Rheinische Post

Und Gefangen täglichin einer grüßt Zeitschlei­feder Geiselnehm­er Porträt eines echten Freigeiste­s

- VON TOBIAS JOCHHEIM

WIESBADEN Dass jeder Tag ein Geschenk sei, stimmt ja durchaus, bloß ist das nur die halbe Wahrheit. Fairerweis­e muss man schon dazu sagen, dass diese Geschenke allzu oft mies verpackt sind, verhunzt bis zur Unkenntlic­hkeit. Zu dieser Erkenntnis der melancholi­schen Liedermach­er Gisbert zu Knyphausen und Nils Koppruch gelangt diesmal auch Murot. Das ist ihm hoch anzurechne­n, denn in „Murot und das Murmeltier“muss er einen besonders unschönen Tag wieder und wieder durchleben. Der theoretisc­h wunderbare Sommertag nämlich beginnt schlimm, mit einer Geiselnahm­e, und endet noch schlimmer, mit Murots Tod. Wieder und wieder und wieder schreckt der LKA-Mann morgens aus einem vermeintli­chen Alptraum hoch, der sich sodann im echten Leben fortsetzt.

Das Ergebnis ist eine prächtig gelungene Hommage an den Comedy-Klassiker „Und täglich grüßt das Murmeltier“mit Bill Murray von 1993. Jeder sollte diesen Film sehen – und sei es, damit sich Deutschlan­d am Montag ausnahmswe­ise mal über etwas anderes streitet als über Ausländer oder Kriminalit­ät oder Ausländerk­riminalitä­t. Denn zu diesem 1084. „Tatort“kann man nicht neutral stehen, das Urteil muss lauten: Durchgekna­llt, aber genial! Oder eben: Eine Frechheit, ein Affront, Gaga mit Gebührenge­ldern!

Nun ist nicht wegzudisku­tieren, dass das Konzept „Mensch ist in einer Zeitschlei­fe gefangen“grober Unfug ist, und entspreche­nd wohltuend ist es, dass sich hier niemand bemüht, das allen Naturgeset­zen widersprec­hende Geschehen irgendwie erklären zu wollen. Es ist eben einfach so, diese Prämis- se muss man schlucken. Der Drehbuchau­tor und Regisseur Philipp Brüggemann – zu Recht gefeiert für seinen „Tatort“-Erstling „Stau“(2017) – setzt Murot diesem Experiment aus wie ein Versuchsti­er. Der fürchtet schnell um seine geistige Gesundheit – ähnlich wie in seinem fünftem Fall „Wer bin ich?“, als man die Figur Murot gegen ihren eigenen Darsteller Tukur ermitteln ließ. Bloß potenziert.

Ulrich Tukur zeigt einen Parforceri­tt. Mal sammelt sein vom Job besessener Ermittler Murot methodisch Informatio­nen, um die Geiselnehm­er im nächsten oder wenigstens übernächst­en Anlauf ver- stehen und so zur Aufgabe zwingen zu können.

Mal verweigert er seine Mithilfe komplett, erscheint überhaupt nicht am Tatort, sondern tritt quasi in den Streik, indem er sich auf amüsantest­e Art anderswo verlustier­t. Mal geht er diesen verfluchte­n Tag in Todesangst an, mal mit dem Grundgefüh­l der Unsterblic­hkeit. Mal arrogant-aggressiv, mal aufreizend lässig.

Furios lebt der schwer geprüfte Murot seinen psychisch-emotionale­n Overkill aus, richtet seine Dienstpist­ole und auch andere Waffen gefrustet gegen mehr oder weniger unschuldig­e Menschen und unbestreit­bar unschuldig­e Gegenständ­e. Dieser „Tatort“ist ein Episodenfi­lm, der alle Genres und Gefühle durch den Fleischwol­f dreht, Slapstick und Moralismus, Klamauk und Drama, Krimi und Krimi-Satire – sprunghaft und unperfekt, aber kurzweilig und ohne das geringste Schuldbewu­sstsein.

Brüggemann sieht sich als Rächer der vom allgemeine­n Krimi-Overkill ermüdeten und genervten Zuschauer: „Es ist immer dasselbe, und es ist niederschm­etternd.“Die Idee, denselben Fall x-mal zu zeigen, lag für ihn deshalb „sehr nahe“. Das Stilmittel Tatort: Murot „Zeitschlei­fe“und das Murmeltier, betrachtet 20.15 er Uhr, dabei ARD als nur minimale Zu- spitzung des grauen Arbeitsall­tags: „Man steht jeden Morgen auf, fährt um dieselbe Zeit an denselben Ort, trinkt mit denselben Kollegen denselben Kaffee und führt dieselben Gespräche. Von diesem Zustand und von der Frage, ob man aus dieser Schleife aussteigen oder gar den Sinn darin finden kann, handelt der Film.“

Ein gut gemeinter Tipp: Hier ist der Weg das Ziel. Fiebern Sie bloß nicht auf die Auflösung hin, genießen Sie lieber diesen irren Trip. Und fragen Sie sich: Was würde ich eigentlich machen, wenn ich aus meiner Routine ausbräche, aller Trägheit und Angst zum Trotz? Und solange es gewaltfrei bleibt, tun Sie es doch einfach mal. Einen Versuch ist es wert.

„Tatort: Claude Murot Chabrol, und Filmemache­r das Murmeltier“, des Das Erste, stillen So., Skandals, 20.15 Uhr22.05 Uhr, ARTE

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FOTO:HR/MÜLLER/DPA Och nö, nicht schon wieder! LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) stirbt beinahe tausend Tode.

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