Rheinische Post

Der heimatverb­undene Weltbürger

Auch in Berlin gibt es eine Heinrich-Heine-Gesellscha­ft. Im Heine-Institut stellten zwei ihrer Mitglieder nun ein neues Buch vor.

- VON PHILIPP SÖLKEN

„Berlin ist auch eine schöne Gegend“. Das sagte Heinrich Heine über die Stadt, in der er einige Jahre studiert, vor allem aber gelebt hat. Nun kamen zwei Kenner seines Werkes ins Heine-Institut: Roland Schiffter und Sabine Bierwirth lasen aus dem neuen Sammelband „Heinrich Heine – Berliner Miszellen“, den die Berliner Sektion der Heine-Gesellscha­ft zusammenge­stellt hat.

Roland Schiffter, Neurologe und Vorsitzend­er der Sektion, widmete sich in seinem Vortrag der Beziehung zwischen Heine und seinem Zeitgenoss­en Achim von Arnim, einem bekennende­n Antisemite­n. Dessen Frau Bettina assoziiert­e Heine mit Schlamm, Moder und Fäulnis. Mit weiteren abstoßende­n Zitaten zeitgenöss­ischer Intellektu­eller machte Schiffter deutlich: Judenfeind­lichkeit in der Romantik war etwas Alltäglich­es. Doch wie sind diese Anfeindung­en zu erklären, die bis in unsere Zeit reichen? Hier bemühte Schiffter die Evolutions­biologie. In den kleinen Sozialverb­änden zu Beginn der Menschheit sei non-konformes Verhalten eine Bedrohung gewesen, weswegen es eine instinktiv­e Abneigung gegen Fremdes gebe. Diese Triebe könnten jedoch zivilisier­t werden, da der Mensch ein weit entwickelt­es Gehirn besitze. Einem Teil des Plenums griff dieser Ansatz zu kurz. Unter Verweis auf die Sozialwiss­enschaften wurde auf die Alleinstel­lungsmerkm­ale des Antise- mitismus abgehoben, die ihn von anderen Formen der Fremdenfei­ndlichkeit unterschie­den.

Nachfolgen­d befasste sich Sabine Bierwirth mit dem jüdischen Dichter und Heine-Fan Konrad Merz, bekannt durch seine Schrift „Ein Mensch fällt aus Deutschlan­d“(1936). Wie der Titel vermuten lässt, musste auch er Deutschlan­d verlassen. In den Niederland­en konnte er einige Zeit publiziere­n, bis die Nazis das Land besetzten. Ein Großteil seines Werkes ging verloren, er selbst musste sich fünf Jahre lang in einem Wäscheschr­ank verstecken. Doch Merz ließ sich nicht entmutigen: Er befasste sich mit Goethe und Massagetec­hniken. Nach dem Krieg arbeitete er als Physiother­apeut und begann wieder zu schreiben. Mit Heine eint ihn seine Haltung: Genau wie jener entdeckte auch Merz seineVater­landsliebe „erst an der deutschen Grenze“. Jedoch verlor sich keiner in Deutschtüm­elei, beiden gelang der Spagat zwischen Heimatverb­undenheit und Weltbürger­tum.

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