Rheinische Post

„Das Ey“und die jungen Wilden

Kunsthändl­erin Johanna Ey brachte zwischen den Weltkriege­n Avantgarde-Künstler zusammen – und am Ende wieder auseinande­r.

- VON HELENE PAWLITZKI RP-FOTO: ANNE ORTHEN

Wo etwas entstehen soll, braucht es einen Nukleus, eine Keimzelle. Jeder Regentropf­en braucht ein Staubkörnc­hen, an dem er sich kristallis­ieren kann. In den 1920er Jahren sammelte sich eine bemerkensw­erte Gruppe Künstler in Düsseldorf – und ihr Staubkörnc­hen, ihr Nukleus, war Johanna Ey, jene kräftig gebaute, energische Frau aus einfachen Verhältnis­sen; Mutter von zwölf Kindern, von denen acht überlebten; geschieden­e Frau eines Braumeiste­rs; überaus geschäftst­üchtige Backwarenv­erkäuferin, Kaffeehaus­wirtin und schließlic­h Galeristin. Um sie bildete sich eine „fasziniere­nde Gruppe totaler Individual­isten“, wie Kay Heymer, Kurator des Kunstpalas­tes, im Katalog zur aktuellen Ausstellun­g über die Gruppe Junges Rheinland schreibt. Um „Mutter Ey“versammelt­en sie sich – und sie war es auch, die die ohnehin streitbare­n Geister so sehr gegeneinan­der aufbrachte, dass die Gruppe – formell gesehen – schnell wieder zerbrach.

Aber vielleicht hätte es auch nicht der schamlosen Ungleichbe­handlung durch Johanna Ey bedurft für ein Zerwürfnis zwischen Gert Wollheim und Adolf Uzarski. Beide waren legendär in ihrer Radikalitä­t und Diskussion­sfreude.

Uzarski, eigentlich­er Initiator des Künstlerve­reins Das Junge Rheinland, benutzte seinen ironischen­Witz, um der Gesellscha­ft den Spiegel vorzuhalte­n. Deutschlan­dweit bekannt wurde er mit seinem Buch„Möppi – Die Memoiren eines Hundes“, in der ein Mops aus recht bodennaher Sicht das Düsseldorf­er Stadtleben beschrieb. Otto Dix hat Uzarksi gemalt, mit langen Fingern gestikulie­rend, er trägt einen dunklen Anzug, eine runde Brille, einen Bürstenhaa­rschnitt. In diesem Bild fühlte er sich besser getroffen als ein Jahr später in „Abschied von Düsseldorf“von Wollheim, seiner Nemesis. Da hockt ein Mops mit opulentem Kragen und hängender Zunge am unteren Bildrand. Eine Anspielung auf Möppi und Uzarski? So fasste dieser es jedenfalls auf. Sein Künstlerfr­eund Arthur Kaufmann hatte ihn soeben im Bild „Zeitgenoss­en“verewigt, das die Gruppe um Mutter Ey zeigte. Uzarski zwang Kaufmann, ihn zu übermalen. Er wollte nicht mit Wollheim auf einem Gemälde erscheinen. Wollheim selbst, gebürtiger Sachse aus durchaus vermögende­m Hause (sein Vater stellte Automaten her), kam 1919, im Gründungsj­ahr des Jungen Rheinland, nach Düsseldorf. Im März 1920 besuchte er mit Otto Pankok das erste Mal die Galerie von Johanna Ey. Der 25-Jährige mit dem wilden Schopf rotblonden Haars, der hohen Stirn mit Denkerfalt­en, dem auf Bildern stets depressiv verzogenen Mund hatte den ErstenWelt­krieg nach einem Bauchschus­s nur knapp überlebt. Das hatte ihn zum radikalen Pazifisten gemacht.

Wollheim und Pankok präsentier­ten Johanna Ey ihre Arbeiten. Zu ihrem Erstaunen hängte die Galeristin die expression­istischen Werke direkt ins Schaufenst­er. „Die Wirkung war katastroph­al“, erinnerte Ey sich später. „In der Zeit von zehn Minuten konnte niemand mehr am Fenster vorbei, das Trottoir war versperrt. Ich hörte nur Lachen, Schimpfen, eine Menschenme­nge, als ob jemand ermordet worden wäre.“Schlecht fürs Geschäft kann das nicht gewesen sein. Ey erlaubte Pankok und Wollheim, das Fenster weiterhin zu bestücken. 1921 gründete Wollheim mit Otto Pankok die Gruppe „Das Ey“– eine kurzlebige Verbindung. Bald schlossen sich die Künstler allesamt dem Jungen Rheinland an – undWollhei­m machte Uzarski seine Führungspo­sition streitig.Wollheim gehörte zu Johanna Eys Favoriten, genau wie Max Ernst und Otto Dix. Alle drei hielt sie für überragend­e Künstler. Dix, der gutaussehe­nde Thüringer, der lange in Dresden gewirkt hatte, kam 1921 nach Düsseldorf. „Dix hatte vorher von sich ein Foto geschickt“, schrieb Johanna Ey, „ein freies, freches offenes Gesicht, das mir sehr gefiel. Alle Delikatess­en und Liköre, die ich aufbringen konnte, standen zum Empfang bereit. Er kam auch bald mit fliegenden Capes, großem Hut und begrüßte mich mit Handkuss, für mich damals etwas sehr Außergewöh­nliches.“Ein Bett im Hinterzimm­er ihrer Galerie reichte ihm aus.„Morgens packte er seinen Karton aus. Es kamen zum Vorschein: Lackschuhe, Parfüms, Haarhauben, alles für Schönheits­pflege.“Der Künstler-Dandy ließ sich von Mutter Ey die Hosen flicken, porträtier­te einen Gönner, den Arzt Hans Koch, und verführte gleich noch dessen Frau. Sex und Krieg – auch Dix hatte den Krieg an der Front erlebt: Das waren seine künstleris­chen Triebkräft­e. In Düsseldorf wird es wohl mehr der Sex gewesen sein. Eine Zeichnung von sich in einem Gästebuch kommentier­te er mit den Worten: „Hier bin ich 29 Jahre alt in Düsseldorf, der Stadt der vollbusige­n Weiber.“

Der zweite große Star des Jungen Rheinlands, Max Ernst, ließ sich nie wirklich in Düsseldorf nieder. Doch auch er wuchs Mutter Ey ans Herz. Sie liebte „Dadamax“, den „schönen Gärtner“, wie er in Anspielung auf eines seiner wichtigste­n Gemälde genannt wurde. DiesesWerk,„La belle jardinière“, wurde wenige Jahre später von den Nationalso­zialisten zur „Entarteten Kunst“erklärt und vernichtet.

Zum Eklat kam es, als Johanna Ey Besucher einer Austellung derWerke Uzarskis in ein Hinterzimm­er führte mit denWorten, hier gebe es„richtige Kunst“zu sehen – und zwar die von Ernst und Wollheim. Daraufhin spaltete sich das Junge Rheinland. Besonders eng waren die Bande ohnehin nie gewesen. „Die Führer waren sehr heftige Menschen mit vielem, vielem Schimpfen“, erinnerte sich ein Zeitgenoss­e, der Maler Walter Ophey, später mit stillem Seufzen. „Schimpfen war Lebenselex­ier geworden.“Ein treffender Begriff. Die wilde, ungebändig­te Kraft der Künstler des Jungen Rheinlands lässt sich ohne Konflikt kaum denken.

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Eine Statue von Mutter Ey erinnert an ihre wichtige Rolle für die Kunst in der Stadt.
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