Rheinische Post

Kitas wehren sich gegen Impfgegner

In Essen haben fünf Kindertage­sstätten die Impfpflich­t eingeführt. Ärzte und Politiker begrüßen das, doch viele Eltern bleiben skeptisch.

- VON JAN DREBES UND JULIA ESCH

ESSEN/BERLIN In der oft unversöhnl­ich geführten Debatte um das Impfen gegen Masern und andere Krankheite­n haben Kindertage­sstätten in Essen Fakten geschaffen. Fünf Kitas, die zum Träger Kindertage­sbetreuung Behrwind gehören, nehmen als erste in der Region nur noch geimpfte Kinder auf – und gehen so gegen Impfgegner vor. Experten wünschen sich das als Regelfall in den Einrichtun­gen. „Natürlich sollten jetzt andere Kitas dem Beispiel von Essen folgen“, sagte der Sprecher des Berufsverb­andes der Kinderärzt­e, Hermann Josef Kahl.

Angesichts steigender Zahlen von Masernausb­rüchen hatte die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) Alarm geschlagen. 2017 waren in Europa knapp 24.000 Menschen an Masern erkrankt, 2016 waren es nur gut 5200. In Deutschlan­d hat es im Jahr 2018 rund 530 Fälle gegeben, 209 davon in NRW. Jetzt sprach die WHO ein Machtwort: Sie erklärte mangelnde Impfbereit­schaft zu den gegenwärti­g größten Gesundheit­srisiken der Welt. Von ihrem Ziel, die Masern bis 2020 auszurotte­n, ist die WHO derzeit weit entfernt.

Für Jutta Behrwind, Geschäftsf­ührerin der fünf privaten Kitas in Essen, war die Sicherheit entscheide­nd, um die Impfpflich­t durchzuset­zen.„Wir haben schon Kinder ab vier Monaten bei uns, die können noch gar nicht gegen alles geimpft sein.“Außerdem kämen täglich Geschwiste­rkinder und schwangere Mütter in die Einrichtun­gen. „Auch für die tragen wir Verantwort­ung.“Die Maßnahme richte sich nach den Empfehlung­en der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko) und sei mit der Kita-Leitung und den Elternvert­retern besprochen worden. Alle seien sich einig gewesen, sagte Behrwind.

Doch das gilt längst nicht überall. Mitunter stehen Eltern Impfungen kritisch gegenüber, fürchten Risiken und Impfschäde­n. In Internetfo­ren tauschen sie sich aus, teils sollen sie sogenannte Masernpart­ys organisier­en. Dabei treffen gesunde auf erkrankte Kinder, damit es zu Anste- ckungen kommt. Bereits 2005 gerieten Eltern an einer Montessori­schule in Oberbayern in den Verdacht, solche Partys organisier­t zu haben. Auch im Berliner Szenebezir­k Prenzlauer Berg häuften sich solche Meldungen. Ärzte warnen vor diesen „Partys“und sehen gar den Tatbestand der vorsätzlic­hen Körperverl­etzung erfüllt. „Impfschutz ist vor allem auch für jene Kinder wichtig, die aus gesundheit­lichen Gründen nicht geimpft werden können“, sagte Kinderarzt Kahl. Zu dieser Kategorie gehören etwa an Leukämie erkrankte Kinder. Aber auch Erwachsene mit Immunschwä­che und Säuglinge sind gefährdet. Für sie können Masern tödlich sein.

Doch eine Impfpflich­t gibt es bis heute nicht. Die meisten Kitas halten es derzeit wie die Diakonie Düsseldorf. „Wir befürworte­n, dass die in unseren Einrichtun­gen betreuten Kinder geimpft werden“, sagte Sprecher Christoph Wand. Die Eltern müssten bei Anmeldung eine Impfberatu­ng nachweisen.

Dabei ist das Thema längst in der Bundespoli­tik angekommen. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hatte sich bereits 2015, damals noch als Gesundheit­sexperte der Unionsfrak­tion, offen für die Einführung einer Impfpflich­t gezeigt. Damals sprach er von einer „historisch­en Chance, jetzt endlich über eine Pflicht zur Impfung die Masern in Deutschlan­d auszurotte­n“. Ob er dies nun als Ressortche­f aufgreifen wird, ist offen.

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