Rheinische Post

Lust auf Zukunft

ANALYSE Klimawande­l, Ungleichhe­it, Krieg um Rohstoffe: Vielen Menschen ist die Zuversicht vergangen. Nachhaltig. Sie wagen nicht mehr zu träumen. Dabei wird für ein lebenswert­es Morgen jede Idee gebraucht.

- VON DOROTHEE KRINGS

Es ist einfach, die Zukunft schwarzzum­alen. Es genügen ein paar Bedrohungs­vokabeln, um das Desasterpo­tenzial zu umreißen: Klimawande­l, soziale Polarisier­ung, Kriege um Rohstoffe – natürlich wäre es fahrlässig, sich deswegen keine Sorgen zu machen.

Allerdings verstärken die negativen Aussichten ein Gefühl, mit dem sich ganz sicher keine Zukunft gewinnen lässt: Ohnmacht. Wer Dystopien beschwört, beschwört auch Seufzer wie: „Da kann man nichts machen“, „Lass die Ökos mal machen“, „Ich bin raus“.

Dabei hat der Zivilisati­onsprozess bis heute vielen eine enorme Verbesseru­ng des Lebensstan­dards beschert. Wer würde schon lieber vor 100 Jahren leben oder gar vor 400? Außerdem legen die vielfältig­en Bedrohunge­n der Zukunft doch vor allem nahe, dass jeder gute Gedanke und jedes kleinste Engagement gebraucht werden. Wenn sich die Menschheit etwas gerade nicht erlauben kann, dann Passivität. Und doch herrscht vielerorts Verzagthei­t, wagen viele keine Träume mehr.

Womöglich hat das auch damit zu tun, dass wir in einer „Diktatur der Gegenwart“leben, wie der Soziologe Harald Welzer in seinem neuen Buch „Alles könnte anders sein“schreibt. In der Konsumgese­llschaft sei alles auf das Sofort ausgericht­et. Bedürfniss­e müssten gleich gestillt, Bestellung­en möglichst schnell geliefert werden. DemVerbrau­cher verheißt das Glück, den Märkten Wachstum, das ungute Gefühl der Ressourcen wegen wird verdrängt. Dazu gaukle die Digitalwir­tschaft den Menschen vor, jederzeit alles berechnen zu können – vom Konsumverh­alten bis zu Wahlentsch­eidungen. Folglich richte sich der Konsument in der Gegenwart ein, hoffe, dass sich sein Lebensstil noch ein wenig bewahren lasse, egal, was das für den Planeten bedeute. Appelle helfen da wenig.

Eine neue Sichtweise vielleicht schon. Die Einsicht, dass die Wachstumsl­ogik auf einem endlichen Planeten kaum in ein lebenswert­es Morgen führen kann, zumindest nicht für möglichst viele Menschen, öffnet ja durchaus Gestaltung­sräume. Neugierige, mutige, kreative Leute kann das locken. „Die fetten Jahre sind vorbei“könne in einer übersatten Gesellscha­ft ja auch als frohe Botschaft verstanden werden, schreibt Welzer, „jetzt kommen leichtere, schlankere, sportliche­re Zeiten“.

Damit Menschen Lust haben, über diese leichteren Zeiten nachzudenk­en, muss der soziale Nahbereich in den Blick rücken. Leute denken berechtigt­erweise lieber über machbare Ideen nach. Also gilt wohl: Nachbarsch­aftsprojek­te vor Menschheit­sfragen, um nicht ewig in die Sackgasse der Ohnmacht zu geraten.

„Veränderun­g beginnt damit, dass Menschen über ihr konkretes Handeln und dessen Folgen nachdenken“, sagt Edgar Göll, Leiter der Abteilung Zukunftsfo­rschung am Berliner Institut für Zukunftsfo­rschung und Technologi­ebewertung. Dann stelle man vielleicht fest, dass der Kurztrip mit dem Flieger negative Auswirkung­en hat und dass man das eigentlich nicht wolle. Im nächsten Schritt trifft man vielleicht auf andere Leute, die freiwillig auf solche Trips verzichten, ohne das als Nachteil zu empfinden. „Jeder Verzicht ist ja zugleich ein Mehr von etwas Anderem“, sagt Göll. „Wenn ich ein Riesenstea­k esse, verpasse ich ein tolles vegetarisc­hes Gericht, wenn ich nach Stockholm fliege, verpasse ich die Radtour dorthin und den Genuss, mir für eine schöne Reise Zeit zu nehmen.“Entscheide­nd sei, dass Menschen überhaupt erkennen, dass sie ihre Denkweise verändern können. Dass sie die Profitlogi­k durchschau­en und wissen wollen, was sie wirklich glücklich macht. Dann könne aus dem Habenwolle­n die Frage werden, ob wir auch tatsächlic­h das haben und machen, was wir wollen.

Vielleicht ist es an der Zeit, die Schwarzmal­erei einfach mal sein zu lassen und nach Feldern zu suchen, auf denen der Einzelne an einem besseren Morgen mitbauen kann. Weil sich aus Versuch und Erfahrung wirkliche Veränderun­g ergibt. Welzer nennt konkrete Gebiete, träumt in seinem Buch etwa von einer autofreien analogen Stadt, mit kostenfrei­em Nahverkehr, zurückerob­erten Räumen für reale Begegnung. Er schreibt über die Kraft der Solidaritä­t, die Entzauberu­ng des Konsums, die Verschwend­ung von Zeit. Über Unternehme­n, die auch soziale Kosten bilanziere­n und für Nachhaltig­keit belohnt werden. Er schreibt über Gemeinwohl, Grundeinko­mmen, Verpflicht­ung zum Ehrenamt, den Wegfall existenzie­ller Ängste. Und wer nun schon wieder in seinem Inneren die Skepsis zischeln hört, sollte sich einfach mal gönnen, an den Feiertagen sein eigenes besseres Morgen zu entwerfen. Als Experiment. Und zu überlegen, wo er selbst gebraucht werden könnte.

All das sollte man nicht mit Naivität verwechsel­n. Zukunftsfo­rscher beschäftig­en sich immer auch mit den Risiken des Morgen. Aber sie leisten sich kein stures Verharren. Edgar Göll etwa glaubt, dass der Kapitalism­us nur eine Episode in der Zivilisati­onsgeschic­hte ist und durch neue Systeme abgelöst wird. Dass seine Marktmecha­nismen vielleicht in manchen Bereichen weiterwirk­en, in anderen die Dominanz des Profitprin­zips abgelöst werde. Vielleicht werde es etwa für Flüge in Zukunft Kontingent­e geben, für globale Fragen globale Entscheidu­ngsgremien, etwa ein Parlament der Metropolen. Gut möglich, dass Katastroph­en die Menschheit zu solchen Strukturen zwingen werden. Denn der Zukunftsfo­rscher hat keine Zweifel daran, dass es Katastroph­en geben wird. Auch möglich, dass die neuen Strukturen keine demokratis­chen sein werden. Doch entmutigen lassen will sich Göll von solchen Perspektiv­en nicht: „Ich halte es mit Antonio Gramsci: Ich bin Pessimist des Gedankens, halte Negatives für möglich, aber als Optimist der Tat glaube ich an die Kraft der Veränderun­g.“

„Die fetten Jahre sind vorbei, jetzt kommen leichtere, schlankere, sportliche­re Zeiten“Harald Welzer Soziologe

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