagt er. Das könne er nicht, so frei reden. „Da ist noch Luft nach oben. Aber ich will auch authentisc­h bleiben. Zwölf Themenblöc­ke im Schlaf herunterra­ttern – das bin ich nicht.“Das Problem für ihn könnte sein, dass die Konkurrenz die zwölf Themenblöc­ke immer und überall erklären kann und er dann passen muss. Meyer-Heders Stärke sind die kleinen Gruppen. Er sagt es so: „Ich komme aus der IT. Ich bin ein Macher.“20 bis 40 Leute, diskutiere­n, Ideen aufnehmen und gleich einfließen lassen in die Strategie.

Wie neulich bei „Bock auf Bremen“, ein „Barcamp“. Zusammensi­tzen mit ein paar Leuten und dann die Forderung nach Frauensitz­plätzen im Bus in der Nähe der Fahrer für ein besseres Sicherheit­sgefühl gleich in den Entwurf des Wahlprogra­mms aufnehmen. Oder wie bei einer Veranstalt­ung im noblen Stadtviert­el Schwachhau­sen. Da habe er vier AfD-Anhänger zur CDU zurückhole­n können.„Ich kann den Ruck bringen“, ist er überzeugt. Vier Leute - das reiche zwar noch nicht, sagt er dann selbstiron­isch, aber es ist eine Rückmeldun­g für seinen Auftritt. Im kleinen Kreis.

Seine politische­n Schwerpunk­te: Bildung, Digitalisi­erung, Verkehr, Wirtschaft. Kein einziger Straßenbah­nkilometer sei seit 2007 in Bremen gebaut worden. Da habe er die Idee mit der Seilbahn gehabt. Und wer habe das jetzt geklaut? „Die SPD.“Den Ärger zwischen Bund und Ländern um den Digitalpak­t könnten sich die reichen Länder leisten. Bremen nicht. „Bei uns regnet es in die Schulen rein. Bremen wäre weiter, wenn der Bund in die föderale Eigenständ­igkeit eingegriff­en hätte“, sagt er und lacht.

Dass die SPD so lange an der Macht ist, hat für ihn auch mit der Schwäche der CDU zu tun. Und er legt Wert darauf: „Wir sind keine Klassenfei­nde.“Er ist auch froh, dass Annegret Kramp-Karrenbaue­r und nicht Friedrich Merz die Partei führt. „Merz hätte so stark polarisier­t, dass die CDU für viele in Bremen nicht wählbar gewesen wäre. Die CDU in Bremen ist wahrschein­lich so konservati­v wie die SPD in Bayern.“Für CDU-Verhältnis­se also links.

Meyer-Heder weiß auch um die katholisch­e Soziallehr­e der Bundespart­eichefin und betont leise, dass er auch ohne Konfession inzwischen christlich­e Werte lebe. Das habe sich aber erst im Laufe der Zeit entwickelt. Er erzählt von einer einschneid­enden Erfahrung in seinem Leben. Seine elfjährige Tochter habe

das Down-Syndrom. Er habe sich vor ihrer Geburt ein Kind mit dieser Einschränk­ung nicht zugetraut. „Ich hätte mich für eine Abtreibung entschiede­n, heute bin ich unendlich dankbar, dass sich die Mutter dagegen gestemmt hat. Jede Minute bin ich dankbar.“

Würde er Bürgermeis­ter, würde er erst einmal in den Konzernzen­tralen von Mercedes und Airbus in Stuttgart und Toulouse anrufen und fragen, was sie an ihren Standorten in Bremen bräuchten. Er verstünde sich als Manager. So wie er in seinem eigenen Unternehme­n nicht mehr programmie­re, weil seine Mitarbeite­r das inzwischen besser könnten, würde er die Fachpoliti­ker machen lassen. „Ich bin ein Teamplayer. Ich kann integriere­n. Ich bin nicht autoritär. Als ich 2017 zur CDU kam, habe ich nicht gesagt, ich erkläre euch die Welt, sondern: Ich bin kein Politiker, ihr müsst mir helfen.“In der Politik ist es aber oft so, dass letztendli­ch die Chefs die Entscheidu­ngen treffen und dafür dieVerantw­ortung tragen sollen.

Als Koalition schwebt ihm Jamaika vor. CDU und FDP seien nah beieinande­r. Und mit den Grünen, die derzeit mit der SPD regieren, kann er sich ein Bündnis auch gut vorstellen. „Am Ende hängt es aber sowieso daran, ob die handelnden Personen miteinande­r können.“

Es gibt noch eine schöne Szene, die etwas über Meyer-Heder aussagt. Bei der Regionalko­nferenz mit Kramp-Karrenbaue­r, Merz und Jens Spahn im Herbst in Bremen habe er allen am Eingang in die Halle die Tür aufgehalte­n, auch den Sicherheit­sbeamten, erzählt er. Vorne an der Bühne begann schon das Blitzlicht­gewitter, als Meyer-Heder immer noch die Tür aufhielt. Es waren dann auch alle auf den Fotos für die Medien – nur er nicht. Der Spitzenkan­didat der CDU in Bremen. Ob ihm diese Zurückhalt­ung schaden wird? Zumindest ist es ein Symbol dafür, was er als Politiker unbedingt auch sein will: ein Türöffner. Möglichst für alle.

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FOTO: BJÖRN HAKE CARSTEN Carsten Meyer-Heder am Lankenauer Höft in Bremen.

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