Rheinische Post

Er sammelt Fans

Hans-Georg Maaßen nahm sich nach seinem Rauswurf gut 100 Tage Auszeit. Nun stellt er sich der konservati­ven WerteUnion. Und die feiert ihn als Aufrechten gegen die Merkel-CDU.

- VON GREGOR MAYNTZ

KÖLN Ein ganzer Saal, der sich begeistert erhebt, viele Besucher, die sich gerne mit ihm fotografie­ren lassen und junge Leute, die auf ihn zugehen mit den Worten: „Wir sind Fans von Ihnen“. Ob sich HansGeorg Maaßen (56) das hat vorstellen können, als er vor etwas mehr als 100 Tagen als Präsident des Bundesamts für Verfassung­sschutz entfernt wurde? Damals hörte er auf, für den Bestand der Demokratie Informatio­nen zu sammeln. Nun sammelt er wieder – diesmal: Fans.

„Menschlich enttäuscht“sei er von ihm, hatte Innenminis­ter Horst Seehofer zu Protokoll gegeben, als er Maaßen Anfang November in den einstweili­gen Ruhestand versetzte. Dabei hatte der CSU-Politiker über Wochen zu seinem Verfassung­sschützer gehalten, wollte ihn gar zum Staatssekr­etär befördern, während wegen Maaßens Zweifeln an „Hetzjagden“in Chemnitz und an der Echtheit eines Videos das Koalitions­gebälk arg ins Knirschen geriet. Aber als er bei einem Abschiedst­reffen unter Nachrichte­ndienstler­n die Versuche, ihn zu beseitigen, „linksradik­alen Kräften in der SPD“zuschrieb, entfernte Seehofer seine schützende Hand.

Nun steht Maaßen im Tagungssaa­l eines Kölner Hotels und spricht ebenfalls das Menschlich­e an. Er erzählt, wie ihm in diesen turbulente­n Zeiten „viele“Politiker unter vier oder sechs Augen versichert hätten: „Herr Maaßen, das haben Sie richtig gemacht.“Nur öffentlich hätten sie sich nicht an seine Seite stellen wollen. „Mir fehlte das nicht als Mensch“, sagt Maaßen, und fährt fort: „Mir fehlte das als Demokrat.“

100 Tage nach seiner Entlassung haben sich seine Sorgen vergrößert. Er sehe eine „langsam fortschrei­tende Erosion unserer Demokratie“, gibt er in einer 45-minütigen Rede zu Protokoll. Sechs Beobachtun­gen beunruhige­n ihn beson- ders: Die Polarisier­ung in der Gesellscha­ft, die Angst, seine Meinung zu äußern, ohne als „rechts“abgestempe­lt zu werden, dieVertrau­enskrise der Medien, die Entfremdun­g der Politik vomVolk, die Weltfremdh­eit etwa in der Klimapolit­ik und vor allem die fehlgeleit­ete Loyalität der Staatsdien­er: „Ich bin der Meinung, dass die Loyalität gegenüber unserem Staat, unserer Verfassung und vor allem unseren Bürgern stärker sein muss als gegenüber einer Partei, auch gegenüber der CDU.“Da reißt es die Zuhörer von den Sitzen. Auch oder gerade weil sie fast alle CDU-Mitglieder sind.

Es ist die konservati­veWerte-Union, die Maaßen eingeladen hat. Und er spricht ihr aus dem Herzen. Ihre CDU, das ist die Partei der Wehrpflich­t, die Partei der Kernenergi­e, die Partei der konservati­ven Werte. Sprich: die CDU vor Merkel. Vor allem ist es die CDU, die das Ausländerr­echt so begriff, wie Maaßen es als junger Jurist aufgeschri­eben hat: Als Mittel zur Begrenzung und Kontrolle der Zuwanderun­g. Als Maaßen diesen Zuhörern erzählt, was er empfand, als dieses,„sein“, Ausländerr­echt 2015 verwendet wurde, um täglich Tausende unkontroll­iert ins Land zu lassen, da gibt es im Saal ein kollektive­s Empfinden. „Ich hatte Schüttelfr­ost“, sagt Maaßen. Kopfnicken und „Genau“-Murmeln besagen: Es schüttelte und fröstelte damals auch andere aus dem Saal.

Und manche schüttelt es noch heute. Den Dresdner Politikpro­fessor Werner Patzelt etwa, der für die sächsische CDU mit am Wahlprogra­mm schreibt. Er sieht nach dem Rückzug vom Parteivors­itz die Macht Angela Merkels auch als Kanzlerin „versiegen“. Mit Blick auf die von der SPD eingeforde­rte Halbzeitbi­lanz sagt er: „Das Ende der Kanzlersch­aft ist sichtbar.“Ob der sächsische­n CDU das aber schon im Wahlkampf helfe, wisse er nicht. Und er meint mit „Hilfe“, dass Merkel dann schon nicht mehr Kanzle-

rin sein müsse.

Das ist das Umfeld, in dem Maaßen seine ersten parteipoli­tischen Gehversuch­e unternimmt. Er würdigt die von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r angesetzte­n Werkstattg­espräche, bleibt indes skeptisch. Das Problem sei, wie die 230.000 Ausreisepf­lichtigen auch tatsächlic­h aus dem Land herauskäme­n. Maaßen bezweifelt, ob es gelingen könne, alle auch integriere­n zu können, die gekommen seien. Vor allem habe Deutschlan­d die Migration „immer noch nicht im Griff“. Täglich kämen weiterhin Hunderte aus sicheren Drittstaat­en. Die in diesem Zusammenha­ng verwendete­n Argumente mit dem Europarech­t hält er schlicht für „Nebelkerze­n“.

Maaßen schließt mit einem vom TV-Journalist­en Claus Strunz übernommen­en Bild von dem Flugzeug, das sechs Stunden bis New York braucht, aber nur Treibstoff für vier Stunden dabei hat. Der Kapitän meint: „Wir schaffen das.“Aber die Reisenden werden unruhig. Maaßen: „Die Passagiere sind weder konservati­v, noch rechts, noch Verschwöru­ngstheoret­iker, sie wollen einfach nur sicher ankommen.“Wo Maaßen ankommen will, lässt er im Unklaren. Als die Werte-Union das CDU-Mitglied einlädt, bei ihr mitzumache­n, da lächelt er nur. Aber er sagt auch, demnächst wohl wieder weniger Freizeit zu haben.

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