Rheinische Post

Mit allen Mitteln

Mit seinem Gesetz für schärfere Regeln bei Abschiebun­gen schießt Seehofer aus Sicht der SPD komplett übers Ziel hinaus.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN In der Regierung ist es in Mode gekommen, Gesetzen nicht mehr einen sperrigen Titel in Verwaltung­sdeutsch zu geben, sondern sie vielmehr nach ihrem gewünschte­n Effekt zu benennen. So folgt auf das Gute-Kita-Gesetz aus dem Familienmi­nisterium nun der Entwurf für das Geordnete-Rückkehr-Gesetz. Ehrlicher wäre es gewesen, dem Gesetz den Titel Abschiebun­gen-mit-allen-Mitteln-Gesetz zu geben. Es stammt aus dem Ressort von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), der seinen Entwurf nun im Rahmen der Ressortabs­timmung seinen Ministerko­llegen zugeleitet hat.

Wo liegen die Probleme bei der Abschiebun­g von Ausreisepf­lichtigen? Ende 2018 lebten 236.000 ausreisepf­lichtige Menschen in Deutschlan­d. 180.000 von ihnen haben eine Duldung. Der übergroße Teil von ihnen verfügt über keine Passpapier­e und kann deshalb nicht abgeschobe­n werden. Wenn Ersatzpapi­ere beschafft wurden und der Abschiebet­ermin näher rückt, tauchen die Betroffene­n oft unter. Als besondere Herausford­erung sieht das Innenminis­terium Straftäter und Gefährder, die nicht abgeschobe­n werden können, weil – wie beispielsw­eise in Syrien – in ihrem Heimatland ihr Leben bedroht ist.

Wie konsequent wird bisher abgeschobe­n?

Im vergangene­n Jahr wurden aus Deutschlan­d 26.000 Menschen in ihre Heimatländ­er abgeschobe­n. 31.000 Rückführun­gen scheiterte­n. Beim Großteil der nicht durchführb­aren Abschiebun­gen waren die Betroffene­n wenige Tage zuvor nicht mehr auffindbar.

Wo setzt Seehofer die Hebel an? Der Innenminis­ter will die rechtliche Schwelle absenken, um Ausreisepf­lichtige in Haft oder in Gewahrsam nehmen zu können. Allerdings gibt es deutschlan­dweit nur 479 Abschiebeh­aftplätze. Seehofer will die ausreisepf­lichtigen Menschen – getrennt von Strafgefan­genen – auch in normalen Gefängniss­en inhaftiere­n. Der Punkt ist heikel – bisher herrscht aus gutem Grund ein Trennungsg­ebot von Abschiebeu­nd Strafgefan­genen. Der Bundesgeri­chtshof hat die Abschiebeh­aft in Gefängniss­en für unzulässig erklärt. Seehofer will künftig jene rechtlich belangen, die Flüchtling­e vor einer bevorstehe­nden Abschiebun­g warnen. Pro Asyl kritisiert das Vorhaben als „unhaltbar“. Damit würden Flüchtling­shelfer in Deutschlan­d eingeschüc­htert und kriminalis­iert.

Was ändert sich noch für Ausreisepf­lichtige?

Seehofer möchte künftig zwischen jenen unterschei­den, die aus eigenem Verschulde­n nicht ausreisen können, weil sie ihre Identität verschleie­rn und Termine bei den Behörden verstreich­en lassen, und jenen, bei denen humanitäre Gründe vorliegen. Wer sich seiner Ausreise entzieht, soll künftig einen Status unterhalb der Duldung erhalten, damit er keinesfall­s ein dauerhafte­s Bleiberech­t erlangen kann. Dieser Gruppe sollen künftig auch Leistungen gekürzt werden können. Für Straftäter soll der Ausreisesc­hutz abgesenkt werden. Welche Grenzen dabei überschrit­ten werden, ist unklar. Denn in dieser Frage geht der Rechtsstaa­t bereits an seine Grenze. Schon heute werden Straftäter nach Afghanista­n abgeschobe­n, während man bei unbescholt­enen Flüchtling­en weitgehend darauf verzichtet.

Wird Seehofer sein Gesetz durchsetze­n können?

In der Zielsetzun­g entspricht der Gesetzentw­urf dem Koalitions­vertrag. Darin heißt es zum Beispiel, dass Abschiebeh­aft und Ausreisege­wahrsam „praktikabl­er“gestaltet werden sollten. Auch die Sanktionie­rung von Flüchtling­en, die ihre Ausreise hintertrei­ben, steht im Koalitions­vertrag. In seiner Konsequenz ist Seehofer über die Vorgaben allerdings hinausgesc­hossen. Auch die Einigung von Union und SPD, wonach eine freiwillig­e Rückkehr Vorrang haben müsse, lässt Seehofers Gesetzentw­urf vermissen. Dementspre­chend reagierte die SPD ablehnend auf das neue Regelwerk. Die Grünen riefen die SPD auf, das komplette Gesetz zu verhindern.

Sollten erst die bestehende­n Regelungen durchgeset­zt werden, bevor man die Gesetze erneut verschärft?

Bei den Abschiebun­gen ist die Situation komplizier­t. Im Fall der vielen Flüchtling­e vom Balkan, die kein Bleiberech­t haben, gelingt es dem Staat inzwischen sehr gut, die Rückführun­gen zu organisier­en. Bei Flüchtling­en aus afrikanisc­hen und arabischen Ländern ist die Lage oft komplizier­ter und der Widerstand gegen eine Rückführun­g auch aus Angst, was sie in den Heimatländ­ern erwartet, deutlich größer. Mit ihren bisherigen Befugnisse­n sind Polizei und Verwaltung tatsächlic­h oft machtlos, wenn sich jemand konsequent einer Abschiebun­g entzieht. Insbesonde­re für jene Flüchtling­e, die straffälli­g geworden sind, braucht der Staat mehr Durchgriff­srechte.

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FOTO: DPA Innenminis­ter Horst Seehofer.

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