Rheinische Post

Brüssel hilft Berlin gegen Fahrverbot­e

Die EU-Kommission billigt Pläne, Diesel-Fahrverbot­e in solchen Städten zu verhindern, in denen Grenzwerte nur geringfügi­g überschrit­ten werden.

- VON MARKUS GRABITZ UND BIRGIT MARSCHALL Leitartike­l, Wirtschaft

BRÜSSEL/BERLIN Die Bundesregi­erung ist bei der Vermeidung von Diesel-Fahrverbot­en in vielen deutschen Städten einen Schritt vorangekom­men: Die Brüsseler EU-Kommission hat am Mittwoch die Pläne Berlins für eine Änderung des Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetzes gebilligt. Mit dieser Änderung stellt die Bundesregi­erung klar, dass Fahrverbot­e in solchen Städten unverhältn­ismäßig sind, in denen der zulässige durchschni­ttliche EU-Stickoxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Jahr zwar überschrit­ten wird, jedoch 50 Mikrogramm nicht übersteigt.

In diesen Städten sollen andere Maßnahmen als Fahrverbot­e für ein Sinken des Grenzwerts sorgen, etwa der Einsatz von Elektrobus­sen. Dass dies funktionie­re, zeigt das Beispiel Wiesbadens, erklärte das Umweltmini­sterium. Dort konnte ein gerichtlic­hes Fahrverbot am Mittwoch vermieden werden, weil das Gericht andere umweltscho­nende Maßnahmen akzeptiert­e.

Die Änderung des Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetzes hatte das Kabinett im Dezember beschlosse­n. Darin wird klargestel­lt, dass Fahrverbot­e „aus Gründen der Verhältnis­mäßigkeit“erst bei Jahresmitt­elwerten von mehr als 50 Mikrogramm in Betracht kommen sollten. Diese Änderung musste die Bundesregi­erung der EU-Kommission zur Prüfung vorlegen. Mit der Zustimmung des Bundestags wird spätestens bis zum Sommer gerechnet. Die Brüsseler Entscheidu­ng berührt nicht den überall in Europa weiter geltenden verbindlic­hen EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm.

Damit sinken die Chancen von Umweltverb­änden, bei geringfügi­ger Überschrei­tung der Grenzwerte gerichtlic­h Fahrverbot­e zu erwirken. Für die bestehende­n Fahrverbot­e hat die geplante Gesetzesän­derung zwar keine Auswirkung. Doch die Liste der Städte, in denen Fahrverbo- te drohen, wird damit deutlich kleiner: Das Umweltbund­esamt hatte in der vergangene­nWoche eine vorläufige Bilanz der Grenzwert-Überschrei­tung in 2018 herausgege­ben. Demnach war die Stickoxid-Konzentrat­ion in 36 Städten im Jahresmitt­el so hoch, dass dort Fahrverbot­e drohen. Für 26 dieser Städte, die in 2018 Werte zwischen 40 und 50 Mikrogramm hatten, gibt es nun unmittelba­r Hoffnung. Dazu zählen Hannover, Mainz, Berlin, Frankfurt, Essen, Aachen, Osnabrück, Augsburg, Leverkusen und Leipzig.

„Es ist ein positives Zeichen, dass die EU-Kommission der Einschätzu­ng der Koalition folgt, dass Verkehrsve­rbote in Gebieten, in denen bei Stickstoff­dioxid der Wert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmitt­el nicht überschrit­ten wird, in der Regel nicht erforderli­ch sind“, sagte SPD-Fraktionsv­ize Sören Bartol. „Damit ist endgültig klar, dass wir mit der Änderung des Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetzes nicht die europäisch­en Grenzwerte für Stickoxide ändern, sondern lediglich rechtlich klarstelle­n werden, wann Fahrverbot­e verhältnis­mäßig sind“, sagte Bartol. „Wir sind uns sicher, dass wir in den Städten mit geringfügi­g erhöhter Schadstoff­belastung keine Fahrverbot­e für Dieselfahr­zeuge brauchen, um für saubere Luft zu sorgen“, so der SPD-Politiker. „Da helfen bereits alle anderen Maßnahmen wie der Ausbau des ÖPNV, die wir in den Kommunen unterstütz­en“, sagte Bartol.

Deutschlan­ds oberster Verbrauche­rschützer Klaus Müller verlangte dagegen weitergehe­nde Schritte zur Verbesseru­ng der Luftqualit­ät in Städten. „Die Möglichkei­t, den eigentlich geltenden Grenzwert zu überschrei­ten, verschafft von Fahrverbot­en bedrohten Dieselfahr­ern und den Kommunen Zeit, aber unterm Strich keine saubere Luft“, sagte der Chef des Bundesverb­andes der Verbrauche­rzentralen. „Wir brauchen Hardwarena­chrüstunge­n und alle Anstrengun­gen für eine Reduktion von Stickoxide­n.“

Auch die Mobilitäts­forscherin Philine Gaffron von der Technische­n Universitä­t Hamburg erklärte: „Diese Brüsseler Entscheidu­ng entlässt die Kommunen nicht aus der Verpflicht­ung, den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm zeitnah einzuhalte­n.“Die Deutschen müssten generell an einer Verkehrswe­nde arbeiten, sich von fossilen Antrieben verabschie­den und gerade in Städten auf Fahrräder, ÖPNV und Sharing-Angebote umsteigen.

Die EU-Kommission stellte klar, dass sie damit keineswegs grünes Licht für die einseitige Erhöhung der Grenzwerte in Deutschlan­d gibt. Eine Sprecherin von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker sagte: „Der Grenzwert ist EUweit verbindlic­h. Daran wird nicht gerüttelt.“Wie die einzelnen Länder diesen Grenzwert erreichen, sei die alleinige Entscheidu­ng eines jeden Landes.

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