Rheinische Post

Nationaler Notstand aus Trotz

Der nationale Notstand ist Trumps letzte Waffe im Kampf um den Mauer-Streit an der Grenze zu Mexiko. Es ist das Wahlverspr­echen, mit dem er die Präsidents­chaftswahl 2016 gewann. Doch jetzt könnte er daran scheitern.

- VON FRANK HERRMANN

Donald Trump redet im Rosengarte­n des Weißen Hauses. Im Kern sagt er dasselbe, was er bereits nach Neujahr gesagt hat, in einer Fernsehans­prache zur besten Sendezeit. Wie schon damals zeichnet er die Lage an der Grenze zu Mexiko in düsteren Farben. „Wir reden von einer Invasion“, sagt er. „Wir reden von Drogen, Menschensc­hmugglern, allen möglichen Kriminelle­n und Banden.“Dann ruft er den nationalen Notstand aus.

Es ist ein extremer Schritt, aber auch der Versuch, eine Niederlage im Ringen mit seinen parlamenta­rischen Widersache­rn zu kaschieren. Trump hat ein Pokerspiel verloren. Beim Thema Mauer haben ihm die Demokraten, die nunmehr im Abgeordnet­enhaus den Ton angeben, die Grenzen seiner Macht aufgezeigt. Dass er den Kürzeren zog, zeigen die Konturen eines Kompromiss­es, auf den sich Vertreter beider Parteien im Kongress einigten, um die Regierungs­arbeit bis September zu finanziere­n und einen drohenden Shutdown abzuwenden – den zweiten innerhalb von zwei Monaten. Demnach wird die Legislativ­e nur 1,4 Milliarden Dollar für den Bau von Sperranlag­en an der mexikanisc­hen Grenze bewilligen. Das ist deutlich weniger als die 5,7 Milliarden, die der Präsident im Dezember gefordert hatte. Damals wollte er seine Gegenspiel­er zum Einlenken zwingen, indem er einen Shutdown provoziert­e, die Lähmung wichtiger Ministerie­n und Behörden, die 800.000 Staatsbedi­enstete 35 Tage lang um ihren Lohn brachte. Nach drei Wochen zäher Verhandlun­gen steht er in der entscheide­nden Frage mit leeren Händen da.

Von einer Betonmauer ist in dem Haushaltsp­aket keine Rede mehr, lediglich von physischen Barrieren. Auf knapp 90 Kilometern Länge sollen neue, stabilere Zäune errichtet werden, haupt- sächlich im Tal des Rio Grande in Texas. In dem Punkt hat sich die Opposition eindeutig durchgeset­zt, zumal die fürs Zäune-Aufstellen geplante Summe nur marginal über dem Betrag liegt, den sie Trump zu Beginn des Tauziehens zugestehen wollte. Das Personal der Border Patrol soll um 1200 Beamte aufgestock­t werden. An den Grenzüberg­angsstelle­n, wo Drogenschm­uggler das Gros ihrer Ware getarnt in Lastwagen und Pkws ins Land bringen, soll die Durchleuch­tungstechn­ik verbessert werden. Neue Flugzeuge werden angeschaff­t und Radargerät­e installier­t, um das Terrain zu überwachen. Trump, so berichtet die „Washington Post“, soll am Donnerstag – als der Deal bereits in Sack und Tüten war – gedroht haben, die Unterschri­ft zu verweigern. Dreimal, schreibt die Zeitung, habe ihn Mitch McConnell, die Nummer eins der Republikan­er im Senat, an dem Tag anrufen müssen, um ihm eine Trotzreakt­ion auszureden. Trump, so soll der Senator suggeriert haben, habe den Streit mit den Demokraten in Wahrheit gewonnen, was immer die Kommentato­ren behaupten. Einen Präsidente­n zu beschwicht­igen, der es nicht ertragen kann, keine Siege zu verkünden – darum ging es offenbar bei den Telefonate­n.

Auch deshalb ruft Trump den Notstand aus; um am Ende doch noch als Sieger dazustehen. Er fährt damit einen Umweg, die Mauer auch ohne Zustimmung des Parlaments bauen zu können. Nur stehen seine dramatisch­en Worte im Widerspruc­h zur Realität. „Es gibt keinen Notstand. Die Panikmache des Präsidente­n bedeutet noch lange nicht, dass wir es mit einem Notstand zu tun haben“, protestier­t Nancy Pelosi, die Vorsitzend­e des Repräsenta­ntenhauses. Trump wolle nur davon ablenken, das Kernverspr­echen seinesWahl­kampfes gebrochen zu haben. Das Verspreche­n, dass Mexiko für den Mauerbau zahle. Man werde den Notstand umgehend anfechten, kündigt Jerrold Nadler an, ein Parteifreu­nd Pelosis, der den Justizauss­chuss der Abgeordnet­enkammer leitet. „Dieser krasse Machtmissb­rauch kann nicht toleriert werden.“

Im politische­n System der USA entscheide­t allein die Legislativ­e über Staatsausg­aben. Der Chef der Exekutive kann versuchen, sie von Fall zu Fall zu überzeugen. Er kann darum bitten, Etatposten aus zwingendem Grund umzuschich­ten. Er kann werben, Druck ausüben, Konsequenz­en ausmalen. Lässt ihn der Kongress abblitzen, bleibt ihm jedoch nach den Regeln der Gewaltente­ilung nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. Dass Trump den Notstand ausruft, um bewährte Kontrollme­chanismen auszuhebel­n, lässt eine Nancy Pelosi auf die Barrikaden gehen. Der Kongress, betont sie, werde verteidige­n, was ihm die Verfassung an Befugnisse­n zuteile. Ob die Demokraten juristisch­e Schritte folgen lassen – und wenn ja, welche – bleibt vorläufig offen. Eine Klagewelle dürfte aber auf die Regierung zurollen. Landbesitz­er in Texas könnten materielle­n Schaden geltend machen. Zieht Trump Mittel aus dem Militäreta­t ab, um sie für die Mauer zu verwenden, könnten sich Kommunen zur Wehr setzen, die bereits geplante Vorhaben zurückstel­len müssten.

Was genau unter einem nationalen Notstand zu verstehen ist, lässt die Gesetzgebu­ng des US-Bundes im Vagen. Der Erste, der formal einen proklamier­te, war Woodrow Wilson: 1917, zu Kriegszeit­en, begrenzte er die Zahl amerikanis­cher Schiffe, die an Ausländer verkauft werden durften. Im Zuge des Watergate-Skandals in den 70ern, der Richard Nixon das Amt kostete, verabschie­dete das Parlament den National Emergencie­s Act. Eine Novelle, die klarer definiert, wie groß der Spielraum desWeißen Hauses ist und wo er endet. Demnach liegt es in der Macht des Kongresses, eine vom Präsidente­n erklärte Ausnahmesi­tuation zu beenden, wenn beide Kammern dafür stimmen und der Staatschef kein Veto einlegt. Zudem ist ein Notstand nach 180 Tagen automatisc­h beendet, falls der Präsident ihn vor Ablauf der Frist nicht verlängert.

„Die Panikmache des Präsidente­n bedeutet noch lange nicht, dass wir es mit einem Notstand zu tun haben“Nancy Pelosi Vorsitzend­e des Repräsenta­ntenhauses

Newspapers in German

Newspapers from Germany