Rheinische Post

94-Jähriger übt Selbstvert­eidigung mit Senioren.

Bei Edgar Geller lernen Ältere Techniken aus Taekwondo und Kickboxen. Der Überraschu­ngseffekt sei die beste Waffe der Senioren.

- Kontakt Edgar Geller gibt Informatio­nen zu seinem Angebot unter Telefon 0211 4846390. VON CHRISTOPHE­R TRINKS

Edgar Geller möchte seine rechte Hand an diesem Morgen nicht zur Begrüßung reichen – zu sehr würde das Gelenk heute schmerzen. „Das ist bloß das Alter, müssen Sie verstehen“, sagt der 94-Jährige. Noch in seiner Alltagskle­idung wirkt Geller auf den ersten Blick wie der nette Senior von nebenan, mit dem man gerne einmal zusammen eine Tasse Kaffee trinkt. Ein älterer Herr eben, dessen gutmütige Stimmung allerhöchs­tens von den kleinen Zipperlein des Alters getrübt werden könnte. Doch der Schein trügt. Erfordert es die Situation, schlägt Geller auch mit seiner Gicht geplagten Faust feste zu. Zeugnis davon bietet unter anderem sein Auftritt in der ZDF-Show „Hirschhaus­ens Quiz des Menschen“vor zwei Jahren, als Geller mit seinen Fäusten Bretter zu Kleinholz verarbeite­te. „Auch in alten Leuten steckt noch viel Kraft. Man muss dafür nur ihr Selbstbewu­sstsein stärken“, sagt er.

Genau das ist auch Ziel seines Selbstvert­eidigungsk­urses für Senioren: Er soll vor allem die „Hemmungen“bei den Teilnehmer­n senken. Hemmungen, die verhindern, dass sich ältere Menschen in brenzligen Situatione­n selbst verteidige­n können. „Die psychische­n Latten sind gerade bei Älteren sehr hoch gesetzt. Sie fürchten sich vor den Konsequenz­en. Schlägt der mich k.o., wenn ich zuerst schlage? Oder verletze ich ihn gar schlimmer, falls er mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlägt? Die Aggressore­n, Betrunkene zum Beispiel, beschäftig­en sich mit solchen Fragen nicht.“

Kommt es zu solch einer Situation, können sich seine Kursteilne­hmer mit einem Mix aus Techniken von Taekwondo, Judo, Kickboxen und Kung-Fu verteidige­n. Auch mit Schlägen, die im Wettkampfg­ebrauch verboten sind. „In solchen Situatione­n geht es darum, was man machen muss, und nicht, was man darf.“Direkt zuschlagen sei aber natürlich nicht immer die erste und beste Alternativ­e, weiß Geller. Doch in brenzligen Situatione­n sei der Überraschu­ngseffekt die beste Waffe der Senioren. Er gibt jedoch auch Tipps, wie man derartige Situatione­n überhaupt vermeiden kann. Beispielsw­eise die Straßensei­te vor einer auftauchen­den Gruppe suspekter Personen zu wechseln. Oder in der Straßenbah­n niemals am Fenster sitzen, um sich einen Fluchtweg frei zu halten. Mittlerwei­le konnte er mit seinen Ratschläge­n sogar ein ganzes Buch füllen.

Dabei war der Diplom-Ingenieur und Physiker eher per Zufall zum Kampfsport gekommen. Bei seiner Tätigkeit als Dolmetsche­r für fünf Sprachen, welcher er noch immer nachgeht, sah er auf einer Polizeiwac­he die Flyer für Kurse des Neusser Taekwondo-MeistersYo­o-Young Lee. Aus einem spontanen Besuch wurde eine Leidenscha­ft. Mit 88 Jahren legte er sogar noch den vierten Grad ab, der zum Meister berechtigt. Eine Motivation für ihn, den Selbstvert­eidigungsk­urs wieder aufzunehme­n: „Sehr zum Leidwesen meiner Frau. Aber ich mache das hauptsächl­ich für meine Psyche. Ich brauche einfach eine bestimmte Beschäftig­ung.“

Während des Interviews rufen im- mer wieder Interessen­ten an. Geller nimmt sich Zeit, mit jedem ausgiebig über seine Beweggründ­e zu reden. Zwar berichten nur wenige von wirklichen Ängsten, abends auf die Straße zu gehen. „Aber wir leben in solchen Zeiten, da wollen die meisten einfach nur vorbereite­t sein“, erwidert Geller. Mittlerwei­le ist der gebürtige Berliner selbst zu abgebrüht, um sich noch Sorgen zu machen. Das ein oder andere Mal musste er seinWissen jedoch schon anwenden. Erst neulich, als er eine Bekannte abends auf demWeg nach Hause begleitete, reichte sein entschiede­nes Auftreten zur Abschrecku­ng zweier Betrunkene­r, die sich aufdringli­ch näherten.

Ein bisschen Angst zeigt sich dann aber doch in seinen Augen – Geller spricht über seine beste Schülerin, eine 92-Jährige, die regelmäßig an seinen Kursen teilnimmt. Mit ihr einen Zweikampf zu führen, traut sich der nur unwesentli­ch Ältere nicht mehr zu. „Aus der ist nämlich mittlerwei­le eine richtige Kampfmasch­ine geworden.“

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Vor Kurzem erst reichte das entschiede­ne Auftreten von Edgar Geller, um zwei aufdringli­che Betrunkene abzuschrec­ken.

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