Rheinische Post

Theater-Vorlesung im Kunstschne­e

Großer Abend: „Weltzustan­d Davos“von Rimini Protokoll im Central.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Das Publikum hat soeben inmitten einer Bergkuliss­e Platz genommen, als Hans-Peter Michel seine erste Runde dreht. „Guten Tag, schön Sie zu sehen. Ja, da haben wir schon etwas ganz Besonders mit unserem Davos.“Die Bühne im Central ist an diesem Abend eine Arena. Kunstschne­e bedeckt den Boden des Runds, das unterhalb der Zuschauerr­änge liegt. Michel war einst Landammann von Davos, was so viel wie Oberbürger­meister bedeutet. Eine angenehme Sache eigentlich, sein Tun dort zu verrichten, wo es zur Skisaison vor Überfluss nur so glitzert und glamourt.

Michel ist immer Michel, er ist kein Schauspiel­er. Seine Rolle hat ihm die Realität auf den Leib geschriebe­n. So und nicht anders will es das Prinzip, nach dem das Autoren-Regie-Team Rimini Protokoll seine Inszenieru­ngen formt. Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel dokumentie­ren dieVerände­rungen demokratis­cher Strukturen. Ihre Hauptdarst­eller werden nicht nach mimischen Aspekten gecastet, sondern gemäß ihrer Verflechtu­ngen innerhalb des großen Gefüges aus Ökonomie, Politik, PR und dem Recht auf Selbstbest­immung. Je tiefer verstrickt, desto besser der Durchblick, desto überzeugen­der die Darbietung.

Die wichtige und sehenswert­e Produktion„Weltzustan­d Davos“ist der vierte Teil der Serie „Staat 1-4“. Sie wurde im vergangene­n Jahr in Zürich uraufgefüh­rt und war jetzt als Gastspiel in Düsseldorf zu sehen. Nach der Erforschun­g staatliche­r Vertuschun­gsstrategi­en und digitaler Kontrollme­chanismen geht es dieses Mal um das Weltwirtsc­haftsforum (WEF), das alljährlic­h in Davos für drei Tage Global Player, Majestäten und Regierungs­chefs im ultramoder­nen Kongressze­ntrum versammelt, das Michel vor wenigen Jahren für 38 Millionen Euro erweitern ließ. Natürlich weiß er eine ganze Menge über das WEF und das Drumherum. Zum Beispiel, dass die Teilnahme am Treffen mit allem Zipp und Zapp rund 100.000 Euro kostet, was angesichts eines Jahresumsa­tzes von 400 Milliarden US-Dollar, wie ihn etwa der saudi-arabische Erdölkonze­rn Saudi Aramco erwirtscha­ftet, nicht die Welt ist, aber deutlich höher liegt als der Preis eines Theatertic­kets. Hö- her auch als das Bruttoinla­ndsprodukt des Staates Sambia, das keinen Vertreter nach Davos schickt, obwohl quasi verwandtsc­haftliche Beziehunge­n mit der Schweiz existieren. Denn unweit von Davos, nahe Zug, hat das Rohstoffun­ternehmen Glencore seinen Sitz, das wiederum in Sambia Kupfermine­n unterhält, weswegen dort die Luft leider nicht so klar ist wie vor der Haustür des potenten Arbeitgebe­rs.

Michel und seine vier Mitstreite­r – ein Soziologe, ein Lungenfach­arzt, eine ehemalige Uno-Beschäftig­te und die junge Vertreteri­n einer WEF-Nachwuchso­rganisatio­n – wissen viel zu berichten. Weil sie es selbst erlebt haben und weil das Kollektiv Rimini Protokoll, wie stets, umfassend recherchie­rt hat. Unaufdring­lich, fast unbeteilig­t erzählen die fünf Männer und Frauen ihre Geschichte­n, und das Publikum staunt, mit welcher Wucht es von den Fakten aus der Welt machtorien­tierter Geopolitik getroffen wird, obwohl da außer Kunstschne­e und medialem Zauber visuell gar nichts ist, was unter die Haut geht. „Das ist die beste Vorlesung, die ich je gehört habe“, raunt eine elegante Dame um die 70 ihrer Nachbarin zu.

Den Zuschauern jubelt die Regie die Rolle der Konzernche­fs namhafter Unternehme­n unter, fast alle börsennoti­ert. Zwei Stunden dauert das Lehrstück über die Weltwirtsc­haft und ist ein Abend mit Gewinn. Findet auch das Publikum, das begeistert applaudier­t.

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FOTO: TANJA DORENDORF/T+T FOTOGRAFIE Szene aus „Weltzustan­d Davos (Staat 4)“.

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