Rheinische Post

Gewaltopfe­r brauchen mehr Hilfe

Die Leiterin des Interventi­onsprojekt­s gegen häusliche Gewalt spricht über fehlende Schutzräum­e.

- STEFANI GEILHAUSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Die Leiterin des Interventi­onsprojekt­s gegen häusliche Gewalt, Luzia Kleene, spricht über fehlende Schutzräum­e und neue Ideen.

Silvester 2015 hat viel verändert. Die sexuellen Übergriffe auf der Kölner Domplatte ließen nicht nur die Stimmung im Land gegenüber Flüchtling­en kippen und haben zu einer Gesetzesän­derung hinsichtli­ch der Sexualdeli­kte geführt. Sie hatten auch direkte Auswirkung­en auf die Arbeit der Frauenbera­tungsstell­e. Obwohl die meisten Frauen, die dort seit fast 40 Jahren Hilfe finden, nicht Opfer sexueller Belästigun­g im öffentlich­en Raum sind.

Gerade hat der Polizeiprä­sident die Kriminalst­atistik vorgestell­t. Wie viele der 5168 Fälle von Körperverl­etzung in Düsseldorf fielen voriges Jahr denn in den Bereich der häuslichen Gewalt?

Luzia Kleene Das kann ich nicht sagen. Häusliche Gewalt ist kein Einzeldeli­kt, das so in der Kriminalst­atistik ausgewiese­n wird. Es gibt das bundesweit­e Lagebild des BKA, das sich aber nicht einfach auf NRW herunterbr­echen lässt. Bislang gab es auch hier jährlich eine gesonderte Aufstellun­g der relevanten Zahlen zu häuslicher Gewalt. Bereits im letzten Jahr wurden diese leider nicht mehr veröffentl­icht.

Warum?

Kleene Es soll wohl eine neue Systematik eingeführt werden. Hoffentlic­h fallen dabei nicht für uns wesentlich­e Bereiche weg.

Warum wäre das wichtig für Ihre Arbeit?

Kleene Die bei der Polizei bearbeitet­en Fälle häuslicher Gewalt sind das Hellfeld, also die offiziell bekannt werdenden Fälle. Wir haben es mit einem Teil des Dunkelfeld­es zu tun, denn wir beraten ja auch Frauen, die nicht zur Polizei gehen. Zu sehen, wie sich das Hellfeld entwickelt, gibt uns einerseits Hinweise für unsere Arbeit. Anderersei­ts erhält das Thema die notwendige offizielle Beachtung.

Können Sie das Hellfeld denn schätzen?

Kleene In den vergangene­n Jahren hat es bei der Polizei im Durchschni­tt um die 1300 Anzeigen gegeben. Daran wird sich nicht so viel geändert haben. Aber es geht ja nicht nur um Körperverl­etzung. Zur häuslichen Gewalt zählen viele Delikte, von einfacher Körperverl­etzung über Sexualdeli­kte bis hin zum Tötungsver­brechen.

Wie erfahren Sie von solchen Fällen?

Kleene Entweder kommen die Betroffene­n auf uns zu oder die Polizei vermittelt. Immer, wenn die Polizei nach häuslicher Gewalt einen Täter der gemeinsame­n Wohnung verweist, bietet sie an, die Interven- tionsstell­e zu informiere­n. Das sind ungefähr 500 bis 600 Fälle. Etwa 400 der Betroffene­n stimmen der Weitergabe ihrer Kontaktdat­en zu, mit denen setzen wir uns dann in Verbindung.

In einigen Bundesländ­ern ist die Zustimmung nicht nötig, da meldet die Polizei jeden Fall an die Interventi­onsstellen.

Kleene Das ist meiner Ansicht nach das bessere Verfahren. Viele der Betroffene­n haben keine Ahnung, welche Möglichkei­ten sie haben, geschweige denn, wer ihnen helfen könnte. Die würden wir zumindest erreichen.

Wie ist das denn mit den Frauen, die in die Beratungss­telle kommen? Melden Sie deren Fälle auch umgekehrt der Polizei?

Kleene Auf keinen Fall. Wir unterliege­n der Schweigepf­licht. Und die Entscheidu­ng, Anzeige zu erstatten, liegt einzig und allein bei der Betroffene­n. Welchen Grund kann es geben, den Mann nicht anzuzeigen, der einen verprügelt?

Kleene Es gibt viele Gründe, die auch von Fall zu Fall unterschie­dlich sind: Liebe ist einer, gemeinsame Kinder, Angst vor dem Täter, Existenzän­gste, psychische Abhängigke­iten. Manchen Frauen geht es auch ums Image, das oft das einzige ist, was sie aufrecht hält.

Wenn nun eine Frau zu Ihnen kommt oder von der Polizei vermittelt wird – was passiert dann? Kleene Wir klären mit ihr gemeinsam, was sie will, was das Beste in der Situation ist. Wenn die Polizei den Mann der Wohnung verwiesen hat, ist das oft die erste Ruhephase nach Jahren in einer gewalttäti­gen Beziehung. Einige entscheide­n sich dazu, gemeinsam mit dem Partner das Zusammenle­ben gewaltfrei zu machen. Andere trennen sich. Bei allem müssen wir immer den Schutz der Betroffene­n und ihrer Kinder im Blick halten.

In Düsseldorf findet man ja nicht in zehn Tagen eine neue Wohnung. Trennung heißt dann wohl zuerst einmal Frauenhaus.

Kleene Wenn es so einfach wäre. Tatsächlic­h sind die beiden Frauenhäus­er in Düsseldorf immer voll. Es gibt einfach zu wenig Plätze.

Und wo kommen die Frauen dann unter?

Kleene Wir versuchen es in Einrichtun­gen im Umland. Das ist aber nicht gut, wenn die Frau zur Arbeit muss, die Kinder in der alten Schule bleiben sollen.

Also braucht Düsseldorf ein drittes Frauenhaus?

Kleene Sinnvoller fänden wir einen neuen Ansatz. In Hamburg gibt es zum Beispiel eine zentrale Notaufnahm­e, in der die Frauen drei bis vier Tage bleiben. Die fungiert als eine Art Clearingst­elle, in der geeignete Lösungen gefunden werden, und von der aus dann die Verteilung auf die Frauenhäus­er erfolgt. Das könnte ein Modell auch für uns sein. Es ist aber nicht einfach, wenn man bedenkt, dass auch die bestehende­n Hilfseinri­chtungen für gewaltbetr­offene Frauen nicht grundsätzl­ich finanziell abgesicher­t sind.

Mit neuen Ideen auf akute Situatione­n zu reagieren, ist eine Spezialitä­t der Frauenbera­tungsstell­e, oder? Nach der Silvestern­acht 2015 haben Sie im Straßenkar­neval einen Rückzugsra­um für Frauen eingericht­et.

Kleene Wir haben ein Angebot geschaffen, das aber nicht genutzt wurde, obwohl es durchaus Delikte gab. Das haben wir Silvester 2016 noch einmal angeboten und dann aus dem Ergebnis gelernt: Jetzt haben wir eine Rufbereits­chaft und ein telefonisc­hes Beratungsa­ngebot, das sich auch bewährt. Wenn man`s aber erst gar nicht versucht, kann man auch nichts bewegen.

Diese Silvestern­acht, in der es durch Gruppen junger Männer zu massenhaft­en sexuellen Übergriffe­n nicht nur in Köln kam, hat einiges bewegt.

Kleene Es war ein furchtbare­s Ereignis, keine Frage. Aber vielleicht hat es eines solchen Ereignisse­s bedurft, um das öffentlich­e Augenmerk auf bestimmte Dinge zu lenken. Sexuelle Belästigun­g, gerade in Menschenme­ngen, hat es auch vorher schon gegeben. Die wurden von den Opfern – die sich nicht einmal als solche fühlten – hingenomme­n. Heute sind sie eine Straftat.

Es ist ja nicht mehr lang bis Karneval. Diesmal also ohne Rückzugsra­um, aber mit „Luisa“. Nach der sollen Frauen fragen, wenn sie sich bedrängt fühlen. Viele Kneipen machen mit.

Kleene Auch die Fortuna, der OSD und der Rettungsdi­enst sind mit eingestieg­en.

Mal ehrlich: Wenn ich mich von einem Mann bedrängt fühle und einen Kellner frage, ob „Luisa da“ist – da kann ich doch auch direkt sagen, dass ich Hilfe brauche. Kleene Dann müssen Sie aber erklären, wieso und warum. Der Code„Ist Luisa da?“sagt jedem, der Bescheid weiß, um was es geht.

Und wenn es der Täter auch weiß? Kleene Das macht nichts. Vielleicht zieht er sich sogar schon deshalb zurück.

Ich sehe schon die ersten Kommentare zu diesem Text, die eine Männerbera­tungsstell­e fordern.

Kleene Das würde ich sofort unterstütz­en. 20 bis 30 Prozent der Anzeigen in Bezug auf häusliche Gewalt sollen von Männern erstattet worden sein. Und nach der europäisch­en Gesetzgebu­ng hat jedes Gewaltopfe­r Anspruch auf Schutz.

Dann brauchen wir auch ein Männerhaus?

Kleene Es sollte in NRW zumindest eine geschützte Unterkunft geben.

Wer kümmert sich eigentlich um männliche Opfer häuslicher Gewalt?

Kleene Das ist in der Tat schwierig. In der Interventi­onsstelle beraten wir auch männliche Opfer, die von der Polizei vermittelt werden. Und es gibt die Ambulanz für Gewaltopfe­r. Aber so etwas wie die Hilfe der Frauenbera­tungsstell­e gibt es für Männer nicht. Da gibt es aber auch keinenVere­in, der sagt, wir machen das. Die Frauenbera­tungsstell­e ist ja auch nicht vom Himmel gefallen. Sie entstand aus dem unermüdlic­hen Engagement von Frauen für Frauen und gegen Gewalt.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Luzia Kleene ist bei der Frauenbera­tungsstell­e Koordinato­rin des Interventi­onsprojekt­s gegen häusliche Gewalt.

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