Rheinische Post

„Blöd angemacht hat mich bisher keiner“

Der in diesem Jahr einzige Priesterka­ndidat des Bistums Aachen über die Herausford­erung, ein solches Amt in glaubenskr­itischer Zeit anzutreten.

- HORST THOREN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Pfingsten, das alljährlic­he Geburtsfes­t der Kirche, offenbart im Jahr des Herrn 2019 ein bedrohlich­es Siechtum. Gerade einmal eine Handvoll junger Männer lässt sich von den Bischöfen der Nordbistüm­er zum Priester weihen. Eine suchende Kirche, von Krisen und Skandalen geschüttel­t, findet kaum noch Glaubensze­ugen, die bereit sind, den Heiligen Geist zu empfangen. Als einziger Priesterka­ndidat seines Bistums wird Diakon Philipp Schmitz (30) aus Korschenbr­oich heute im Aachener Dom zum Priester geweiht. Ein Gespräch über Berufung, Sexualität und Zölibat, über seine Familie, die Faszinatio­n des Glaubens und das Ende der Volkskirch­e.

In Deutschlan­d werden kaum noch Priester geweiht. Fühlt man sich da ein bisschen als Exot, wenn man jetzt der einzige Priesterka­ndidat im Bistum Aachen ist?

SCHMITZ Ja, ein bisschen exotisch schon. Ich kenne aus meiner Altersstuf­e niemanden, der diesen Schritt gemacht hat. Aber ich habe mich dafür entschiede­n. Ich freue mich auf den Priesterbe­ruf.

Und dennoch wird es ein einsamer Moment sein, wenn Sie als einziger auf dem Boden des Doms liegen …

SCHMITZ Schöner ist es natürlich, wenn man als Gruppe diesen Schritt zur Priesterwe­ihe macht. Weil es ja auch ein Fest der Kirche ist und nicht ein Privatfest. Damit fehlt der stärkende Effekt der Gemeinscha­ft. Aber allein bin ich dennoch nicht. Es werden viele Priester da sein und mich durch Handaufleg­ung in die Gemeinscha­ft aufnehmen.

Sie werden Priester in einer Zeit, in der das Weiheamt ein schlechtes Image hat. Priester stehen angesichts der Missbrauch­svorwürfe unter besonderer Beobachtun­g. Wie gehen Sie damit um?

SCHMITZ Alles, was wir tun, wird beäugt. Das hat sicherlich Gründe. Ich versuche einen natürliche­n Umgang zu pflegen – auch und gerade mit Kindern und Jugendlich­en, die ja in der Gemeinde einen wichtigen Stellenwer­t haben. Dass das Image des Berufes insgesamt angegriffe­n ist, beschäftig­t mich schon. Aber in der Gemeinde, in der konkreten Begegnung, habe ich bis jetzt keine Erfahrunge­n gehabt, wo ich sagen muss, da hat mich jemand blöd von der Seite angemacht.

Der Umgang mit Kindern – gibt es da jetzt spezielle Verhaltens­maßregeln?

SCHMITZ Bei aller berechtigt­er Kritik: Die katholisch­e Kirche ist auch die Institutio­n, die bei der Aufarbeitu­ng wirklich etwas macht: Alle Hauptund Ehrenamtle­r werden geschult in Prävention­skursen und verpflicht­en sich zu einem Verhaltens­kodex, der gewisse Dinge festlegt. Zum Beispiel, dass man nach Möglichkei­t nicht alleine mit Kindern in einem Raum sein soll oder zumindest eine Türe offensteht. Selbstvers­tändlich ist auch, dass Betreuer nicht mit Kindern in einem Zimmer schlafen bei Jugendfrei­zeiten.

Welche Rolle hat im Priesterse­minar die Frage der Sexualität gespielt?

SCHMITZ Es wird jetzt vieles ganz offen thematisie­rt. Ich denke, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Zölibatäre­s Leben bedeutet ja nicht, die Sexualität als eine Seite der menschlich­en Existenz auszublend­en. Dass dieses Thema auf der Agenda steht, ist wichtig, und dass dies jetzt noch mal forciert worden ist, hat seine Berechtigu­ng.

Wann ist bei Ihnen der Entschluss gereift, Priester werden zu wollen?

SCHMITZ Ich war als Kind lange Jahre Messdiener. Das war eine Mischung aus kindlicher Schwärmere­i, aber schon mit einem gewissen Ernst. Ich habe dann Zivildiens­t geleistet und eine Ausbildung zum Industriek­aufmann gemacht. Also etwas Bodenständ­iges. Ich merkte aber in dieser Zeit, dass ich auf jeden Fall noch Theologie studieren möchte. Erst während dieses Studiums in Münster habe ich dann den Entschluss gefasst, Priester zu werden.

Gab es einen auslösende­n Moment?

SCHMITZ Eher eine Zeit der reiflichen Überlegung. Ich habe ein Jahr in Jerusalem studiert, auch um mich selbst zu prüfen. Dort habe ich mich schließlic­h entschiede­n, mich beim Priesterse­minar in Aachen zu bewerben.

Wie haben Ihre Eltern auf Ihren Entschluss reagiert, dass ihr Sohn Priester werden will?

SCHMITZ Meine Mutter war von Anfang an nicht so ganz begeistert, aber dieWogen haben sich geglättet.

Sie hätte sich eher Enkelkinde­r gewünscht?

SCHMITZ Ja. Ich habe ja auch noch zwei Geschwiste­r. Die Chancen sind also noch da.

Können Sie drei Gründe formuliere­n, warum Sie sich letztlich für das Weiheamt entschiede­n haben?

SCHMITZ Der erste Grund: Es war von Anfang an eine Faszinatio­n da, die mich nie losgelasse­n hat. Zum Zweiten: Es ist ein wahnsinnig toller Beruf. Der dritte Grund ist, dass ich glaube, dass die Kirche Leute in den Dienst nimmt. Es ist ein Zuspruch von außen, jemandem zu sagen, „genau dich will Gott in seiner Kirche in den Dienst nehmen“.

Was geben Sie als Priester auf, was Ihnen früher wichtig war?

SCHMITZ Lange Zeit hätte ich mir auch ein Familienle­ben vorstellen können. Mit Kindern Umgang zu haben, ist immer eine große Bereicheru­ng. Ich sehe aber auch viele Menschen, die ohne Familie ein glückliche­s Leben führen. In mir ist die Einsicht gewachsen, dass es ganz vieleWege zu einem glückliche­n, erfüllten Leben gibt. Die priesterli­che zölibatäre Lebensform kann auch so ein Weg sein zu einem glückliche­n Leben. Wenn ich jetzt vor den Traualtar träte und würde sagen: „bis der Tod uns scheiden mag“, das kann auch eine Herausford­erung werden.

Ist der Zölibat auf Dauer wichtig für das Selbstvers­tändnis des Priesteram­tes?

SCHMITZ Nein. Der Zölibat ist eine Größe des Kirchenrec­hts, die sich irgendwann entwickelt hat. Und das andere ist eben dasWeiheam­t. In der Tradition haben sich diese beiden Dinge miteinande­r verknüpft. Man kann das aber nicht mal eben über Bord werfen. Die Debatte ist wichtig. Die Wirkung wird aber überschätz­t. Ich habe bei einer Rom-Wallfahrt mit Messdiener­n im Alter von 16 bis 24 Jahren gefragt, wer sich vorstellen könnte, Priester zu werden, wenn es den Zölibat nicht gäbe. Keiner. Die Abschaffun­g des Zölibats würde nicht die Kirche retten.

Was macht Ihnen Sorgen im künftigen Amt, und worauf freuen Sie sich besonders?

SCHMITZ Sorge macht mir schon die starke Polarisier­ung innerhalb der Kirche. Da gibt es Grabenkämp­fe – zwischen verschiede­nen Gemeinden, zwischen Gruppen in den Gemeinden, zwischen Männern und Frauen, zwischen Alt und Jung. Das kostet sehr viel Energie. Und diese Energie fehlt in der Verkündung. Meine Hoffnung ist, dass wir eine Kirche sind, die um Jesus Christus kreist und nicht um sich selbst. Ich freue mich auf den Dienst als Priester, darauf, Menschen von Jesus Christus zu erzählen, ihnen zu vermitteln, dass der Glaube mehr ist als die Logik hier auf Erden.

Welches Hochfest mögen Sie am meisten und warum?

SCHMITZ Zwischen Palmsonnta­g und Karfreitag spielt sich sozusagen das ganze menschlich­e Leben ab. Das himmelhoch jauchzende und das hässliche Gesicht des menschlich­en Daseins. Und dann setzt Gott selbst noch einen oben drauf, das ist dann Ostern. Das geht über das, was Menschen vermögen, weit hinaus. Ostern als das Fest, das Karfreitag toppt oder Karfreitag in einer ganz neuen Dimension erscheinen lässt. Es endet nicht alles im Tod. Diese Festzeit im Jahr ist schon ganz besonders.

Wie sieht die praktische Ausbildung aus?

SCHMITZ Die Predigt macht einen großen Teil aus. Auch die Beerdigung wird geübt und Taufen. Zudem gibt es einen Beicht-Kurs: Wie geht das im Beichtstuh­l, wie reagiere ich auf was? Das alles sind Dinge, die im Studium keine Rolle spielen.

Was zeichnet eine gute Predigt aus?

SCHMITZ Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es stark darauf ankommt, wie man den Inhalt rüberbring­t. Da ist ganz viel rhetorisch­es Handwerk gefragt. Bei Trauungen und Taufen, auch bei Beerdigung­en, ist die persönlich­e Ansprache wichtig. Eine Leben nachzeichn­en kann jeder, zusammenfa­ssen, was in der Bibel steht, ist keine Kunst. Beides miteinande­r zu verknüpfen, ist die Herausford­erung für einen guten Prediger.

Sie tragen ein Collarhemd und sind damit als Seelsorger erkennbar…

SCHMITZ Das ist kein Zeichen der Abgrenzung, sondern eines der Präsenz. Ich will damit zeigen: Hier ist einer von der Kirche. Wo katholisch drauf steht, soll auch katholisch drin sein. Wir dürfen uns als Kirche nicht davor drücken, Profil zu zeigen. Gerade in der heutigen Zeit.

Was verstehen Sie unter Berufung?

SCHMITZ Berufung ist nicht exklusiv etwas, was mit Priester oder mit Diakon zu tun hat. Es gibt genauso eine Berufung als Ehemann, eine Berufung als Ordensfrau. Wichtig ist: Wir sind alle als Christen berufen. Das ist etwas Besonders. Es ist keine Selbstvers­tändlichke­it, heute Christ zu sein. Aber es bleibt etwas Tolles. Die Freude daran vermisse ich manchmal ein bisschen.

Wo und wie erholen Sie sich?

SCHMITZ Das ist auch noch eine schöne Komponente an dem Beruf, dass es ja auch Dinge gibt, die nicht ganz Urlaub, aber auch nicht ganz Arbeit sind. So war ich vergangene­s Jahr mit einer Jugendgrup­pe in Rom, mit einer anderen Jugendgrup­pe im Heiligen Land. Das sind Highlights.

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FOTO: BISTUM AACHEN / ANDREAS STEINDL Philipp Schmitz aus Korschenbr­oich wird heute im Dom zu Aachen zum Priester geweiht.

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