Mit seinem emotionalen Sieg in Willingen avanciert Skispringer Karl Geiger zur Medaillenhoffnung für die WM.
Mit seinem Sieg in Willingen avanciert der Oberstdorfer zur Medaillenhoffnung für die anstehende WM.
WILLINGEN Karl Geiger steht mit zitternden Knien und Händen im Auslauf. Andreas Wellinger an seiner Seite blickt mit ihm hinauf zur Mühlenkopfschanze. Es ist dunkel geworden in Willingen. Flutlicht sorgt zusätzlich zu den 23.500 Fans für den passenden Hexenkessel zu diesem Showdown beim Skisprung-Weltcup im Sauerland. Die Fahnen der deutschen Fans wehen noch im Wind, da setzen die polnischen Fans zu ihrem Anfeuerungsgetöse an. Ihr Überflieger Kamil Stoch sitzt als letzter Springer des zweiten Durchgangs oben auf der Schanze. Er kann etwa zwei Meter kürzer springen als der Deutsche – und würde noch gewinnen. Aber Geiger hat, getragen von den vielen deutschen Fans, 150,5 Meter vorgelegt. Er ist der einzige, der an diesem Tag bis dahin über die 150 Meter gesprungen ist. Der Weltcup-Führende Ryoyu Kobayashi, nach dem ersten Durchgang noch vor Geiger, konnte da nicht mithalten. Nun kann nur noch „König Kamil“, wie die Polen ihren Olympiasieger nennen, einen deutschen Sieg in Willingen verhindern.
Stoch landet bei 144,5 Metern. Das reicht für Platz zwei, aber nicht, um die große deutsche Skisprungparty im Sauerland zu verhindern. Wellinger fällt seinem Kollegen um den Hals. Der jubelt, ballt die Fäuste, wirft sie gen Himmel, bedankt sich bei den Fans.
Das Stadion wird zu einem einzigen Meer aus deutschen und polnischen Fahnen. Gemeinsam feiern Stoch und Geiger ihren Erfolg. Gemeinsam singen die Fans die deutsche Hymne, als Geiger ganz oben auf dem Treppchen seinen Pokal in den Händen hält. Er ist der vierte Deutsche, der beim Heimspiel gewinnen kann. Zuvor ist das Sven Hannawald, Severin Freund und AndreasWellinger gelungen.„Es war ein unglaublicher Wettkampf. Es war eine unglaubliche Stimmung“, sagt ein noch völlig euphorisierter Geiger. „Da wollte ich für die Fans einfach einen raushauen.“Offenbar hatte er sich die Worte von Bundestrainer Werner Schuster zu Herzen genommen. Denn der hatte seinen Jungs vor dem Wettkampf geraten: „So einen Tag gibt es vielleicht alle zehn Jahre inWillingen, wo die Hütte voll ist und dazu noch so ein tolles Wetter. Genießt es, springt da runter und habt Freude dabei.“
Der Satz über die 150 Meter hatte Geiger definitiv Spaß gemacht. „Da war schon viel Adrenalien in mir“, sagt er und bekommt das Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht. Der 26-Jährige ist bekannt für gute Laune und Späße. In den vergangenen Wochen war ihm aber nicht immer zum Lachen zumute. Der Sieg bei der Generalprobe für die nordische Ski-WM in Seefeld kommt also gerade recht. Nach dem tollen Saisonstart blieben die Podestplätze bei Geiger und seinen DSV-Kollegen zu- letzt im Einzel aus. Aber wird Geiger das gute Gefühl von seinem Sieg diesmal beim Saisonhöhepunkt beflügeln? In dieser Saison hatte er bereits die Generalprobe vor der Vierschanzentournee gewonnen, das Springen in Engelberg im Dezember. Bei der Tournee lief es dann alles andere als gut. Geiger wirkte seit seinem Sieg längst nicht mehr so gelassen wie davor. Bundestrainer Werner Schuster hofft, dass er aus dieser Situation gelernt hat. Er müsse den Sieg nun gut einordnen, mahnt er. „Er hat sich den Erfolg über längere Zeit erarbeitet und dann hat er sich die Latte nach dem Engelbergwochenende selbst zu hoch gelegt“, sagt Schuster. Etwas verkrampft sei er nach dem Sieg in Engelberg an die Sache herangegangen. „Das ist wie ein Hochspringer, der mal 2,40 springt und dann immer 2,40 springen will“, bemüht der Bundestrainer einen Vergleich aus einer anderen Sportart. „Manchmal muss man aber auch mit 2,32 zufrieden sein, und er wollte halt immer 2,40 springen.“Es habe einen Moment gebraucht, bis Geiger das verstanden habe.
Bei der WM in Innsbruck und vor allem auf der kleinen Schanze in Seefeld rechnet Schuster Geiger mit seiner Athletik gute Chancen aus. Kann er sein Gefühl für Sprung und Landung auch nächste Woche auf die Schanze bringen, ist Geiger sicher zu den Medaillen-Kandidaten bei der WM zu zählen.
Am Sonntag musste sich Markus Eisenbichler nur Ryoyu Kobayashi geschlagen geben. Der Tournee-Zweite Eisenbichler machte mit Sprüngen auf 140 und 141,5 Meter seinen 36. Platz vom Vortag wieder gut. Geiger (137,5/138,5 Meter) landete auf Rang sechs, auch Richard Freitag (138 und 144 Meter) schaffte es als Vierter unter die Top-Plätze. Kobayashi sprang auf 146 und 144 Meter und sicherte sich damit auch den Scheck über 25.000 Euro für den besten Springer des Wochenendes.