Jazz-Avantgardistin der Mode
Die Kunstmuseen Krefeld haben das deutschlandweit größte Konvolut der Entwürfe von Sonja Delaunay erworben.
KREFELD Donnerstags und am Wochenende hatte Sonia Delaunay ihre großen Auftritte im Bal Bullier. Das Tanzlokal im Quartier Latin war bis 1940 der Hotspot der Pariser Künstlerszene. Auch Studenten und Angestellte kamen, um einen Blick auf die Exoten zu erhaschen, die sich wild und farbig vom Bürgertum abhoben. Sonia Delaunay (1855-1979) hat eigens für ihre Besuche im Bullier Kleider entworfen. Die waren lärmend farbig, unerhört unkonventionell und so avantgardistisch, dass sie noch heute Aufsehen erregen.
Die Krefelder Kunstmuseen haben jetzt mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, des Landes NRW, der Stadt und privater Spender eine einzigartige Sammlung von gezeichneten Textilentwürfen Delaunays erworben. Für 650.000 Euro ging das umfangreichste Konvolut von Originalwerken der Künstlerin nach Krefeld: 100 farbige Arbeiten auf Papier, überwiegend Gouachen und Aquarelle, die zwischen 1920 bis Anfang der 1940er Jahre entstanden sind, sowie ein Textil-Musterbuch mit rund 900 Stoffmustern aus dieser Zeit.
Für die Kunstmuseen, zu denen das 1897 eröffnete Kaiser-Wilhelm-Museum und die von Bauhaus-Architekt Mies van der Rohe entworfenen Stadtvillen Haus Esters und Haus Lange gehören, ist es der größte Ankauf der Nachkriegszeit. Es ist ein gewichtiges Pfund im Konzept von Museumsleiterin Katia Baudin, das die Gründungsgeschichte des Hauses als Kunstgewerbemuseum aufgreift und die Verflechtungen von freier und angewandter Kunst spiegelt. „Kulturgeschichtlich repräsentiert das Konvolut das französische Pendant zur Geschichte Krefelds im frühen 20. Jahrhundert. Die Seidenindustrie in Lyon bildete Krefelds Konkurrenz“, sagt Baudin.
Sonia Delauny wurde 1885 in der heutigen Ukraine geboren, studierte in Petersburg und an der Kunstakademie Karlsruhe Malerei und ging 1904 nach Paris. Mit 25 war sie bereits eine Stilikone und in zweiter Ehe mit dem Künstler Robert Dealunay verheiratet. Gegenständliche Malerei hatte sie inzwischen aufgegeben. Kreise in bunten Farben waren nun ihr Thema. Daraus entwickelte das Ehepaar den sogenannten Orphismus, eine aus dem Kubismus entlehnte Kunstrichtung. Während ihr Mann sich mit Farbtheorie auseinandersetzte, verließ sich Sonia Delauny auf ihre Intuition und die Wahrnehmung von Farbe. Ihre Kleider waren rosa, scharlachrot, gelborange und dunkleblau – alles gleichzeitig und mit einem grünvioletten Gürtel versehen. Bei jeder Bewegung pulsierten die leuchtenden Farben, kalte und warme Komple- mentärfarben erschienen gleichzeitig. Auch Schwarz und Weiß hatten einen Rhythmus wie komponiert: Wären ihre Kleider Musik, sie klängen wie Jazz. Den Weg von der Abstraktion zum Stoff demonstriert die Sammlung auf besondere Weise. Kreise und Linien, mal vollendet ausgemalt, mal wie ebenhin auf Briefpapier skizziert, Abstecher ins Florale und immer wieder Farbe erzählen von einem Kosmos absoluter künstlerischer Freiheit. Die Sammlung ist nicht öffentlich zu sehen. Aber ein Patchwork-Kleid Delaunays und eine dazu passende Weste, die ihr Mann getragen hat, zeigt das Museum noch bis 24. Februar in der Ausstellung „Auf Freiheit zugeschnitten. Das Künstlerkleid um 1900 in Mode, Kunst und Gesellschaft“.
Info Kaiser-Wilhelm-Museum, JosephBeuys-Platz 1, Krefeld