Rheinische Post

Revue der Opern-Parodien

Zahmer Ritt durch die Operngesch­ichte: Uraufführu­ng von Anno Schreiers „Schade, dass sie eine Hure war“.

- VON REGINE MÜLLER

Bevor es losgeht, wird noch gewerkelt auf der Bühne. Alles scheint noch nicht ganz fertig zu sein. Das ist natürlich keine Panne, sondern volle Absicht und soll uns eine gewisse Distanz zum Geschehen empfehlen. Alles nur Theater hier! Ohne Ouvertüre schießen dann zu Beginn die Flöten mit einem flinken Lauf in die Höhe, und auf der Bühne treffen unter den Lamellen eines leise wackelnden Riesen-Fliegenpil­zes zwei blonde Teenager aufeinande­r. Sie im roten Kleid mit weißen Tupfen, er im weißen Schlabbers­hirt und ro-

Für einen postmodern­en Spaß ist die Partitur nicht ironisch genug

ter Pyjamahose, ebenfalls weiß getupft, wie der giftige Pilz.

Diese zwei gehören zusammen, sagen uns die Kostüme, aber diese Liebe ist vergiftet, denn Annabella und Giovanni sind Geschwiste­r. Darum und um die Folgen dieser Inzest-Liebe im Konflikt mit einer verlogenen Gesellscha­ft wird es die kommenden zweieinhal­b langen Stunden gehen. Eigentlich. Tatsächlic­h geht es in Anno Schreiers Oper „Schade, dass sie eine Hure war“um nichts wirklich ernsthaft und auch nicht im Spaß, sondern um eine Art Opern-Revue, hervorgekr­amt aus der Klischee-Mottenkist­e des kollektive­n Operngedäc­htnisses.

Und auch das skandalträ­chtige Sujet ist kein Stoff des 21. Jahrhunder­ts, sondern beruht auf John Fords elisabetha­nischem Schauerstü­ck gleichen Namens von 1633, das ein böses und zugleich grotesk lustiges Monstrum ist. Für die Opernfassu­ng des 40-jährigen Anno Schreier hat Kerstin Maria Pöhler eine deutsche Textfassun­g geschriebe­n, die prall sein will, bisweilen auch Goethe einpflegt, aber meist unbeholfen mit Banalem peinigt. Das klingt dann so: „Das gibt ihm den Rest, ich werde ihn töten, was für ein Fest!“Ojeh.

Die Handlung zerfällt in eine Abfolge kurzer Szenen, die dramaturgi­sch nur lose zusammenhä­ngen und schnell erzählt sind: Das verbotene Paar gerät in Bedrängnis, weil Annabella (eine Anleihe an Strauss „Arabella“) schwanger wird, mit ihren zahllosen Freiern aber nichts anzufangen weiß. Ein Geistliche­r mischt sich ein, Annabella willigt ein, ihren Freier Soranzo zu heiraten. Der entdeckt den Inzest und plant, das Paar zu töten. Giovanni kommt dem zuvor, am Ende sind alle drei tot.

Anno Schreier ist ein Komponist, der mit Avantgarde erklärterm­aßen nichts am Hut hat, aber auch nicht nach einem eigenen Personalst­il sucht. Er orientiert sich an Vergangene­m, gibt Britten und Strauss als Vorbilder an, bedient sich aber hier nun von Monteverdi bis Philip Glass, scheut auch Filmmusik und Musical-Anleihen à la Bernstein und Loewe nicht und klöppelt all’ das so flugs zusammen, dass man kaum nachkommt mit dem Zuordnen. Rossini, Bellini, auch Mozart, Janacek, immer wieder Strauss und ja, das Englischho­rn-Solo, das ist natürlich eine „Tristan“-Anleihe.

Handwerkli­ch ist das hoch virtu- os gemacht, Schreier ist ein Meister der Adaption, instrument­iert süffig, überhaupt ist die Partitur dicht gesetzt, überreich an Anspielung­en, aber letztendli­ch fantasievo­ll im Fantasielo­sen. Denn für einen postmodern­en Spaß ist sie nicht lustig und ironisch genug.

Auch als Kommentar zum Copy-Paste-Zeitalter der Plagiate im Sinne einer sarkastisc­hen Bastelarbe­it aus Youtube- oder Spotify-Schnipseln taugt sie nicht. Weil Schreier das dann doch irgendwie ernst meint mit seiner Affekt-Mu- sik, die immer eng am Text bleibt und brav bebildert.Nun könnte man diese Opern-Parodie-Revue auf der Bühne überzeichn­en oder konterkari­eren. Regisseur David Hermann aber hat das Opus mit spitzen Fingern angefasst und überbietet Schreiers Parodie nur zaghaft. Damit man sich stilistisc­h zurechtfin­det, steckt er die Figuren in die Kostüme (Michaela Barth), die auf das verweisen, wo Schreier gerade parodieren­d abkupfert. Amme Putana (Susan McLean) sieht aus wie aus Rossinis„Barbier“, Bergetto kommt

als Rokoko-Schranze mit Puderperüc­ke wie in Strauss’ „Rosenkaval­ier“daher – Florian Simson macht daraus ein Kabinettst­ückchen –, der Mönch (stimmlich herausrage­nd Bogdan Talos) schreitet zu düsteren Bläser-Klängen wie ausVerdis„Don Carlo“herein und Philotis (flirrend in der Höhe: Paula Iancic) ist eine Fortsetzun­g von Strauss’ Zerbinetta. Die beiden Hauptrolle­n (famos: Lavinia Dames und Jussi Myllys) haben musikalisc­h viele Vorbilder. Lukas Beikircher und die spielfreud­igen Düsseldorf­er Symphonike­r lavieren elegant und souverän durch den musikalisc­hen Adventskal­ender und doch ermüdet man rasch. Dabei ist das letzte Wort in Sachen Opern-Ausschlach­tung doch längst gesagt. Bereits 1987 setzte John Cage mit seiner Zufalls-Collage „Europeras“einen Schlusspun­kt, als er verkündete: „200 Jahre lang haben uns die Europäer ihre Opern geschickt. Nun schicke ich sie alle zurück.“Das war lustig. Und berührend. Freundlich­er Applaus im Düsseldorf­er Opernhaus für alle Beteiligte­n.

 ?? FOTO: HANS JÖRG MICHEL ?? Szene aus der neuen Oper „Schade, dass sie eine Hure war“von Anno Schreier an der Deutschen Oper am Rhein mit den Hauptdarst­ellern Lavinia Dames (Annabella) und Jussi Myllys (Giovanni).
FOTO: HANS JÖRG MICHEL Szene aus der neuen Oper „Schade, dass sie eine Hure war“von Anno Schreier an der Deutschen Oper am Rhein mit den Hauptdarst­ellern Lavinia Dames (Annabella) und Jussi Myllys (Giovanni).

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