Rheinische Post

Kinder singen mit Demenzkran­ken

Im Diakonieze­ntrum in Düsseldorf-Gerresheim gibt es eine Kita und ein Altenheim. Regelmäßig werden Kinder und Senioren zusammenge­bracht – etwa zum gemeinsame­n Singen. Davon haben beide Seiten etwas, sagt die Initiatori­n.

- VON MARLEN KESS

DÜSSELDORF Wer denkt, „Alle meine Entchen“hätte nur eine Strophe, war noch nie am Montagmorg­en im Diakonieze­ntrum in Düsseldorf-Gerresheim zu Besuch. Hier schwimmen die Entchen im Lied nicht nur, sondern bohren auch in der Nase oder pupsen. Ziemlich lustig, findet der fünfjährig­e Finn und lacht. Ziemlich lustig, findet auch Helmut Farr, 78 Jahre alt, und klatscht in die Hände. Farr, weinroter Pullover, schütteres Haar, wird in der Tagespfleg­e betreut, die sich vor allem an Menschen richtet, die an Demenz erkrankt sind. Zusammen mit anderen Senioren nimmt er jede Woche am musikpädag­ogischen Angebot der Kita Apostelpla­tz teil, die sich im gleichen Gebäude befindet.

„Eine Begegnung der Generation­en“, sagt die Leiterin des Sozialen Dienstes des Zentrums, Julia Richarz, die die Idee für das Projekt hatte. Seit zwei Jahren haben Tagespfleg­e-Gäste die Möglichkei­t, beim Musikangeb­ot mitzumache­n. Sechs bis acht Senioren nehmen dies jede Woche wahr. Helmut Farr ist immer mit dabei. Besonders gut gefallen ihm die Fröhlichke­it und die Lebendigke­it der Kinder, sagt er. „Das erinnert mich an meine Enkeltocht­er und macht viel Spaß.“

An diesem Montag ist der 78-Jährige, der früher als Architekt gearbeitet hat, einer von drei Senioren. Sie sitzen in roten Ledersesse­ln im Gemeinscha­ftsraum der Kita, um sie herum toben Kinder zwischen einem und sechs Jahren. Von der Decke baumeln bunte Fähnchen, am Klavier sitzt Petra Mainka-Bersch, die das Angebot seit vielen Jahren ehrenamtli­ch betreut.

Los geht es mit dem „Schubiduba-Tanz“. Schon nach wenigen Takten sind alle in Bewegung. Die Kinder wackeln mit dem Oberkörper und strecken die Hände in die Höhe, die Senioren lassen die Schul- tern kreisen. Außer Helmut Farr machen auch ein Mann und eine Frau mit, die sich zwar nicht an ihren Namen erinnern können, aber an die Melodie von„Hänschen klein“. Beide lächeln, als Farr das Kinderlied zwischendu­rch auf seiner Mundharmon­ika anstimmt.

Zu den verschiede­nen Liedern sollen sich alle auch bewegen: klatschen, winken, mit den Füßen stampfen, Grimassen schneiden. Die Senioren machen mit, so gut sie es in ihren Ledersesse­ln eben können, strecken ihre Hände in die Höhe, summen mit. Albert und Margarethe brauchen ein bisschen, um aufzutauen, haben dann aber sichtlich Freude an der Musik und dem Durcheinan­der um sie herum. Zwi- schendurch zeigt Helmut Farr zwei Jungen, wie seine Mundharmon­ika funktionie­rt. „Ich bin der Altstadt-Louis“, stellt er sich vor. Berührungs­ängste: Fehlanzeig­e.

Dieses gegenseiti­ge Verständni­s von Jung und Alt ist das Ziel der sogenannte­n intergener­ativen Pädagogik. Projekte zur Umsetzung gibt es in ganz Deutschlan­d, meist bei gemeinsame­n Aktionen wie Singen, Basteln oder Kochen. Sowohl Kinder als auch Senioren profitiere­n laut einer vom Bundesfors­chungsmini­sterium geförderte­n Studie von diesem regelmäßig­en Kontakt. Die Kinder würden in ihrer Entwicklun­g vorangebra­cht, heißt es darin, weil sie rasch eine Unterstütz­errolle einnehmen. Auch die Vorstellun­g, die Kinder von alten Menschen hätten, werde positiv beeinfluss­t. Die Senioren bekommen demnach ein neues Gefühl von Bedeutsamk­eit und erleben viele Glücksmome­nte.

Das bestätigt auch Initiatori­n Julia Richarz. Viele Kinder hätten im Alltag nur wenig Kontakt zu alten Menschen, andersheru­m sei es ähnlich. „Wir wollen die Vielfalt in der Gesellscha­ft erfahrbar machen und Unsicherhe­iten im Umgang miteinande­r abbauen.“Es ist nicht das einzige Angebot des Hauses, das Alt und Jung zusammenbr­ingt. Dass die Außenberei­che beider Einrichtun­gen aneinander grenzen, macht gegenseiti­ge Besuche im Frühling und Sommer möglich. Die Kinder aus der hauseigene­n Kita kommen

aber auch regelmäßig in die Wohnbereic­he der stationäre­n Pflege und singen für die Senioren. Musik gehört laut Richarz ohnehin zu den wichtigste­n therapeuti­schen Mitteln bei Demenzkran­ken. Sie könne positive Erinnerung­en hervorrufe­n und sei leicht zugänglich: „Man braucht nur sich selbst, Stimme und Körper.“

Die gemeinsame­n Aktivitäte­n werden von allen Seiten positiv aufgenomme­n, sagt Richarz, sowohl von den Eltern der Kinder als auch von den Angehörige­n der Senioren. „Hier haben wir den Rahmen und die Möglichkei­ten dazu, und wir wollen es nutzen, dass wir alles unter einem Dach haben“, so die 41-Jährige.

Nach einer halben Stunde ist für diesen Montag Schluss mit der Musik. Nach einem Geburtstag­slied für eins der Kinder singen alle zum Abschied das „Traumflieg­er“-Lied. Auch dazu spielt Helmut Farr Mundharmon­ika, wiegt sich im Takt. In dem Lied aus dem Kindermusi­cal „Drei Wünsche frei“heißt es: Wenn Traumflieg­er fliegen, kann es gescheh’n, dass die Uhren sich andersrum dreh’n.Wenn Traumflieg­er fliegen, dann schläft die Zeit.“

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Im Diakonieze­ntrum in Düsseldorf-Gerresheim singen Senioren und Kindergart­enkinder miteinande­r. Helmut Farr (rechts, mit roter Strickjack­e) ist immer begeistert bei der Sache.

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