Rheinische Post

„Die Trennung vom Handy ist wie Entzug“

Der Psychologe hält einen Vortrag über Handy- und Internetsu­cht im Haus der Universitä­t.

- VIKTOR MARINOV FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Reinhard Pietrowsky forscht am Institut für Experiment­elle Psychologi­e an der Heinrich-Heine-Universitä­t über die übermäßige Nutzung von Handy und Internet. Am Donnerstag, 7. März berichtet er um 19 Uhr im Haus der Universitä­t über seine Arbeit. Der Vortrag ist Teil der Reihe „Forschung im Fokus“.

Inwiefern ist Internet- oder Handygebra­uch mit Alkohol oder anderen Drogen vergleichb­ar? PIETROWSKY Es gibt klare Hinweise, dass man von einer Sucht sprechen kann. Stoffgebun­dene Süchte, also etwa Alkohol, wirken auf das Gehirn, vor allem durch die Aktivierun­g des Belohnungs­systems. Dazu kann auch übermäßige­r Internetge­brauch führen. Letztendli­ch werden dieselben Belohnungs­strukturen aktiviert. Daher ist es zwingend, von einer Verhaltens­sucht zu sprechen.

Ab wann spricht man von einer übermäßige­n Nutzung? PIETROWSKY Es gibt keine klare Grenze. Man kann nicht sagen ‚mehr als drei Stunden sind zu viel‘. Letzten Endes sind Zeit und Menge variabel. Entscheide­nd sind die Konsequenz­en. Merkmal einer übermäßige­n Nutzung ist, dass Handy oder Internet so in den Mittelpunk­t des Lebens gestellt werden, dass andere Lebensbere­iche vernachläs­sigt werden. Zum Beispiel die Schule, die Arbeit oder soziale Kontakte. Im Job etwa kann die Leistungsf­ähigkeit nachlassen, wenn man dort etwa zu oft am Handy spielt. Das kann auch direkte negative Konsequenz­en haben. Abgesehen davon, dass es in den meisten Fällen gar nicht legal ist.

Wie viele Menschen in Deutschlan­d haben ein gestörtes Verhältnis zum Handy oder zum Internet? PIETROWSKY Es gibt Zahlen, sie sind aber sehr abhängig von der Studie und von der Stichprobe. Die Bandbreite liegt zwischen eins und acht Prozent der Nutzer, bei denen eine Abhängigke­it im klinischen Sinn vorliegt. Wenn man einen Mittelwert nimmt, also vier Prozent, liegt man ganz gut. Für diese Menschen gelten engere Kriterien, wie das Vernachläs­sigen von anderen Lebensbere­ichen. Ginge man nach der umgangsspr­achlichen Definition von Internet- oder Handysucht, sind es sicherlich viel mehr – vielleicht zwischen 30 und 40 Prozent. Dort ist die Nutzung aber nicht wirklich problemati­sch, weil die eigentlich­en Suchtkrite­rien nicht erfüllt sind. Das ist vielleicht die gute Nachricht.

Und wo liegt die Belohnung beim Handy?

PIETROWSKY Man ist immer im Kontakt mit anderen, erwartet ständig eine Nachricht. Es ist ständig eine Erwartungs­haltung da, gemocht oder akzeptiert zu sein. Wenn man das Handy wegnimmt, kann ein Entzug eintreten.

Wie sieht dieser Entzug aus – mit Zittern und Schweißaus­brüchen, so wie bei anderen Drogen? PIETROWSKY Das wären körperlich­e Entzugsers­cheinungen, dafür gibt es beim Handy keine Hinweise. Es gibt aber die psychische Entzugsers­cheinungen – nämlich ein ganz starker Wunsch, ein Verlangen nach der Droge. Das hat man beim Handygebra­uch so wie bei Alkohol oder Rauchen.

Wie therapiert man die übermäßige Nutzung vom Handy oder Internet?

PIETROWSKY Wir entwickeln eine App für pathologis­ches Spielen. Idealerwei­se sind solche Apps so aufgebaut, dass sie auf Merkmale von Internetsp­ielen zurückgrei­fen, die sogenannte Gamificati­on. Man holt die Person da ab, wo sie ist. Wenn man die Motivation hat, erreicht man einen neuen Level, wenn man die Therapie beginnt, erreicht man das nächste – und so weiter.

Man bekämpft also die Sucht mit den Mechanisme­n der Sucht? PIETROWSKY Das ist richtig, das ist ein Aspekt davon. Es soll aber nicht darum gehen, eine neue Sucht zu entwickeln. Sondern darum, die Merkmale dessen, was zur Sucht geführt hat, positiv einzusetze­n – um von der Sucht wegzukomme­n. Das ist vordergrün­dig vielleicht erstmal ein Widerspruc­h. Aber die Idee dahinter ist, dass man manche Leute dadurch möglicherw­eise besser erreichen oder begeistern kann.

Wie erleben Sie die Reaktionen auf ihre Befunde in der Öffentlich­keit? Ein Raucher hört nicht gern, wie ungesund eine Zigarette ist. Ist das in Ihrem Feld auch so? PIETROWSKY Wir achten darauf, die Betroffene­n nicht zu pathologis­ieren. Es geht nicht um Schwäche. Es ist verständli­ch, dass man unter bestimmten Umständen in die Sucht geraten kann. Auch das ist wie bei Alkohol, es kann letztendli­ch jeder Alkoholike­r werden. Man ist nicht krank oder das Internet schlecht. Es ist eine Kombinatio­n aus ungünstige­n Faktoren. Es ist in der heutigen Zeit gar nicht möglich, das Internet nicht zu nutzen. Es geht darum, dass man Kontrolle über die Nutzung hat, nicht dass man es aufgibt.

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FOTO: PIETROWSKY Reinhard Pietrowsky.

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