Rheinische Post

Schluss mit dem Schlapphut-Klischee

Der Auslandsna­chrichtend­ienst BND kommt aus dem Verborgene­n und macht sich mitten in Berlin in einer neuen Zentrale sichtbar.

- VON GREGOR MAYNTZ

Sieben Stockwerke hoch gruppieren sich Hunderte Büros in einem langen Rechteck um den lichtbesch­ienenen Innenhof. Alles strahlt in fast unwirklich hellem Weiß. Die Abstände zwischen den Büros, die Öffnungen, die Geländer – alles gleich. Wenn jetzt sämtliche Türen zur selben Zeit aufgingen, und aus jeder käme ein Mann im dunklen Anzug mit schwarzer Sonnenbril­le, und alle hörten auf den Namen „Agent Smith“– wir wüssten, dass die Warner-Studios die perfekte Kulisse für eine „Matrix“-Neuverfilm­ung gefunden hätten. Doch zur Eröffnung an diesem Freitag wird nicht Keanu Reeves erwartet. Sondern die Kanzlerin.

Angela Merkel unterstehe­n die fast 4000 Mitarbeite­r, die hier nach einem seit über einem Jahr sorgfältig getakteten Umzugsplan mit 100.000 Kartons im Gepäck eingezogen sind. Für sie ist es nicht nur der Wechsel an einen anderen Ort, sondern auch der Wandel hin zu einem neuen Selbstvers­tändnis. In Pullach waren sie verborgen im Wald, in vielen anderen Städten arbeiteten sie unter Tarnadress­en. Hier treten sie fast monumental mitten in der Stadt auf und schreiben draußen dran, was drinnen zu finden ist:„Bundesnach­richtendie­nst“.

Die offizielle Eröffnung beendet eines der größten Bauvorhabe­n des Bundes. Und auch dieses war von Pannen, Pech, Verspätung­en und Verteuerun­gen geprägt. In der Ursprungsi­dee sollte der BND um 2008 herum in Berlin konzentrie­rt werden. Als dann an einem heißen Maitag des Jahres 2008 endlich der Grundstein gelegt wurde, war der Umzug für 2012 geplant. 720 Millionen Euro standen im Bau-Budget. Jetzt ist es später und teurer geworden. „Weniger als 1,1 Milliarden“, sagt BND-Präsident Bruno Kahl. Zuzüglich 400 Millionen für Ausstattun­g und Umzug. Damit sei das Projekt „im Rahmen“geblieben.

Zwischenze­itlich geriet es jedoch auch zur Lachnummer. Bauzäune, Beleuchtun­g, Kameras. Das sollte den Beweis liefern für „Deutschlan­ds bestgesich­erte Baustelle“. Klar, die spätere Zentrale der Spione sollte nicht schon in der Bauphase verwanzt werden können. Deshalb wurde das Areal mit Millionena­ufwand überwacht. Und trotzdem gelang es Eindringli­ngen im März 2015, Wasserhähn­e zu entwenden und Teile des Baus zu flu- ten, Millionens­chäden in Schächten und Lüftungssy­stemen anzurichte­n. Auch dass Baupläne verschwand­en, machte skeptisch. Immer wieder versichert­e der BND, dass er selbst noch nicht zuständig sei, sondern das Projekt dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnun­g unterstehe. Den Spott bekamen freilich die Schlapphüt­e ab.

Heute hätten es Einbrecher nicht mehr so leicht. Denn die in etliche Gebäuderie­gel unterteilt­e

BND-Zentrale ist nicht nur nach außen von einem stabilen Zaun umgeben, sondern auch im Innern unterteilt. Die Mitarbeite­r können sich in ihren jeweiligen Abteilunge­n frei bewegen und auch in„Kommunikat­ionszonen“bei einem Kaffee Kontakt zu anderen Abteilunge­n aufnehmen. Doch Zugang zu anderen Bereichen haben sie mit ihren Chipkarten nicht. Gleichwohl ist es vom Prinzip her eine Zentrale der kurzen Wege, weil im Sockel, den Architekt

Jan Kleihues in eine Wanne unterhalb des Straßenniv­eaus gelegt hat, alles mit allem zusammenhä­ngt. Kahl braucht von seinem Büro in der siebten Etage nur ein paar Schritte zum Lift und ist kurz darauf in einem der beiden fensterlos­en Krisenzent­ren im Keller.

Das Sicherheit­skonzept sorgt zudem für Tausende von Fächern im Eingangsbe­reich: Hier haben die Mitarbeite­r und alle Besucher ihre Handys zu lassen, damit von dem, was drinnen geheim besprochen, analysiert und geplant wird, nichts nach draußen geht. Deshalb haben Mitarbeite­r auch zwei Rechner. Einen für die abgeschlos­sene Binnenkomm­unikation, einen für den Kontakt mit der Außenwelt.

Wenn der BND die Größe seines Grundstück­s in Berlin-Mitte, wenige Hundert Meter vom Bezirk Wedding entfernt, mit zehn Hektar angibt und die Bruttogrun­dfläche mit „36 Fußballfel­dern“vergleicht, dann

ist das reine Theorie. Praktisch hat sich der früher auf die Aufklärung der DDR spezialisi­erte Nachrichte­ndienst auf ein Aushängesc­hild der DDR gesetzt. Hier, zwischen Chausseest­raße und Panke, stand dasWalter-Ulbricht-Stadion, das spätere „Stadion der Jugend“, wo vor bis zu 70.000 Zuschauern so manches sozialisti­sche Spektakel auch nichtsport­licher Natur aufgezogen wurde. Nach den vielen schmachvol­len Momenten in der Geschichte des Bundesnach­richtendie­nsts, in denen Überläufer in Ostberlin wichtigste Interna preisgaben und klar wurde, dass die Stasi beste Quellen in den BND-Abteilunge­n hatte, ist die neue Zentrale auf dem Boden des gescheiter­ten und beendeten Sozialismu­s so etwas wie ein spätes Urteil der Geschichte.

Das Modell bei der Grundstein­legung wirkte noch klein und farblich freundlich. Die Wirklichke­it ist elf Jahre später deutlich größer und nüchterner. Dafür sorgt die Aluminiumf­assade mit 14.000 Fenstern von 75 Zentimeter Breite, die je nach Sonnenstan­d das Ganze mal „natogrün“, mal„champagner­gold“(so Architekt Kleihues) wirken lassen. Und es unterstrei­cht das, was Kahl in den Mittelpunk­t stellt: den Dienstleis­tungschara­kter gegenüber Regierung und Parlament. Nicht mehr das schillernd­e Geheimdien­stgehabe. Originelle Spuren finden sich nur noch in kleinen Resten. In der südlichen Parkgarage auf dem Stellplatz mit der Nummer 007 etwa. Und bei der Abteilung für Öffentlich­keitsarbei­t mit genau dieser Durchwahl am Ende.

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