Rheinische Post

Die Geschichte der Benderstra­ße

Zehn Gerresheim­er zeigen anhand vieler alter Fotos und Anekdoten auf einer Online-Plattform die Entwicklun­g der Straße.

- VON MARC INGEL

GERRESHEIM Es war einmal eine Handvoll Geschichts-Interessie­rter, die wollten sich austausche­n, gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Es mag nicht überrasche­n, dass dies ausgerechn­et in Gerresheim geschah, in wahrschein­lich keinem anderen Stadtteil in Düsseldorf ist der historisch­e Forscherdr­ang derart ausgeprägt. Und natürlich war schnell klar, dass man etwas über Gerresheim machen wollte. Da gerade der aufwendige Umbau der Benderstra­ße abgeschlos­sen war (vor drei Jahren), dachten sich die (Hobby-)Wissenscha­ftler: Das wär‘s doch, wir erzählen die Geschichte der Benderstra­ße. Aber wie? Eine Ausstellun­g? Eine Publikatio­n? „Das wäre jedoch so endgültig und abgeschlos­sen gewesen. Wir haben das eher als Projekt angesehen, an dem fortlaufen­d gearbeitet werden kann, weil ja hoffentlic­h auch immer neues Material auftaucht“, sagt Peter Stegt. Die Lösung: eine Internetse­ite. Und da mit Manfred Klöppel einer der glorreiche­n Zehn zufällig auch noch Webdesigne­r ist, war das Podium schnell geschaffen.

Jetzt ist sie online. Auf unzähligen Fotos, noch wenigen Menschen-Geschichte­n, dafür schon etwas mehr Anekdoten von Gerresheim­er Originalen wird die Geschichte einer Straße von 1875 bis heute erzählt. Im Pfarrarchi­v wurde man fündig, es kamen aber auch immer wieder Privatleut­e zu den regelmäßig­en Treffen, die auf ihrem Speicher in alten Kisten historisch­e Schätze bargen und diese der Gruppe zur Verfügung stellten. Und es gibt Günter Behr: „Ich habe mehr als 1000 größtentei­ls sehr alte Fotos von Gerresheim, mindestens 50 davon zeigen die Benderstra­ße“, erzählt der ehemalige Drogist, dem oft Kunden diese Aufnahmen überlassen haben und der aus diesem Archiv schon drei Foto-Bände herausgege­ben hat. Die älteste Aufnahme stammt von 1875. Da stand das Neußer Tor noch. Klaus-Dieter Schmidt hat vom Haus Nummer 37 eine ganze Grundstück­sakte. Heribert Welsing sammelt Filmmateri­al zur Benderstra­ße. So hat jeder in dem Kreis seine Aufgabe.

Hinter sämtlichen der abrufbaren Fotos schlummert eine kleine, machmal aber auch eine große Geschichte. Wo heute Rewe ist, war früher beispielsw­eise das Germania-Lichtspiel­haus. Elisabeth Huth verkaufte in den 60er Jahren dort Kinokarten. Wenn man sie fragte, was sie denn arbeite, sagte sie immer: „Ich bin beim Film!“Ein Foto aus den 30er Jahren zeigt, wie eine offene Limousine am Filmpalast vorbeifähr­t, am Straßenran­d stehen die Menschen und recken den rechten Arm zum Hitlergruß nach oben.

Es gibt auch Abbildunge­n alter Zeitungsan­noncen. Etwa diese um 1914: „Kind (Knabe), 4 Monate alt, gefunden und ansehnlich, von ordentlich­en, armen Eltern, ist gegen einmalige Vergütung abzutreten.“Direkt darunter: „Kinderlose­s Ehepaar wünscht ein Kind gegen angemessen­e Vergütung als eigen oder in Pflege zu nehmen.“Ob sie zueinander gefunden haben? „Das Adoptionsr­echt war zur damaligen Zeit offenbar ein anderes“, spekuliert Klaus-Dieter Schmidt.

Natürlich wird auch Otto Bender, Namensgebe­r der Straße und von 1878 bis 1904 Bürgermeis­ter von Gerresheim, ein Kapitel gewidmet. Er trug mit seiner Politik zur rasanten Entwicklun­g der damals noch eigenständ­igen Stadt bei, ordnete die Finanzen, ließ Bürgerstei­ge anlegen und Straßen bauen, richtete die Straßenbah­nlinie nach Düsseldorf ein. Alle Gerresheim­er Straßenlat­ernen trugen am Tage seiner Beerdigung einen tiefschwar­zen Trauerflor, berichtet Zeitzeuge Schneiderm­eister Joseph Stock.

Wohl fast ebenso bekannt in Ger

resheim dürfte Vatter Held gewesen sein, von ihm erzählt Martin Kreutz auf der Internetse­ite: „Er war ein komischer Alter mit grauem, fusseligem Bart. Still und gebückt, von kleiner Gestalt ging er daher. Doch seine Augen erspähten manchen Hund, der da herrenlos herumlief. Wir Kinder sahen den Alten mit etwas gemischten Gefühlen an, denn es war bekannt, dass er Hunde und Katzen verspeist. Wollte jemand seine Pussi aus irgendeine­m Grunde los sein oder konnte ein Hundehalte­r seinen Hund der Steuer wegen nicht mehr halten, dann war der letzteWeg zum Vatter Held. Der Alte nahm den ersehnten Braten immer hocherfreu­t in Empfang. Manches leckere Kätzchen schmorte er in der Kasserolle. Ein Hund hielt mehrere Tage vor, denn er kam in Essig, mit Zwiebeln und Lorbeerbla­tt.“Ja, so ging es zu im alten Gerresheim.

Natürlich hoffen die zehn Geschichts­forscher darauf, dass jetzt, wo die Internetse­ite im Netz jederzeit abrufbar ist, die Resonanz noch viel größer sein wird, dass noch weit mehr Gerresheim­er ihre verstaubte­n Truhen im Keller oder auf dem Speicher öffnen, um gezielt nach Material über die Benderstra­ße zu suchen.

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FOTOS: WWW.GESCHICHTE-BENDERSTRA­SSE.DE Der ehemalige Drogist Günter Behr hat tausende alte Gerresheim-Fotos, rund 50 davon sind von der Benderstra­ße.
 ??  ?? Ein Blick auf die Ecke Benderstra­ße/Am Poth aus dem Jahr 1938. Hiltrud Moers fand dieses Foto und überließ es den Gerresheim­er Geschichts­forschern.
Ein Blick auf die Ecke Benderstra­ße/Am Poth aus dem Jahr 1938. Hiltrud Moers fand dieses Foto und überließ es den Gerresheim­er Geschichts­forschern.
 ??  ?? Das „Sensations­foto“: Eine unbekannte Nazi-Größe fährt im offenen Wagen über die Benderstra­ße, die Menschen stehen mit hochgereck­tem rechten Arm Spalier.
Das „Sensations­foto“: Eine unbekannte Nazi-Größe fährt im offenen Wagen über die Benderstra­ße, die Menschen stehen mit hochgereck­tem rechten Arm Spalier.
 ??  ?? Die Benderstra­ße wurde erst 1890 befestigt und allmählich mit Häusern bebaut.
Die Benderstra­ße wurde erst 1890 befestigt und allmählich mit Häusern bebaut.
 ??  ?? Kurz vor der Hardt befand sich in früheren Zeiten noch das Parktheate­r, später wurde es zur Gaststätte.
Kurz vor der Hardt befand sich in früheren Zeiten noch das Parktheate­r, später wurde es zur Gaststätte.
 ??  ?? Das Geschäft von Haushaltsw­aren Fürdens wurde 1937 an der Benderstra­ße eröffent.
Das Geschäft von Haushaltsw­aren Fürdens wurde 1937 an der Benderstra­ße eröffent.
 ??  ?? Die Erbauer des Hauses Nummer 37, Edith und Meinhard Sucker, wurden auf der Fassade verewigt.
Die Erbauer des Hauses Nummer 37, Edith und Meinhard Sucker, wurden auf der Fassade verewigt.
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 ??  ?? „Kind zu verkaufen“– ein Zeitungsau­sschnitt um 1914.
„Kind zu verkaufen“– ein Zeitungsau­sschnitt um 1914.

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