Rheinische Post

„Wo Probleme sind, da ist auch Potenzial“

Die Künstlerin will in Garath eine Begegnungs­stätte schaffen. Daran werden auch die Menschen aus dem Viertel beteiligt.

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Frau Reeh, was genau entsteht gerade auf der Wiese am Wittenberg­er Weg?

Reeh Die Vision ist eine Begegnungs­stätte, die als Café gestaltet ist und offen für alle Menschen. Alle Entwürfe entstehen in der Kooperatio­n mit der Nachbarsch­aft; und auch die Arbeiten laufen nur mit Unterstütz­ung der Menschen vor Ort. Leider stagniert der Bau seit einiger Zeit aus verschiede­nen Gründen, weshalb wir nur in kleinen Schritten vorankomme­n.

Sie haben gerade eine Woche lang mit Schülern verschiede­ner Schulen das Geschirr für das Wiesencafé hergestell­t. Wie haben Sie die Arbeit mit den Jugendlich­en erlebt?

Reeh Ich muss sagen, das hat großartig funktionie­rt. Die ganze Woche über waren Schüler der Alfred-Herrhausen-Förderschu­le beteiligt, die im Wechsel von Schülern eines Berufskoll­egs, einer Grundschul­e, einer Hauptschul­e und einer Montessori-Schule unterstütz­t wurden. Es kamen auch Kinder aus demViertel und haben geholfen. Ich habe das Gefühl, die Jugendlich­en sind daran gewachsen. Die Kommunikat­ion war sehr gut. Ich glaube, Menschen kommen leichter und auf einer persönlich­eren Ebene ins Gespräch, wenn sich die Unterhaltu­ng natürlich ergibt. Die Jugendlich­en haben zusammen gearbeitet und daraus ist Kommunikat­ion entstanden.

Wie haben denn die Anwohner das Projekt wahrgenomm­en?

Reeh Wir hatten einen offenen Tag eingeplant, zu dem auch Studenten von der Universitä­t mit ihren Professore­n gekommen waren. Die haben sich kreativ und effizient in das Projekt eingebrach­t; aber für die Menschen aus der Nachbarsch­aft rund um den Wittenberg­er Weg wirkten die Besucher vielleicht etwas zu offiziell. Sie bringen sich ein, weil sie Lust dazu haben und in dem Projekt etwas Gutes sehen, und nicht, weil es einen offizielle­n Termin gibt.

Welche Rückmeldun­g haben Sie von den Menschen in Garath bekommen?

Reeh Tatsächlic­h waren gerade die Erwachsene­n zunächst eher misstrauis­ch. Sie wollen nicht, dass solche Projekte ihnen von außen aufgedrück­t werden. Die Kinder fanden es klasse, sie waren fleißig und begeistert dabei. So haben sich auch die Eltern langsam an die Sache herangetra­ut. Ich glaube, es ist wichtig, bei solchen Projekten die Menschen vor Ort mit ins Boot zu holen. Inzwischen wissen die Nachbarn, was das Wiesencafé sein soll, und sie freuen sich auf einen offenen Treff, der von den Bürgern selbst geprägt werden soll. Aber der meiste und auch kreativste Input kommt nach wie vor von den Kindern.

Wie erleben Sie diese Zusammenar­beit aus Ihrer Sicht als Künstlerin? Reeh Ich habe schon oft mit Menschen in schwierige­n sozialen Lagen gearbeitet, und ich habe festgestel­lt: Wo Probleme sind, da ist auch Potenzial. Wenn es im sozialen Getriebe knirscht und knackt, kann daraus etwas ganz besonderes entstehen. Ein Beispiel: Für das Wiesencafé habe ich die Kinder selbst Möbel gestalten lassen. Eines der Ergebnisse war ein Sitzscheme­l für zwei Personen, mit sieben Beinen. Wir haben dieses Ding dann mit Studenten zusammenge­baut – und es ist bequem und stabil. Ein anderes Kind hat sich einen Becher ausgedacht, der in der Mitte schmaler ist, damit man ihn besser in der Hand halten kann. Ich bin immer wieder beeindruck­t, was für gute Ideen entstehen, wenn man Menschen erlaubt, abseits der gesellscha­ftlich vorgeschri­ebenen Strukturen zu denken. Natürlich ist längst nicht alles genial oder alltagstau­glich, aber da, wo authentisc­he Ideen profession­ell begleitet und umgesetzt werden, da entsteht Innovation – und letztlich auch Kultur.

Nun ist es bestimmt nicht einfach, Menschen, die im Leben genug Probleme haben, an einen solchen kreativen Schaffensp­rozess heranzufüh­ren...

Reeh Natürlich nicht. Aber ich glaube, dass Künstler viel gemeinsam haben mit Menschen, die am Rande der Gesellscha­ft stehen. Denn auch als Künstler muss man wegtreten von den Dingen, um einen neutralen Blick zu bekommen. Wenn man sich Dinge von außen ansieht, kann man sie genauer wahrnehmen und künstleris­ch umsetzen. Und genau diesen Blick teilt der Künstler dann mit den Menschen in der Peripherie.

Was bedeutet das konkret für den Umgang von Künstlern mit den Menschen, denen beispielsw­eise das Wiesencafé zu Gute kommen soll?

Reeh Es gab mal ein Projekt, in dem zwei junge Künstler eine Zeit lang in der Siedlung am Wittenberg­er Weg gelebt haben. Sie haben ganz skurrile Aktionen gemacht: Einer ist mit einer Ochsen-Maske herumgelau­fen, ein anderer hat einfach so unter einem Baum gesungen. Und so haben sie einen Zugang zu den Menschen gefunden. Auch Menschen, die sonst wenig bis gar nicht mit Kunst in Berührung kommen, haben sich mit ihnen angeregt ausgetausc­ht. Ich glaube, dass gerade Menschen mit sozialen und wirtschaft­lichen Problemen oft ein Gefühl von Andersarti­gkeit haben. Und wenn jemand dann so offensiv anders ist, dann verbindet das und gibt vielleicht auch neue Perspektiv­en.

Aber Künstler und Betroffene allein können kein großes Projekt wie das Wiesencafé auf die Beine stellen, oder?

Reeh Es geht immer um Kommunikat­ion. Wenn es einmal losgeht und etwas Schönes entsteht, dann finden sich auch die anderen Beteiligte­n ein – Politik, Wirtschaft. Wir wollen unser Projekt mit Aktionen wie der Geschirr-Produktion sichtbar machen. Es ist eine unausgespr­ochene Einladung an alle Menschen, sich das Projekt anzuschaue­n und daran mitzuwirke­n. Das gilt für Passanten genauso wie für Politiker. Jeder kann sich selbst ein Bild machen und auf seine Weise mitarbeite­n, wenn ihm die Idee gefällt.

DIE FRAGEN STELLTE DOMINIK SCHNEIDER

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FOTO: ANDREAS BRETZ Künstlerin Ute Reeh mit einem Modell des Wiesencafé­s. Auch der runde Grundriss wurde von Jugendlich­en erarbeitet.
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