„Für uns ist der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung“
Freitags demonstrieren Schüler für eine andere Klimapolitik. Der Jugendrat erklärt, wieso.
Wir leben in bewegten Zeiten, das geht auch an den jungen Menschen der Stadt nicht vorbei. Viele engagieren sich aktuell politisch – ihr seid schon seit 2016 im Jugendrat. Warum?
NADA HADDOU-TEMSAMANI Ich habe über das Projekt „Jugend international“zum Jugendrat Kontakt bekommen. Wir sind einmal in der Woche mit jungen Geflüchteten losgezogen und haben Projekte gemacht. Das hat mich begeistert.
LUKAS MIELCZAREK Ich habe mich schon damals in der Schule engagiert, bin aber schnell an Grenzen gestoßen. Da bin ich dann auf den Jugendrat gestoßen. Drei Monate später war Wahl.
Lukas, du warst etwas über ein Jahr Sprecher des Jugendrats. Was hast du gelernt?
MIELCZAREK Unglaublich viel! Erst mal, dass Engagement sich lohnt. Ich habe gesehen, wie viel wir bewegen können und wie sehr wir wahrgenommen werden. Und ich habe gelernt, in der Gruppe zu vermitteln und bei Konflikten Leute wieder an einen Tisch zu bringen.
Nada, warum wolltest du Sprecherin werden? HADDOU-TEMSAMANI Mein Hauptinteresse war tatsächlich das, was Lukas gerade angesprochen hat: Ich will die Gruppendynamik stärken. Je besser wir uns verstehen, desto produktiver können wir arbeiten, desto mehr Leute kommen zu unseren Arbeitstreffen, desto mehr Themen können wir gut abdecken.
Aktuell wird viel darüber diskutiert, dass manche Schüler freitags nicht zur Schule gehen, sondern stattdessen für eine andere Klimapolitik demonstrieren. Ihr als Studierende nehmt auch an diesen Fridays-for-Future-Demos teil. Was ist der Gedanke dahinter? HADDOU-TEMSAMANI Was bringt Bildung, wenn wir keine Zukunft haben, um diese Bildung nutzen zu können? Der Hauptgedanke ist, ein Signal zu setzen, indem man nicht zur Schule geht. Dass die Schüler während der Schulzeit demonstrieren, bringt die Dringlichkeit viel mehr rüber, als wenn sie das in ihrer Freizeit täten. Es ist auch nicht so, dass uns Bildung und Schule egal wären. Was man in den zwei oder drei Stunden der Demo verpasst, arbeitet man nach.
Ihr sagt: Beim Klimawandel geht es für unsere Generation um die Existenz.
MIELCZAREK Das mag radikal klingen, ist aber realistisch. Dass es den menschengemachten Klimawandel gibt, ist ja keine Meinung, sondern eine Tatsache. Klimaforscher haben mehrfach bewiesen, dass der Klimawandel eine reale und akute Bedrohung ist – für die Menschheit und für die Zukunft des Planeten. Deswegen verstehen wir nicht, wie es immer noch sein kann, dass die Politik nicht handelt. Klimawandel-Leug- ner sind schlimm – aber mindestens genauso schlimm sind Politiker, die sagen: Es gibt den Klimawandel, aber wir müssen jetzt erst mal 15 Arbeitskreise einberufen und in 20 Jahren schauen wir dann mal, was wir dagegen tun. Wir müssen jetzt handeln.
Manche werfen den Demonstranten bei Fridays for Future vor, einer linken oder grünen Ideologie aufzusitzen.
MIELCZAREK Das ist keine ideologische Frage. Es ist auch erschreckend, wie die Gegner sich verhalten: Es kommen Morddrohungen und üble Anfeindungen, auch gegen Schüler. Fridays for Future Düsseldorf, wo ich mich auch engagiere, steht durchgehend im Shitstorm. Aber auch, dass die Schulleiterin der Martin-Luther-Schule, die einen Warmer-Pulli-Tag durchgeführt hat, eine Morddrohung erhält, finde ich beängstigend.
Gibt es denn aus eurer Sicht einen Konsens über das Thema in eurer Generation? HADDOU-TEMSAMANI Ich habe natürlich keinen Kontakt zu allen Ju- gendlichen der Welt oder Düsseldorfs, und wir sind auch keine homogene Gruppe. Aber was ich sagen kann: Von denen, die ich kenne – aus meiner alten Schule, aus dem Studium, aus meinen Freundeskreisen –, stehen wirklich alle hinter dem Klimaschutz. Es gibt allenfalls Meinungsunterschiede zu der Frage, wie er durchgesetzt werden sollte – zum Beispiel finden einige wichtig, dass Arbeitsplätze nicht gefährdet werden.
MIELCZAREK Bei den Demos laufen auch nicht nur Menschen aus dem alternativen Spektrum mit, sondern auch viele, die aus dem konservativen Bereich kommen. Es ist ein Generationenunterschied: Wir leben perspektivisch nicht noch zehn Jahre, sondern 50 oder 60. Wir nehmen den Klimawandel eher als Bedrohung wahr als die Mitglieder der Kohlekommission, die ein relativ hohes Durchschnittsalter haben.
Der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hat viel Kritik geerntet, weil er sich in einem Tweet gegen die Fridays-for-Future-Initiatorin Greta Thunberg im Ton vergriff. Im Grunde warf er ihr Naivität vor.
Kennt ihr das auch von Politikern? HADDOU-TEMSAMANI Natürlich. Ich finde es auch ehrlich gesagt witzig, wenn eine ältere Person wie Ministerpräsident Armin Laschet sagt, er fände es glaubwürdiger, wenn wir nach Schulschluss demonstrieren würden. Will er uns vorschreiben, wie wir richtig zu demonstrieren haben? Das wäre doch absurd. Ein Streik ist doch auch kein Streik, wenn man Urlaub hat. MIELCZAREK Man wird oft belächelt oder nicht für voll genommen. Das ist traurig, denn man spricht uns die Fähigkeit ab, uns eine eigene Meinung zu bilden – was ja genau das ist, was andererseits von uns erwartet wird. Abgesehen davon: Am Tag der Zeugnisausgabe kamen 600 bis 700 Personen zu unserer Demo – in ihrer Freizeit. Es geht ihnen also wirklich nicht darum zu schwänzen.
Unterschätzen die Politiker euch? Im Vorwurf der Naivität steckt ja auch die Botschaft: Eure Demonstrationen werden auch nichts ändern.
MIELCZAREK Ja, ich glaube, wir werden unterschätzt. HADDOU-TEMSAMANI Es kann schon sein, dass unsere Demos nichts ändern. Schließlich sind ja auch noch andere am Ruder. Aber jeder von uns wird irgendwann mal 18 und kann wählen.
Ende Mai findet die Europawahl statt. Was tut ihr, um mehr junge Menschen zum Wählen zu motivieren?
HADDOU-TEMSAMANI Wir wollen, dass die Jugendlichen mehr über die Europawahl wissen. Wir planen eine kleine Kampagne, vielleicht auch eine Diskussionsveranstaltung – aber das ist noch nicht in trockenen Tüchern. Eine Langversion dieses Interviews finden Sie auf rp-online.de/duesseldorf.