„Die Zeit im Gefängnis war sehr prägend“
Fortunas Sportvorstand spricht über seine spektakuläre Vita, seine Verpflichtungen im Winter und seine Visionen.
DÜSSELDORF Seit knapp zwei Monaten ist Lutz Pfannenstiel Fortunas Sportvorstand. In dieser Zeit hat der 45-jährige Niederbayer aus Zwiesel Spieler verkauft, Spieler geholt und die Funkel-Krise durchgestanden. Am Donnerstag war er zu Gast in unserer Redaktion, um sein erstes großes Interview in neuer Funktion zu geben.
Herr Pfannenstiel, warum tragen Sie lange Haare?
PFANNENSTIEL Ich habe schon immer lange Haare. Das hat auch mit einem meinerVorbilder zu tun: Ratko Svilar, ehemaliger Torhüter von Antwerpen, serbischer Nationaltorwart. Außer einmal in Norwegen, als ein Mitspieler gesagt hat, er habe geträumt, dass wir gewinnen, wenn wir uns alle eine Glatze schneiden. Gesagt, getan. Und wir haben gewonnen. Die langen Haare gehören einfach zu mir.
Werden Sie aufgrund ihres Aussehens unterschätzt? PFANNENSTIEL Bei mir kommt ja auch noch der bayerische Dialekt hinzu. Was dazu führt, dass einige Leute mich vielleicht unterschätzen. Lange Haare, Dialekt oder sonstige Äußerlichkeiten sollten aber nach meiner Überzeugung nichts über einen Menschen aussagen.
Sie haben dieses Weltenbummler-Image – und plötzlich sind Sie Sportvorstand bei einem Fußball-Bundesligisten. Müssen
Sie manchmal über Ihren Weg schmunzeln?
PFANNENSTIEL Einerseits ja, andererseits nein. Für mich war klar, dass ich diese Position einmal ausführen möchte. Bis zu meiner Zeit in Singapur war ich der typische Fußballer. Ich habe mich dem Profifußball angepasst, vieles war eine Art Klischee, eine Seifenblase. Danach habe ich mir komplett andere Prioritäten gesetzt. Ich habe fast alles davon umgesetzt. Der letzte logische Schritt war nun in die sportliche Leitung.
Sie haben es angesprochen: Sie saßen wegen angeblichen Wettbetrugs im Gefängnis in Singapur. Ehe Sie nach 101 Tagen vom internationalen Gerichtshof freigesprochen wurden. Was hat das mit Ihnen gemacht?
PFANNENSTIEL Ich wurde 48 Stunden verhört, ehe ich überhaupt erfahren habe, was mir vorgeworfen wird. Die Richterin hat schließlich gesagt: Sie werden verurteilt, weil Sie auffällig gut gehalten haben. Ich habe gesagt: Wenn das wirklich der Fall ist, können Sie mich wegsperren, weil ich würde wieder auffallend gut halten. Dann musste ich ins Gefängnis.
Wie hat Sie diese Zeit geprägt? PFANNENSTIEL Ich wusste, ich habe nichts getan und musste 101 Tage in einer Zelle verbringen. Die gesamte Situation war sehr prägend. Ich ziehe seither immer das Positive aus allen Geschichten. Ich weiß jetzt, was wirklich wichtig ist im Leben. Fußball ist sicher nicht das Wichtigste im Leben, auch wenn ich ihn sehr liebe. Aber was ist wichtiger? Ehrlichkeit, Familie, meine Eltern, Spazierengehen, zu essen und zu trinken, was du willst. Ganz einfache Dinge. Ich bin kein perfekter Mensch, aber ein besserer als vor dem Gefängnisaufenthalt. Bei so einem Werdegang haben Sie bestimmt keine Angst mehr vor einem Job. Hatten Sie dennoch Respekt vor der Aufgabe bei Fortuna? PFANNENSTIEL Respekt ist wichtig, aber wenn du Angst hast, bist du zum Scheitern verurteilt. Fortuna ist ein großerVerein mit einem emotionalen Umfeld. Ich sehe das vielmehr als aufregend und spannend an.
Das emotionale Umfeld haben Sie schnell beim Theater um die Vertragsverlängerung mit Friedhelm Funkel kennengelernt. Auch Sie wurden schnell angefeindet. Haben Sie sich da gefühlt wie im falschen Film?
PFANNENSTIEL Nein, gar nicht.Wenn man in neue Strukturen kommt, läuft nicht alles sofort reibungslos. Das ist völlig normal.
Sie wurden in den Sozialen Medien auch unter der Gürtellinie beleidigt. Wie haben Sie das verarbeitet? PFANNENSTIEL Aus dieser Situation habe ich mitgenommen, welch großer Zusammenhalt hier rund um denVerein und in der Stadt herrscht. Diese Emotion habe ich am Ende positiv und nicht negativ wahrgenommen. Ich sehe: Hier kann man gemeinsam etwas bewegen.
Sie sitzen im Vorstand neben dem Vorsitzenden Robert Schäfer und dem ehrenamtlichen Sportvorstand Erich Rutemöller. Wie wichtig ist es, sich in diesem Gremium freizuschwimmen und jetzt Pflöcke einzuschlagen?
PFANNENSTIEL Das Zusammenspiel funktioniert hervorragend. Meine Kernkompetenz ist der Sport, dafür bin ich verantwortlich. Aber das geschieht in enger Abstimmung mit Erich, den ich seit vielen Jahren kenne. Das Dreigestirn funktioniert sehr gut.
Sie haben keine bestehende Position besetzt, sondern eine neu geschaffene. Dadurch kommt es automatisch zu Reibung, da Kompetenzen neu verteilt werden. Wie ist ihr Kontakt zur Scouting-Abteilung um Kaderplaner Uwe Klein? PFANNENSTIEL Ich habe mit allen Beteiligten wie Uwe Klein oder Robert Palikuca einen engen und intensiven Kontakt. Wir haben sehr gut im Januar zusammengearbeitet. Es gab die Liste der Fortuna-Scoutingabteilung mit interessanten Spielern und meine. Da gab es viele Überschneidungen.
Auf welcher Liste stand Kownacki? PFANNENSTIEL Der stand auf der Mannschaftsliste von Sampdoria Genua. Uwe Klein ist jedenfalls ein erfahrener Mann, der ist lange im Geschäft, der weiß, welche Zielmärkte wir haben.
Und welche sind das? PFANNENSTIEL Wir orientieren uns an der Reserverunde der Premier League, an Holland, Belgien, Österreich, Schweiz. Und man muss die exotischeren Märkte wie Südamerika oder Südafrika im Auge behalten.
Nehmen Sie uns mit in die Transferphase. Wie läuft das ab? PFANNENSTIEL Ich hatte im vergangenen Jahr zum Beispiel kein Weihnachten. Mein linkes Ohr hat geglüht vom Telefonieren. Meine Frau hat das nicht als sehr familiär wahrgenommen. Aber das ist eine wichtige Zeit, bevor alle ins Trainingslager fahren. Da muss man fleißig sein. Am 31. Januar steht dann das Finanzielle im Vordergrund. Viele Transfers werden künstlich hinausgezögert, damit der abgebende Verein möglichst viel Geld herausschlagen kann.
Shinji Kagawa war schon fast in Hannover und ist dann doch von Dortmund zu Besiktas gewechselt. PFANNENSTIEL Viele Fans haben mich angesprochen: ,Warum schlaft ihr denn alle und holt nicht den Ka-
gawa? Der wohnt in Düsseldorf.’ Ich sagte dann: Ich habe von Kagawa geträumt. Aber als ich mich mit den Dortmunder Verantwortlichen über die Finanzen ausgetauscht hatte, bekam ich Alpträume. Der BVB spielt finanziell in einer anderen Liga als wir. Ein Spieler wie Kagawa ist für uns nie und nimmer machbar. Ganz einfach.
Wie würden Sie den Beziehungsstatus zu Friedhelm Funkel bezeichnen?
PFANNENSTIEL Wir hatten und haben ein gutes Verhältnis, das nach der Kennenlernphase immer intensiver wird. Es ist ein gesunder Austausch.
Wie funktioniert das Netzwerk Lutz Pfannenstiel?
PFANNENSTIEL Netzwerke zu bauen und zu haben, ist in meiner Funktion sehr wichtig. Man kennt sich in der Bundesliga auf dieser Ebene. Für mich ist mein internationales Netzwerk wichtiger – vor allem nach England, nach Belgien, nach Holland, nach Brasilien, in die afrikanischen Länder. Global gut aufgestellt zu sein, ist enorm wichtig, um schneller informiert zu werden als andere, wo interessante Spieler sind.
Welche Visison haben Sie denn von Fortuna Düsseldorf? PFANNENSTIEL Für uns ist klar, wir wollen uns in der Bundesliga etablieren. Wir wollen in eine Saison gehen, ohne zu wissen, dass wir sowieso gegen den Abstieg spielen. Eintracht Frankfurt ist ein gutes Beispiel, das von denVoraussetzungen vor ein paar Jahren mit Fortuna heute zu vergleichen ist. Fredi Bobic hat daraus in vier, fünf Jahren einen Verein gemacht, der nun Spieler mit zweistelligen Millionenmarktwerten hat, der zwei Mal im Pokalfinale war, die Bayern geschlagen hat und nun in Europa gegen große Klubs gewinnt. Wenn das ein Verein wie die Eintracht so hinkriegt, dann ist vieles im Fußball möglich.