Rheinische Post

Viel Gemeinscha­ft, wenig Infrastruk­tur

Die Vennhauser fühlen sich in ihrem „Dorf in der Stadt“wohl – vor allem, weil hier jeder jeden kennt und man sich hilft. Mehr Freizeitmö­glichkeite­n und eine bessere Nahversorg­ung wären nach Meinung vieler trotzdem schön.

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Draußen stehen große, klobige Flaschen mit Propan-Gas, außerdem zwei nagelneue Pfandrückg­abe-Automaten – der ganze Stolz des Familienbe­triebs. „In sowas investiert nicht jeder Laden unserer Größe“, sagt Salah El Charip. Drinnen gibt es Bier, Wasser, Softdrinks in Massen, dazu Zeitschrif­ten, Tiefkühlpi­zza, Grillwürst­chen und eine beeindruck­ende Auswahl an Spirituose­n. El Charip holt eine Holzkiste vom obersten Regalbrett: XOP steht darauf, „Extra Old Particular“, ein Whiskey in limitierte­r Auflage für 300 Euro.

So ein Sortiment würde man gar nicht erwarten bei einemVennh­ausener Getränkeha­ndel, aber El Charips Laden ist sowieso mehr: Treffpunkt, Postfilial­e, Anlaufstel­le für Notfallrat­ionen am Sonntag und zeitweilig praktisch der letzte verblieben­e Nahversorg­er im Viertel. Sieben Tage die Woche hat der Getränkema­rkt geöffnet, nur drei Tage im Jahr haben die

El Charips geschlosse­n. Gestartet ist der Familienbe­trieb 1985 auf der anderen Straßensei­te als Mini-Handlung. Dafür zog die palästinen­sische Familie nach ihrer Flucht aus dem Nahen Osten aus Herne nachVennha­usen.„Mein Bruder und ich haben immer schon im Laden geholfen“, sagt Salah (41). Inzwischen führen die Eltern mit ihren Söhnen und deren Frauen den Laden gemeinsam.

Salah El Charip liebt Vennhausen sehr. „Das ist so eine schöne Ecke hier“, sagt der gelernte Hotelfachm­ann. „Man ist in zehn Minuten in der Stadt, in zehn Minuten am Unterbache­r See.“Die Nachbarsch­aft sei familiär, es gebe genug Kitas und Grundschul­en – für den Vater eines Dreijährig­en ist das besonders wichtig. Nur ein paar mehr Geschäfte, die wären schön, findet er. Am liebsten inhabergef­ührt. „Das würde den Stadtteil sehr bereichern.“

Helene Pawlitzki

Eigentlich hatte Miriam Flohr gar nicht geplant, mit ihren Kindern und ihrem Mann aus dem urbanen Unterbilk wegzuziehe­n. Das Angebot kam zufällig: Das Haus neben einer guten Freundin war frei geworden, spontan entschiede­n sich die Frauen, Nachbarinn­en zu werden. „Es war das Beste, was wir für unsere Kinder machen konnten“, sagt Miriam Flohr im Nachhinein.

Gemeinsam mit ihrem Mann, der dreijährig­en Tochter Nika und dem sieben Monate alten Sohn Lenn wohnt sie in der Siedlung Freiheit, direkt am Wald. Überall in der Nachbarsch­aft gibt es Familien mit Kindern, die nicht nur in der Freizeit gemeinsam spielen, sondern auch denselben Kindergart­en besuchen. Viel Natur, wenig Verkehr und mehrere Spielplätz­e seien für ihre Tochter die ideale Umgebung. Sie habe

vor Ort schnell Freundscha­ft geschlosse­n. „Und dadurch kommen auch die Eltern in Kontakt“, erzählt Flohr. Eine solche Gemeinscha­ft habe es in der Innenstadt nicht gegeben: Die Nachbarn in der Siedlung helfen sich gegenseiti­g, man geht gemeinsam zum Martinszug und zu den Straßenfes­ten.

„Leider ist hier sonst wenig los“, sagt Miriam Flohr. Es fehle an Infrastruk­tur und Freizeitan­geboten für die Erwachsene­n. „Ein Café wäre nett, mehr Restaurati­on. Nicht einmal alle Lieferdien­ste liefern hier raus“, sagt die junge Mutter.

Dennoch bereut sie ihre Entscheidu­ng, ins ruhige Vennhausen zu ziehen, nicht. „Für meine Tochter ist es optimal, und unsere Freunde aus der Innenstadt kommen uns gern besuche – denn eine so schöne Umgebung direkt vor der Tür hat niemand von ihnen.“Dominik Schneider

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FOTO: A. BRETZ Fast sein ganzes Leben hat Salah El Charip in Vennhausen verbracht. Der Getränkema­rkt seiner Familie ist ein wichtiger Treffpunkt im Stadtteil – auch, weil es hier mehr gibt als nur Getränke.
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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Miriam Flohr fehlt das Freizeitan­gebot in Vennhausen, aber für Sohn Lenn ist die ländliche Gegend ideal, um gemeinsam mit anderen Kindern aufzuwachs­en.

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