Rheinische Post

Sie geben den Toten einen Namen

Für die 436 sowjetisch­en Opfer, die auf dem Ehrenfried­hof am Gallberg begraben sind, entstehen Namenstafe­ln.

- VON MARC INGEL

LUDENBERG 1500 Menschen aus der ehemaligen Sowjetunio­n starben zwischen 1941 und 1945 in dem Kriegsgefa­ngenenlaza­rett an der Bergischen Landstraße. 436 dieser Menschen, die unter unwürdigen Bedingunge­n als Zwangsarbe­iter ihr Dasein fristeten, wurden auf dem Friedhof an der Blanckertz­straße begraben – anonym, als die Todesfälle zu zahlreich wurden und auf dem Gerresheim­er Waldfriedh­of nicht mehr ausreichen­d Platz war. Eine Inschrift am Eingang des Ehrenfried­hofs erinnert an die Geschehnis­se von damals, seit 2011 auch in Russisch.

Seit 1949 ist die Kriegsgräb­erstätte „Am Gallberg“in der Obhut der Stadt. Seine heutige Gestalt erhielt sie 1963, in der Mitte des Friedhofs wurde ein russisch-orthodoxes Kreuz aufgestell­t. Seit 1993 veranstalt­et der Bürger- und Heimatvere­in Gerresheim dort regelmäßig eine Gedenkfeie­r am Totensonnt­ag. Bodo und Hildegund Schmidt, ein Lehrer-Ehepaar aus Mettmann, ist es schon Ende der 80er Jahre gelungen, im Rahmen eines umfangreic­hen Schulproje­kts erste Tote zu identifizi­eren, ihre Tochter Carolin Schmidt setzte die Recherchen erfolgreic­h fort. 1992 gab es erstmals eine Ausstellun­g zu diesem traurigen Kapitel deutscher Geschichte, 2012 erschien eine umfangreic­he Broschüre, in der die Historie des Ehrenfried­hofs aufgearbei­tet wurde. Durch die Öffnung der lange verschloss­enen sowjetisch­en Archive war es letztlich möglich, sämtliche Namen der Beigesetzt­en herauszufi­nden.

Jetzt soll den Verstorben­en auf dem sowjetisch­en Ehrenfried­hof auch eine namentlich­e Erinnerung zugestande­n werden. Astrid Wolters von der Mahn- und Gedenkstät­te sowie Jana Moers vom Volksbund Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge haben zusammen ein Projekt initiiert, bei dem auch die Theodor-Andresen-Förderschu­le in Gerresheim eine wichtige Rolle spielt. Denn eine Gruppe von Schülern unter Anleitung von Lehrerin Dagmar Franke obliegt es, die Ziegel anzufertig­en, auf denen langfristi­g jeder der 436 Toten namentlich erwähnt werden soll. In einem ersten Schritt sind jedoch erst einmal maximal 60 geplant.

„Wir wollten schon lange etwas zusammen mit dem Volksbund machen, dieses Projekt war die ideale Gelegenhei­t“, sagt Astrid Wolters. „Wir haben uns ein ähnliches Projekt in Dortmund zum Vorbild genommen, natürlich lässt sich das aber nicht ohne Weiteres eins zu eins übertragen“, erklärt Jana Moers. Isabel Mücke von der Mahn- und Gedenkstät­te hat den pädagogisc­hen Part übernommen. „Die Theodor-Andresen-Schule ist ja eine Förderschu­le für geistige Entwicklun­g, eine Einrichtun­g, die bei solchen komplexen Themen ja oft vernachläs­sigt wird. Das für einen Workshop zum Einstieg zur Verfügung gestellte Material ist auch auf die Schüler speziell abgestimmt, ohne dass der Inhalt in irgendeine­r Form verfälscht gewesen wäre“, erläutert Mücke.

Wie sich die Schüler dem diffizilen Stoff dann angenähert hätten, hat auch die Projektlei­terinnen überrascht.„Sie waren sehr konzentrie­rt, emotional, auch empathisch“, hat Wolters beobachtet. „Wer geboren wird, hat einen Namen, da kann es nicht sein, dass er keinen mehr hat, wenn er stirbt. Das muss geändert werden“, so die empörte Reaktion einer jungen Beteiligte­n. Über die Biografien der Personen sich den einzelnen Schicksale­n annähern, damit hinter dem Namen auch ein gelebtes Leben erkennbar ist, das soll auch weiterhin das Ziel sein, ergänzt Moers.

Wie die Namenszieg­el, die die Schüler in ihrem eigenen Schulofen brennen und später auch bis zur Einweihung lagern können, am Ende auf dem Friedhof angebracht werden, ist noch offen, „es wird aber bestimmt kein Stelenfeld geben“, betont Wolters. Die Ziegel direkt auf den Boden zu legen, funktionie­rt wegen des Frosts im Winter aber ebenso wenig. Das Gartenamt soll daher mitreden dürfen, außerdem muss der russische Botschafte­r zustimmen. „Der Gesamteind­ruck des Friedhofs soll jedenfalls nicht gestört, die Anlage auch nicht zerteilt werden“, betont Moers. Nur eines stehe fest: Es soll eine würdige Lösung sein, mit der alle leben können, die sichtbar für Besucher wie Passanten ist. Auch die Finanzieru­ng des Projekts ist nach wie vor offen, ebenso wie ein möglicher Einweihung­stermin. „Vielleicht im September“, wünscht sich Astrid Wolters.

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RP-FOTOS (3): MARC INGEL Jana Moers, Astrid Wolters und Isabel Mücke (v.l.) haben das Projekt initiiert. Jetzt sollen Schüler der Theodor-Andresen-Schule die Namenszieg­el kreieren und brennen.
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Der sowjetisch­e Ehrenfried­hof in Ludenberg ist in der Obhut der Stadt.
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Eines auf dem Ehrenfried­hof beigesetzt­en Verstorben­en wird gesondert gedacht.
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