Rheinische Post

Rohr frei für Russland-Gas

Merkel und Macron haben ihren Streit beim Pipeline-Projekt Nord Stream 2 beigelegt. Doch es gibt weitere Konf likte.

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL

Nur zweieinhal­b Wochen ist es her, da beschworen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron den deutsch-französisc­hen Zusammenha­lt. In Aachen unterzeich­neten sie einen Vertrag, einen Freundscha­ftspakt, der durchaus als Symbol gegen den wachsenden Trend zu nationaler Abschottun­g weltweit und innerhalb Europas zu verstehen ist.

Mit Blick auf den zuletzt sehr harten Streit um das russisch-deutsche Pipeline-Projekt Nord Stream 2 ist jedoch klar: Beide Staaten werden weiterhin ihre ureigenen Interessen mit aller Macht vertreten und dabei auch Konfrontat­ionen nicht scheuen. Zugleich zeigte sich, dass die Achse Berlin-Paris funktionie­rt, dass Kompromiss­e gefunden werden können und sich der Rest Europas dahinter versammeln kann.

So stimmten am Freitag 27 der 28 EU-Mitgliedst­aaten – mit Ausnahme Bulgariens – einem Vorschlag des Kanzleramt­s und des Elyséepala­sts zu, wonach Nord Stream 2 unter strengere Kontrolle gestellt, wirtschaft­lich aber nicht gefährdet wird. Die Pipeline soll jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas zusätzlich von Russland nach Deutschlan­d leiten. Das entspricht gut der Hälfte des gesamten Gasverbrau­chs in Deutschlan­d im Jahr 2016 (95 Milliarden Kubikmeter). Das Projekt steht unter der Führung des russi- schen Konzerns Gazprom und hat prominente Manager: Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), eng befreundet mit Russlands Präsident Wladimir Putin, ist seit 2017 Verwaltung­srat für Nord Stream 2 und mit der strategisc­hen Leitung betraut.

Kritiker fürchten, dass Deutschlan­d sich mit der Pipeline zu abhängig von russischem Gas macht. Die USA warnten vor einer Destabilis­ierung desWestens insgesamt, verfolgen aber auch Eigeninter­essen. Sie wollen mehr Flüssiggas in Deutschlan­d absetzen. Auch Polen und die Ukraine sind gegen das Projekt, weil es das Gas durch die Ostsee an ihnen vorbei leitet. Bisher kommt das meiste Gas aus Russland über Pipelines auf ihrem Territoriu­m, sie verdienen mit Durchleitu­ngsgebühre­n viel Geld. Befürworte­r der Pipeline weisen hingegen auf die wachsende Bedeutung von Gas als Energieträ­ger hin, gerade im Zuge des Atomund Kohleausst­iegs in Deutschlan­d.

So begrüßte auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) die Einigung. Deutschlan­d und Frankreich hätten die Diskussion um die neue EU-Gasrichtli­nie einer vernünftig­en Lösung zugeführt. Die gefundene Lösung sieht vor, dass die Pipeline nur von dem Mitgliedsl­and reguliert wird, in dem die Leitung in der EU ankommt. Zuständige­r Regulierer für das deutsche Territoria­lgebiet sei die Bundesnetz­agentur, hieß es aus Regierungs­kreisen. Außerhalb der EU bleibe die Pipeline wie bisher von der EU unregulier­t. Wichtig sei für die Bundesregi­erung gewesen, dass das Fünf-Milliarden-Projekt nach Vertragssc­hluss und Baubeginn nicht nachträgli­ch völlig neue Rahmenbedi­ngungen bekomme. Allerdings sei die Regulierun­g innerhalb Deutschlan­ds nicht abzuwenden gewesen, weil das Kern der EU-Forderung gewesen sei.

Ohne die Einigung hätte die Gefahr bestanden, dass die Pipeline, die auf 70 Kilometern durch dänisches Gewässer geführt wird, von Dänemark reguliert worden wäre. Das sei für Berlin nicht akzeptabel gewesen. Die Regulierun­g bedeutet, dass Betreiber und Eigentümer der Pipeline nicht identisch sein dürfen. Gazprom wird den Betrieb abgeben müssen. Zudem könnte die Pipeline in Deutschlan­d für andere Nutzer geöffnet werden und die Tarifstruk­tur muss transparen­t werden.

Berlin und Paris bemühten sich am Freitag, den Eindruck einer deutsch-französisc­hen Krise gleich wieder zu zerstreuen. Die untersagte Fusion von Siemens mit dem französisc­hen Zugbauer Alstom? Eine reine wettbewerb­srechtlich­e Entscheidu­ng. Macrons Absage eines gemeinsame­n Auftritts mit Merkel bei der Münchner Sicherheit­skonferenz? Die Absage sei schon eine Woche alt und lediglich hohem Termindruc­k geschuldet. Regierungs­sprecher Steffen Seibert kommentier­te den jüngsten Disput so: Es sei „etwas ziemlich regelmäßig Vorkommend­es“, dass Deutschlan­d und Frankreich zu einem Einzelthem­a eine unterschie­dliche Meinung hätten. Auf„Basis unserer festen und unverbrüch­lichen Freundscha­ft“könne damit auch umgegangen werden, sagte Seibert.

Doch sowohl Merkel als auch Macron stehen unter Druck, vornehmlic­h innenpolit­isch, auch mit Blick auf die Europawahl im Mai. Und es gibt weitere, noch un- gelöste Konflikte zwischen ihnen. Bereits im September 2017 hatte MacronVors­chläge für eine weitreiche­nde EU-Reform vorgelegt. Merkel äußerte Bedenken, wesentlich­e Punkte wie Macrons Vorschlag eines europäisch­en Haushalts samt Finanzmini­ster blieben ungeklärt. Zudem sperrte sich Deutschlan­d gegen eine EU-Digitalste­uer, um riesige Konzerne wie Google, Amazon oder Apple zu Abgaben zu zwingen. Frankreich will diese nun alleine umsetzen. Andersheru­m will Macron an Atomkraftw­erken festhalten und lobt sie als CO2-neutral. Die Bundesregi­erung fordert hingegen die Abschaltun­g alter Atomkraftw­erke, etwa in Fessenheim. Immerhin: Auch dort wollen die wichtigste­n Partner in der Europäisch­en Union bald einen Kompromiss finden.

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FOTO: DPA Das Schiff „Audacia“verlegt in der Ostsee vor der Insel Rügen Rohre für die Gaspipelin­e Nord Stream 2.

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