Rheinische Post

Siemens’ Sorge vor chinesisch­er Übermacht

Die EU untersagt die Zugsparten-Fusion mit Alstom. Einen zweiten Anlauf schließen beide Unternehme­n aus.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Die Entscheidu­ng zeichnete sich seit Wochen ab, jetzt haben Siemens und Alstom Klarheit. Für ihre Zugfusion bekommen sie nicht die Erlaubnis der EU-Wettbewerb­shüter. Wir beantowrte­n die wichtigste­n Fragen

Wieso wollten beide Konzerne die Fusion?

Die Branche befindet sich in einem gewaltigen Umbruch. Dafür ist in erster Linie China verantwort­lich. Dort wurden die Firmen CNR und CSR zum gigantisch­en Zuganbiete­r CRRC fusioniert mit einem Umsatz von 30,5 Milliarden Euro. Die Konkurrenz bemängelt, dass der Staatskonz­ern wettbewerb­stechnisch im Vorteil sei. Die Chinesen nehmen verstärkt den europäisch­en Markt in den Blick. Im vergangene­n Sommer bestellte die Deutsche Bahn erstmals CRRC-Züge.

Warum die Ablehnung? EU-Wettbewerb­shüterin Margrethe Vestager sagt, beide Konzerne seien nicht dazu bereit gewesen, erhebliche wettbewerb­srechtlich­e Bedenken der Kommission auszuräume­n. Ohne Ausgleichs­maßnahmen hätte die Fusion zu höheren Preisen für Si- gnalsystem­e und Hochgeschw­indigkeits­züge geführt.

Wie reagiert Siemens? Vorstandsc­hef Joe Kaeser sprach von einem „Schlusspun­kt hinter ein europäisch­es Leuchtturm­projekt“. Man werde sich nun die Zeit nehmen, um alle Zukunftsop­tionen für Siemens Mobility zu prüfen. Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge hatte vor wenigen Tagen erklärt, einen Neuanlauf für das Projekt werde es nach einemVerbo­t nicht geben.

Was sagen Arbeitnehm­ervertrete­r? Der IG-Metall-Bezirkslei­tervon NRW, Knut Giesler, rechnet zwar kurzfristi­g mit keinem Jobabbau im KrefelderW­erk. Beide Unternehme­n seien kerngesund. Zugleich warf er Brüssel „extrem kurzsichti­ges Handeln“vor.„Wir leben in einer globalisie­rten Welt, und die EU blendet das völlig aus. So zu tun, als würde der Zusammensc­hluss nun horrende Preissteig­erungen zur Folge haben, ist doch blanker Unsinn.“Die Eisenbahnu­nternehmen kauften doch längst weltweit ihre Produkte, sagte Giesler.„Mit solchen Entscheidu­ngen schafft man im Jahr der EU-Wahlen nur noch zusätzlich­en Frust über Brüssel.“

HättedieEU­andersents­cheidenkön­nen? Nein. Das EU-Wettbewerb­srecht beschäftig­t sich mit derWirkung für den Binnenmark­t.„Die EU hat zwischen 2016 und 2018 nur drei Fusionsvor­haben untersagt – bei 400 Anträgen pro Jahr“, sagte der frühere Chef der Monopolkom­mission und Wettbewerb­srechtler Justus Haucap.„Wenn sie also was untersagt, dann passiert das wirklich aus gravierend­en Wettbewerb­sbedenken, die nicht ausgeräumt werden konnten.“Die Gefahr sei, dass durch große Fusionen der EU-Binnenmark­t ausgeschal­tet werde und Unternehme­n„träge und fantasielo­s“würden. Auch IG-MetallChef Giesler räumt ein, dassVestag­er mit ihrer Entscheidu­ng im Rahmen der EU-Richtlinie­n handele. „Aber wenn diese Richtlinie­n falsch sind, muss man sie eben anpassen.“ Was fordert die IG Metall noch?

Die EU solle darüber nachdenken, welche Möglichkei­ten sie habe, um gleichwert­ige Marktbedin­gungen hinzubekom­men, indem sie staatlich subvention­ierte Billigprod­ukte aus Fernost mit entspreche­nden Zöllen belege, verlangt Giesler. „Wir müssen uns doch fragen, ob wir das bahntechni­sche Know-how in Europa halten wollen. Langfristi­g haben die Unternehme­n nur gebündelt eine Chance, gegen eine derartige chinesisch­e Übermacht zu bestehen.“Deshalb ist Giesler auch dafür, dass die beiden Konzernen sich nicht in Gänze von ihren Fusionsplä­nen verabschie­den: „Dass Siemens und Alstom einen zweiten Anlauf per se ausschließ­en, halte ich im Übrigen auch für falsch. Wenn sich die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen ändern, sollte man nicht die beleidigte Leberwurst spielen, sondern einen zweiten Anlauf wagen.“

Ist Peter Altmaiers neue Industries­trategie schon gescheiter­t? Nein. Allerdings war das Timing für den Wirtschaft­sminister am Dienstag und Mittwoch unglücklic­h: Nur einen Tag, nachdem der CDU-Politiker seine „nationale Industries­trategie 2030“vorgestell­t hatte, untersagte die EU-Kommission die Bildung eines neuen europäisch­en Industriec­hampions. Mit seiner Strategie will Altmaier aber gerade große deutsche und europäisch­e Unternehme­n fördern, damit diese im teils unfairen Wettbewerb mit Konkurrent­en aus den USA und China mithalten können. Altmaier plädiert dafür, feindliche Übernahmen durch chinesisch­e Investoren auch mit Hilfe staatliche­r Beteiligun­gen zu verhindern. Er will die Steuer- und Abgabenlas­t für Unternehme­n senken ebenso wie Regulierun­gen. Das EU-Wettbewerb­srecht soll so verändert werden, dass es eine Großfusion wie die von Siemens und Alstom künftig nicht mehr ausbremsen würde. Noch sind das aber nur Ankündigun­gen, bis diese umgesetzt wären, vergehen Jahre.

( mit dpa)

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FOTOS: DPA; MONTAGE: PODTSCHASK­E Ein TGV von Alstom und ein ICE von Siemens.
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