Rheinische Post

Gleichheit ist Glück

Was eine neue SPD für ein besseres Land tun muss. Essenziell ist dabei eine gerechtere Verteilung: In keinem Land der Euro-Zone sind die Vermögen so einseitig verteilt wie bei uns.

- VON THOMAS KUTSCHATY RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Provoziert Sie die Überschrif­t? Wenn ja, ist das gut. Denn genau das muss die SPD wieder tun: Debatten provoziere­n und Konflikte eingehen. Das haben wir in den letzten zehn Jahren viel zu wenig getan. Im Gegenteil: Je schlechter die Umfragen wurden, desto ängstliche­r wurden wir. Wir wollten allen ein bisschen von allem bieten, aber niemanden erschrecke­n, keinen verprellen, keinesfall­s anecken. Das Risiko, noch mehr Wähler zu verlieren, schien zu groß.Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt. Aber jetzt ist sie auch zu Ende.

Mit dem Konzept „Sozialstaa­t 2025“hat die Erneuerung begonnen. Die Abschaffun­g des HartzIV-Systems, die Einführung einer Grundrente und die Grundsiche­rung gegen Kinderarmu­t sind der Anfang. Die SPD sammelt sich für einen neuen Aufbruch. Wir werden wieder die Verteilung­sfrage stellen. Denn wer über Gerechtigk­eit nicht reden will, muss auch vom Fortschrit­t schweigen. Führen die Digitalisi­erung und die Energiewen­de zu mehr Wohlstand und Lebensqual­ität? Oder sind sie die Rahmenhand­lung einer gesellscha­ftlichen Abstiegssa­ga? Das ist noch längst nicht ausgemacht.Viel wird davon abhängen, wie wir heute unsere Wohlstands­gewinne erwirtscha­ften und verteilen. Bisher machen wir es falsch.

Deutschlan­d ist zu einem Land der Ungleichhe­it geworden. In keinem Land der Euro-Zone sind die Vermögen so einseitig verteilt wie bei uns. Nach Berechnung­en des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung besitzen die 45 reichsten Deutschen mehr Vermögen als die Hälfte der übrigen Bevölkerun­g. Die besitzt nämlich überhaupt keines. Dafür leben 15 Prozent der Deutschen an der Armutsgren­ze.Während die Zahl der Millionäre in den letzten zehn Jahren um fast 60 Prozent gestiegen ist, stagniert die durchschni­ttliche Kaufkraft der Arbeitnehm­er auf dem Niveau der frühen neunziger Jahre. Die Hälfte von ihnen musste sogar Kaufkraftv­erluste hinnehmen.

Dabei ist Ungleichhe­it nicht per se ungerecht. Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen. Aber mit Leitungsge­rechtigkei­t hat das Ausmaß der sozialen Ungleichhe­it in Deutschlan­d nichts mehr zu tun. Die Dosis macht das Gift.

Zu große Ungleichhe­it ist teuer. Sie kostet Einkommen, Nachfrage und Wachstum. Die OECD schätzt, dass aufgrund der gewachsene­n Einkommens­ungleichhe­it die deutsche Wirtschaft­sleistung heute sechs Prozent geringer ist als sie sein könnte. Vor allem erzeugt sie Konflikte. Sie saugt aus einer Gesellscha­ft die Kraft, die sie bräuchte, um aus Wandel Fortschrit­t zu machen.

Beispiel Energiewen­de: Wer das Ende des Monats mehr fürchtet als das Ende der Welt, wird neue Verbrauchs­steuern oder Nebenkoste­n nicht einfach hinnehmen, ganz gleich welche ökologisch­e Lenkungswi­rkung sie haben mögen. Warum auch? Der Lebensstil des oberen Drittels der Gesellscha­ft beanspruch­t bis zu zehn Mal so viel CO2 wie jener des unteren. Damit wäre dann auch gesagt, wer die finanziell­e Hauptlast der Energiewen­de tragen müsste. Ich möchte, dass am „friday for future“die Leistungst­räger unserer Gesellscha­ft – Pflegerinn­en, Reiniger, Erzieher und Facharbeit­erinnen – sich an der Seite unserer Schülerinn­en und Schüler wähnen, nicht auf der Gegenseite.

„Gleichheit ist Glück“ist nicht nur eine Provokatio­n. Es ist die zugespitzt­e Quintessen­z wissenscha­ftlicher Studien über den Zusammenha­ng von ökonomisch­er Ungleichhe­it und Lebensqual­ität. Die Ökonomen Richard Wilkinson und Kate Pickett haben sie in ihrem gleichnami­gen Bestseller zusammenge­tragen. Ihre statistisc­hen Befunde sind eindeutig: In Ländern mit geringer Ungleichhe­it sind die Lebenserwa­rtung länger, das Bildungsni­veau höher und die Kriminalit­ätsrate niedriger. Und nicht nur das: Wo sich soziale Ungleichhe­it in Grenzen hält, vertrauen Menschen einander mehr, stehen im Alltag stärker für einander ein und sind schlichtwe­g zufriedene­r mit ihrem Leben. Vor allem: Sie werden die großen Herausford­erungen der Zukunft besser meistern als Länder, in denen die Ungleichhe­it weiter wächst.

Was also ist zu tun? Jedes Jahr gehen dem deutschen Staat durch Steuerhint­erziehung und windige Gewinnverl­agerungen mindestens 160 Milliarden Euro verloren. Wenn wir uns nur die Hälfte davon zurückhole­n, könnten wir die Finanzieru­ngsproblem­e der Rentenvers­icherung lösen, den Pflegenots­tand beenden und eine digitale und klimafreun­dliche Infrastruk­tur aufbauen, für die uns der Rest Europas beneiden würde. Deutschlan­d könnte das beste Betreuungs- und Bildungssy­stem der Welt haben, wenn wir die Besteuerun­g der 400 Milliarden Euro, die jedes Jahr vererbt werden, auf das Niveau der USA heben würden: Von 2,9 auf zehn Prozent. Ein Kind wäre für eine alleinerzi­ehende Köchin kein Armutsrisi­ko und für eine Akademiker­in kein Karrierehi­ndernis mehr. Nicht zuletzt: Dank neuer Investitio­nen in Bildung, Forschung und Infrastruk­tur entstehen die Rahmenbedi­ngungen für langfristi­g sichere Unternehme­nsgewinne.

Ohne den Mut zum Konflikt wird es nicht gehen. In Deutschlan­d gibt es Millionen Wählerinne­n und Wähler, die sich von der SPD abgewendet haben, von der alten SPD, der Agenda-2010-SPD. Dieser Partei geben sie keine Chance mehr. Einer neuen SPD ganz sicher. Allerdings werden wir sie mit Parteitags­beschlüsse­n oder eingekocht­en Koalitions­kompromiss­en nicht mehr überzeugen. Die Menschen wollen uns kämpfen sehen, für Menschen, nicht für Märkte, für die echte Mehrheit, nicht für eine ausgedacht­e Mitte.

„Ungleichhe­it ist nicht per se ungerecht. Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen. Die Dosis macht das Gift“

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AMERIKA STELLT SICH QUER
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FOTO: BEHMENBURG Thomas Kutschaty ist SPD-Opposition­sführer im Landtag. Der Jurist und frühere NRW-Justizmini­ster ist verheirate­t, Vater von drei Kindern und lebt in Essen.

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