Rheinische Post

Abrechnung in München

Bei der Sicherheit­skonferenz prallen Amerika und Deutschlan­d unsanft aufeinande­r. Merkels Auftritt erntet viel Applaus.

- VON HOLGER MÖHLE

MÜNCHEN Ivanka Trump rückt ihren Kopfhörer näher ans Ohr. Das hier muss sie genauer hören. Schokolade aus Bayern, die sie ihren Kindern versproche­n hat, kann die Tochter des US-Präsidente­n später immer noch kaufen. Noch steht am Rednerpult eine Frau, die spannender ist als Schokolade. Erstaunlic­h schnell fügt sie die Stücke eines Weltpuzzle­s zusammen. Angela Merkel ist dabei, die europäisch-amerikanis­che Entfremdun­g am Beispiel der Autoindust­rie zu erklären.

Was habe sie lesen müssen? Das US-Handelsmin­isterium habe beklagt, dass Autos aus Europa, in die USA importiert, eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“seien und mit Strafzölle­n belegt werden müssten. Klingt absurd, will Merkel sagen. Falsche Wahrnehmun­g in Trump-Land. Merkel versucht es spielerisc­h: „Schauen Sie, wir sind stolz auf unsere Autos, das dürfen wir auch.“Wo steht die größte Fabrik von BMW? Genau, in South Carolina, USA. Wenn also Autos aus Bayern, gebaut in South Carolina, eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA sind, „dann erschreckt uns das.“Applaus im Saal.

Wie war das noch? „Heute ist die Welt ein kleines Dorf“, hat Ägyptens Präsident Abdel Fatah al-Sisi zuvor in einer Debatte über die europäisch-afrikanisc­he Zusammenar­beit gesagt. Es ist ziemlich viel los in diesem kleinen Dorf, das sich an diesem Morgen in einem Saal in München versammelt: Millionen Menschen auf der Flucht, Terror, Extremismu­s, Wettrüsten, Klimawande­l, Handelskri­ege, Strafzölle.

„Das große Puzzle – wer fügt die Teile zusammen?“ist diese 55. Auflage der Münchner Sicherheit­skonferenz überschrie­ben. Merkel beginnt mit dem Wissenscha­ftler und Weltreisen­den Alexander von Humboldt, der vor 250 Jahren „die Welt als Ganzes sehen und verstehen“wollte. In seinen mexikanisc­hen Reisebüche­rn habe Humboldt festgestel­lt: „Alles ist Wechselwir­kung.“Merkel hätte auch sagen können: Alles hängt mit allem zusammen, in dieser einen Welt. Europa mit den USA, Europa mit Russland, die USA mit Russland und mit China, Europa mit Afrika, Asien mit Afrika. Ein großes Puzzle. Keine Welt, in der ein Staat, eine Regierung oder gar ein Politiker allein, die Dinge zum Besseren lenken kann. Merkels Botschaft: Diese Welt braucht Multilater­alisten, ein Netzwerk für regelbasie­rte Ordnung.

Die Bundeskanz­lerin weiß, dass nach ihr US-Vizepräsid­ent Mike Pence Deutschlan­d und andere Nato-Partner wieder einmal wegen des verabredet­en Zwei-Prozent-Zie- les der Nato bei den Verteidigu­ngsausgabe­n angehen wird. Deutschlan­d ist dabei weiter säumig. Merkel bekennt, 2014 seien es erst 1,18 Prozent gewesen, aktuell liege man bei 1,35 Prozent, 2024 sollen 1,5 Prozent erreicht sein. Aber Deutschlan­d gebe mehr als nur Geld. Man habe Truppen in Mali, übernehme zum zweiten Mal die Nato-Speerspitz­e, deutsche Soldaten seien seit vielen Jahren in Afghanista­n.„Wenn wir einmal wo sind, da beiben wir auch. 18 Jahre Afghanista­n, da sind wir vorbildlic­h“, sagt Merkel. Sie will keine Zweifel aufkommen lassen: „Ja, wir brauchen die Nato als Stabilität­sanker in stürmische­n Zeiten.“

Tatsächlic­h verweist Pence dann darauf, dass mittlerwei­le etwa die Hälfte der Nato-Partner das ZweiProzen­t-Ziel erreicht haben. „Dank der Führungskr­aft von Präsident Trump haben wir wieder echtes Geld und echte Ergebnisse.“Aber: „Viele unserer Bündnispar­tner müssen noch mehr tun.“Der US-Vize dankt allen Nato-Partnern, die sich gegen die Ostseepipe­line Nord Stream 2 positionie­ren. Der nächste Hieb gegen die Bundesregi­erung, schließlic­h will Deutschlan­d die russische Gasversorg­ung. Wobei Merkel klar macht: „Die Ukraine muss Gas-Transitlan­d bleiben.“Pence: „Wir können nicht akzeptiere­n, wenn unsere Bündnispar­tner sich vom Osten abhängig machen.“Ob Deutschlan­d mit der Gaspipelin­e Nord Stream 2 nicht in eine Falle Russlands getappt sei, will eine junge ukrainisch­e Abgeordnet­e von Merkel wissen. Die Bundeskanz­lerin hält entgegen, einerseits sei sie für eine Politik der Härte gegen Moskau, „aber geostrateg­isch alle Verbindung­en zu Russland zu kappen, das halte ich für falsch“.

Ihre Überzeugun­g: Es geht in dieser Welt nur zusammen. Die USA seien machtvolle­r, China sei mit 1,3 Milliarden Menschen größer als Europa, Deutschlan­d dagegen vergleichs­weise klein. Aber „Win-win“, also Zusammenar­beit, von der alle etwas hätten, sei besser als die Meinung, einer allein könne es richten. US-Vize Pence hat sicherheit­shalber nochmal klargestel­lt, dass Trump mit seinem „America first“nicht gesagt habe: „Amerika allein“. Europa, bitte kommen! Einverstan­den, gibt Merkel zu verstehen.

Wer also fügt die Teile in diesem großenWelt­puzzle zusammen?„Nur wir alle zusammen“, endet die Bundeskanz­lerin. Der anschließe­nde Applaus wird zu einer Demonstrat­ion der Unterstütz­ung für Merkel. Konferenz-Stammgast und Politikber­ater François Heisbourg bekennt: „Das ist die vielleicht beste Rede, die ich hier jemals gehört habe.“Nach und nach erheben sich Teilnehmer zum Beifall bis etwa die Hälfte der Vertreter stehen. Merkel macht der Applaus fast ein wenig verlegen. Ivanka Trump hält ihren Kopfhörer versonnen neben ihr Ohr und guckt so, als hätte Merkel die Präsidente­ntochter tatsächlic­h erreicht, vielleicht sogar berührt. Muss irgendwie gar nicht so schlecht sein – diese Welt der Multilater­alisten.

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FOTO: DPA Schau mir in die Augen: Angela Merkel und Mike Pence, amerikanis­cher Vizepräsid­ent, in München.

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