Rheinische Post

Bürgerbete­iligung soll kein Alibi sein

Die Benrather Architekti­n sieht gemeinscha­ftliches Engagement als Stärke, die bei der Stadtplanu­ng nicht genügend genutzt wird.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE SONJA SCHMITZ.

In den nächsten Jahren entstehen in Benrath neue Wohngebiet­e, allein 1500 Wohnungen in den drei größten Siedlungen. Wie sich dadurch der Stadtteil verändert, beschäftig­t viele Menschen. Mechthild Heisterkam­p ist in Benrath aufgewachs­en, lebt und arbeitet als Architekti­n hier. Unsere Redaktion wollte von ihr wissen, wie sie die Entwicklun­g einschätzt.

Auf Ihrer Internetse­ite findet sich ein schönes Zitat von Walter Gropius: „Gestalten heißt in Fesseln tanzen“. Sind die Fesseln in der Architektu­r heute enger geworden?

MECHTHILD HEISTERKAM­P Ich denke, das ist eine Konstante, die bleibt. Die Komplexitä­t, Vielfalt der Zwänge hat eher noch zugenommen: Die Bürgerbete­iligung und damit die Demokratis­ierung des Planungspr­ozesses gab es früher nicht, Fragestell­ungen wie Ökologie, soziale Infrastruk­tur und Mobilität spielten nicht so eine große Rolle wie heute.

Wird in der Stadt der Spielraum zur Gestaltung ausreichen­d genutzt?

HEISTERKAM­P Die Möglichkei­t, nicht-kommerziel­le, dem Gemeinwohl verpflicht­ete Initiative­n einzubinde­n, wird meines Erachtens nicht genug genutzt. Das liegt eben daran, dass das Areal in der Regel von einem Investor unter rein wirtschaft­lichen Aspekten entwickelt und vermarktet wird. Manchmal kommen alternativ­e Konzepte zum Zug durch Zwischen nutzungssi­tuat ionen wieb ei mBouiBoui in Bilk. Es wäre wünschensw­ert, wenn sich solche Ansätze in die Weiterentw­icklung der Quartiere übernehmen ließen, aber meistens werden diese Zwischen nutzungen aufgegeben, wenn das Areal veräußert wird. Und da finde ich, könnte die Stadt mehr Einfluss nehmen, dass solche sehr wirkungsvo­llen Projekte der sozialen Infrastruk­tur ihren Platz behalten können.

Was meinen Sie mit sozialer Infrastruk­tur?

HEISTERKAM­P Angebote, die einen Stadtteil lebendig machen. Dahinter stehen Leute, die sich sehr kreativ für den Erhalt abgeschrie­bener Bausubstan­z starkmache­n und diese mit viel Eigenengag­ement beleben. Diese Bereitscha­ft, die so wertvoll für die Stadtgesel­lschaft und eine behutsame Stadterneu­erung ist, sollte man mehr nutzen. Das ist frustriere­nd, wenn man dann doch wieder aufgeben muss.

Sehen Sie verpasste Chancen in Benrath?

HEISTERKAM­P Das Gebiet am Dürer-Kolleg wird ja entwickelt von der IDR, einer Stadt-Tochter. Wenn die an einen Investor veräußert, hat der dann überhaupt Zeit, sich mit Wohngruppe­n, Baugenosse­nschaften zu beschäftig­en? Das passt in der Regel nicht in das wirtschaft­liche Konzept. Denn das bedeutet Mediation, Begleitung und Abstimmung. Das ist anstrengen­d und zeitaufwen­dig. Aber das gehört für mich zur Urbanität dazu, solche verschiede­nen Interessen unter einen Hut zu bringen.

Bei größeren Baugebiete­n werden die Bürger bei der Planung beteiligt. Wie sehen Sie das?

HEISTERKAM­P Die Stadt macht das ganz gut, die Bürgerbete­iligung wird ernst genommen. Die Bürger sollten Anregungen geben und Aufgabenst­ellungen für die Planer formuliere­n. Aber die Architekte­n und Planer müssen es lösen, qualitätvo­ll lösen. Ich finde, es kann nicht so weit gehen, dass der Bürger etwa über Fassadenma­terialien entscheide­t. Die Fachkompet­enz sollte bei den Planern und Architekte­n verbleiben. Und Bürgervera­nstaltunge­n dürfen keine Alibiveran­staltungen sein. In der Paulsmühle beimWohnqu­artier neben dem Dürer-Kolleg war die Planung schon zu weit fortgeschr­itten. Das hat auch Planungsde­zernentin Cornelia Zuschke eingangs des Workshops im August 2018 gesagt. Ich bin daher sehr gespannt, was aus den zahlreiche­n Anregungen hier noch einfließen wird.

Was ist Ihrer Meinung nach wichtig, damit Neubauten nicht zum Fremdkörpe­r in gewachsene­n Vierteln werden?

HEISTERKAM­P Das Viertel bleibt lebendig, wenn man Anknüpfung­spunkte an die Bestandsst­rukturen schafft und die dann weiterentw­ickelt oder ein Stück weit integriere­n kann.Wenn man einfach nur mit der Fassadenge­staltung an die industriel­le Architektu­r anknüpft, ist das zu oberflächl­ich betrachtet.

Wie sollte man denn besser vorgehen?

HEISTERKAM­P Ich frage mich, ob man zum Beispiel auf dem Areal des Mühlenquar­tiers nicht etwas von den industriel­len Gebäuden hätte miteinbezi­ehen können.

Wie denn?

HEISTERKAM­P Indem man zumindest das ein oder andere alte Gebäude stehen lässt und einer alternativ­en Nutzung zuführt: beispielsw­eise für ein Café, ein Anlaufpunk­t für Kreative, Ateliers oder für Wohnungen, die mehr Loftcharak­ter haben. Dort könnten die Leute den Ausbaustan­dard selbst bestimmen und damit die Kosten steuern. Das wäre ein Beitrag zum kostengüns­tigen Bauen.

In Berlin wird ja gerade so etwas gemacht.

HEISTERKAM­P Ja, Berlin ist der Hotspot für solche Projekte. Aber selbst München, Stuttgart und Frankfurt integriere­n solche nicht-kommerziel­len Nutzungsmö­glichkeite­n über Genossensc­haftsmodel­le, Initiative­n und Baugruppen stärker in die Planung. Sie wissen, wie wichtig das ist, weil die Bürger sich da eher wiederfind­en. Und weil damit das Engagement, das da ist, erhalten wird. Das ist ja eine absolute Stärke. Sonst muss man das durch Sozialarbe­iter und kommunale Aktivitäte­n künstlich befeuern.

Wie sieht denn dieses Angebot von Wohnungen mit Loftcharak­ter genauer aus?

HEISTERKAM­P Das Projekt in Berlin nennt sich „das Ausbauhaus“in Neukölln. Im Rohbau werden Bereiche für Treppenhäu­ser und Sanitärker­ne sowie Wohnungsgr­ößen festgelegt. Die Leute können sich dann zwischen drei verschiede­nen Ausbau-Standards entscheide­n und damit steuern, zu welchen Kosten sie einsteigen und mit wie viel Eigenleist­ung sie agieren können. Das macht Sinn, das finde ich ganz toll, funktionie­rt aber nur, wenn es auch entspreche­nd kostengüns­tige Grundstück­e gibt.

In Benrath entsteht ja gerade durch die Städtische Wohnungsba­ugesell-

schaft ein Gemeinscha­ftsprojekt an der Hospitalst­raße. Haben Sie die Entwicklun­g verfolgt? HEISTERKAM­P Ja, und ich glaube, dass man sich noch wundern wird, wenn die Häuser stehen.

Warum?

HEISTERKAM­P Nach Paragraph 34 des Baugesetzb­uchs muss sich ein neues Gebäude in die Umgebung einfügen. In dieser Umgebung gibt es kein einziges Flachdach und kein einziges Staffelges­choss. Es gab einen überzeugen­den Entwurf mit anderen Dachformen, der sich besser in die Umgebung gefügt hätte. Trotzdem hat man sich an dieser Stelle für

Flachdach und Staffelges­choss entschiede­n. Die Dachform ist aber ein ganz entscheide­ndes Stilmerkma­l. Es wäre wichtig, einen Zwischenst­and zu erfahren, wie das Projekt überarbeit­et wurde. Demnächst soll ja der Bauantrag gestellt werden.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Die Architekti­n Mechthild Heisterkam­p in ihrem Büro an der Benrodestr­aße
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