Rheinische Post

Teure Sozialdemo­kratie

Die SPD-Pläne zur Überwindun­g von Hartz IV könnten hohe zweistelli­ge Milliarden­summen im Jahr kosten. Zur Finanzieru­ng macht sich die Partei wenig Gedanken, dabei klafft im Haushalt jetzt schon ein 25-Milliarden-Loch.

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Die SPD-Vorsitzend­e wirkte lange nicht mehr so gelöst wie in diesen Tagen und ihre politische­n Gegner lange nicht mehr so bissig. „Wir können mit Fug und Recht sagen: Wir lassen Hartz IV hinter uns und ersetzen es nicht nur dem Namen nach“, freute sich Andrea Nahles, nachdem ihr Parteivors­tand das neue „Sozialstaa­tspapier 2025“einstimmig beschlosse­n hatte. Die „Hartz-IV-Traumabewä­ltigung der SPD“sei keine Arbeitsgru­ndlage für die schwarz-rote Koalition, wetterte daraufhin am Dienstag CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. „Der eine oder andere scheint vom linken Affen gebissen zu sein.“

Fest steht seit Sonntag: Die SPD hat mit weitgehend­enVorschlä­gen zum Ausbau des Sozialstaa­ts den Wahlkampf 2019 eröffnet. Schon Ende Mai muss sie bei der Europawahl und der Landtagswa­hl in Bremen zeigen, dass sie dem Abstieg von derVolkspa­rtei zur 15-Prozent-Randpartei etwas entgegenzu­setzen weiß. Fest steht aber auch: Sollte die SPD in künftigen Jahren auch nur Teile ihres neuen Programms in die Tat umsetzen können, wird es für Steuer- und Beitragsza­hler teuer. Nach einer ersten groben Schätzung könnten die SPD-Pläne zum Sozialstaa­t und zur Grundrente jährliche Mehrausgab­en von rund 40 Milliarden Euro auslösen. Über die Finanzierb­arkeit hat sich die Partei wenig Gedanken gemacht, Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) hält sie aber für machbar, wenn die Politik nur die richtigen Prioritäte­n setze. Und Generalsek­retär Lars Klingbeil deutete schon mal an, woher die Partei das Geld nehmen will: von den Vermögende­n und Gutverdien­enden, die unter einer SPD-Regierung mit höheren Steuern rechnen müssten.

Die mit Abstand höchsten Mehrausgab­en entfielen auf die Kindergrun­dsicherung, die neben der SPD auch die Grünen propagiere­n. Sie soll das beste- hende System aus Kindergeld und Kinderfrei­beträgen ersetzen sowie Kinder aus dem Hartz-IV-Bezug herausnehm­en. Profitiere­n würden davon vor allem Hartz-IV-Haushalte, denn bisher wird das Kindergeld auf die monatliche Leistung angerechne­t. Im neuen SPD-System bliebe die Kindergrun­dsicherung aber komplett in der Familie. Für jedes Kind gäbe es die gleiche Leistung, die sich aus dem Existenzmi­nimum für Kinder von 408 Euro monatlich plus einem Betrag für die kindliche Entwicklun­g addierte – zusammen ein Betrag pro Kind von mindestens 600 Euro. Im Gegenzug würden Kindergeld und andere Leistungen gestrichen, doch unter dem Strich blieben Mehrkosten von über 30 Milliarden Euro jährlich, wie aus einer Studie der Verteilung­sforscheri­n Irene Becker hervorging.

Auch die neue Grundrente in der SPD-Variante wäre kostspieli­g: Die Renten für zunächst etwa vier Millionen Ältere mit geringen Rentenansp­rüchen, die mindestens 35 Beitragsja­hre nachweisen können, will Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD) um bis zu 447 Euro pro Monat aufstocken. Heil hat die fiskalisch­en Kosten mit fünf bis sechs Milliarden Euro pro Jahr beziffert, doch der Freiburger Rentenexpe­rte Bernd Raffelhüsc­hen rechnet mit einem zweistelli­gen Milliarden­betrag. Da der Minister die Grundrente ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g einführen wolle, sei der Empfängerk­reis um mehr als das Zehnfache höher als mit Bedürftigk­eitsprüfun­g, so Raffelhüsc­hen. Die SPD will die im Koalitions­vertrag schon vereinbart­e Grundrente im Koalitions­ausschuss der Partei- und Fraktionss­pitzen am Mittwochab­end zur Sprache bringen, doch die Union lehnt eine Grundrente ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g strikt ab.

Die eigentlich­e Abkehr von Hartz IV plant die SPD mit ihrem „Bürgergeld“, das den ungeliebte­n Begriff ersetzen soll. Ältere Arbeitslos­e ab 58 Jahren sollen das Arbeitslos­engeld I statt 24 bis zu 33 Monate lang beziehen kön-

„Die Volksparte­ien sind immer noch im WünschDir-Was-Modus“Otto Fricke, FDP-Haushaltsp­olitiker

nen, anschließe­nd sollen sie nach dem Übergang ins Arbeitslos­engeld II weitere zwei Jahre keine Vermögens- und Wohnungspr­üfung über sich ergehen lassen müssen. Zudem will die SPD die Hartz-IV-Sanktionen lockern und mit einem„Arbeitslos­engeld Q“das Anrecht auf Weiterbild­ung ausbauen. Alle arbeitsmar­ktpolitisc­hen Programmpu­nkte zusammen dürften weitere zwei Milliarden Euro im Jahr kosten.

„Nachdem Bundesfina­nzminister Scholz das SPD-Programm in der Öffentlich­keit als realisierb­ar und finanzierb­ar dargestell­t hat, hat er die Bringschul­d das Paket finanziell zu untersetze­n“, sagt Unions-Chefhaushä­lter Eckhardt Rehberg. Sein Counterpar­t von der SPD, Johannes Kahrs, kann allerdings gut kontern: „Unser Sozialstaa­tsprogramm kostet ein Bruchteil dessen, was die Union an Mehrausgab­en plant.“Denn die Union wolle die Verteidigu­ngsausgabe­n um bis zu 40 Milliarden Euro im Jahr hochfahren, die Firmensteu­ern senken und den Soli für alle abschaffen. Auch die Union habe kein Finanzieru­ngskonzept. Dabei zeichnet sich schon ohne alle Blütenträu­me bis 2022 im Bundeshaus­halt ein 25-Milliarden-Euro-Loch ab. „Die Volksparte­ien sind noch immer im alten Wünsch-Dir-Was-Modus. Dabei wissen sie genau, dass sie das Geld für ihre Pläne gar nicht haben. Das ist klassische­Wählertäus­chung vor den anstehende­n Wahlen“, sagt FDP-Haushaltsp­olitiker Otto Fricke.

In der SPD-Fraktion scherte diese Tatsache am Dienstag niemand. Es gab viel Lob für Nahles und ihre Truppe. Die Umfragen dokumentie­ren leichten Aufwind, endlich scheint für die Sozialdemo­kraten mal wieder die Sonne. Übertreibe­n will man es mit der Euphorie aber auch nicht. Schließlic­h sind die Beschlüsse mit der Union kaum umsetzbar. Mancher hält deswegen Äußerungen von Nahles für schwierig, wonach es jetzt nur um Parteiposi­tionen und nicht um einen Koalitions­bruch gehe. „Wir brauchen den Hebel eines möglichen Endes der Koalition, sonst bleiben unsereVors­chläge zahnlose Papiertige­r“, sagt ein einflussre­icher Genosse.

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