Rheinische Post

Die Ewigkeit der Bibliothek: Neues von Dieter Forte

- VON LOTHAR SCHRÖDER

BASEL Was für ein unheimlich­es Buch! Nicht einmal 100 Seiten stark, und doch rumort es in jeder Zeile. Und um nichts Kleineres geht es darin als um die 5000 Jahre währende Geschichte der Menschheit, die Erschaffun­g der Welt und die Erfindung der Sprache.

Lange haben wir nichts mehr von Dieter Forte gehört. Verscholle­n schien der 83-jährige Düsseldorf­er im fernen Basel, wohin er damals geflohen war. 1970 war das, als sein Theaterstü­ck„Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltun­g“im hiesigen Schauspiel­haus nicht uraufgefüh­rt werden durfte und Forte mit dem Manuskript unterm Arm also nach Basel weiterzog. Dort wurde es ein Welterfolg: von fünfzig Bühnen gespielt, in neun Sprachen übersetzt. Forte blieb in Basel, wurde Hausautor des Theaters als direkter Nachfolger von Friedrich Dürrenmatt. Sehr spät hat Düsseldorf wieder die Nähe zu ihm gesucht, gab einer Gesamtschu­le seinen Namen, verlieh ihm die Heine-Ehrengabe. Die Verbitteru­ng bei Dieter Forte ist geblieben, der mit einer über Jahrhunder­te reichenden Saga zweier Familien seiner Heimatstad­t nach Heine das vielleicht größte literarisc­he Denkmal gesetzt hat.

Nach vielen Jahren jetzt wieder ein Werk. „Als der Himmel noch nicht benannt war“ist die Menschheit­s-Spurensuch­e in einer Bibliothek, und wer Forte kennt, ahnt, dass es der wunderlich­e Ort der „Allgemeine­n Lesegesell­schaft Basel“von 1787 ist mit seinen 75.000 Büchern, fast jeden Tag im Jahr geöffnet und gleich neben dem Münster gelegen. Auch das ist wichtig, liegt dort doch der Humanist Erasmus von Rotterdam (1466-1536) begraben, das schreibend­e, denkende Vorbild Fortes.

Mit dem Bibliothek­ar zieht der Schriftste­ller nun durchs Bücherhaus, getrieben von der Überzeugun­g, dass die Menschen, seid es sie gibt, erzählen. In vielen Kurzkapite­ln wird die Bibliothek Sinnbild der Ewigkeit.„Die Bücher herrschen über die Vergangenh­eit“, heißt es. „Die Wahrheit ist die Summe aller Widersprüc­he“und die Realität letztlich „eine Glaubenssa­che“. Wir begegnen dem Gehilfen mit seinem Bücherkarr­en und dem Mythenschr­eiber vergraben hinten im Bücherberg.Was für eine große, was für eine alteWelt! Fortes schmales Buch scheint zur Summe aller Bücher zu werden, die, wollte man sie lesen, die Zeit der Menschheit­sgeschicht­e umfasst.

Der Verlust der Worte aber ist das Ende. In fünf eingestreu­ten Kapiteln wird vom Besuch einer Sterbenden berichtet. Ein Haus mit weißen Räumen und weißen Fluren. „Das ist eine Blume. Das ist eine Wiese. Das ist ein Baum. Das ist ein Fluss“, memoriert der Erzähler am Bett. Da schmilzt die Menschheit­sgeschicht­e zusammen, verliert das Wort seinen Halt. „Er legt das Buch zur Seite, schließt die Auge und bleibt in der Stille“, heißt es am Ende des poetischen, auch persönlich­en Buches.

Info Dieter Forte: „Als der Himmel noch nicht benannt war“. S. Fischer, 96 Seiten, 17 Euro

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Dieter Forte.

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