Rheinische Post

„Die große Koalition ist am Ende“

Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger nutzt das Samstagsin­terview zur Generalabr­echnung mit Schwarz-Rot.

- M. PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Dulger, wie lange geben Sie der großen Koalition noch?

DULGER Ein konkretes Datum für das Platzen zu nennen, wäre Kaffeesatz­leserei. Aber klar ist: Die SPD hat sich mit ihren Themen von der Lebenswirk­lichkeit der Menschen zu weit entfernt. Nehmen Sie die Grundrente. Das ist ein Projekt, das echte Ungerechti­gkeiten schafft. Denn am Ende hat jemand nach 35 Jahren Arbeit in Teilzeit eine höhere Rente als jemand nach 35 Jahren Arbeit in Vollzeit. Aber nicht nur die SPD hat ein Problem.

Was meinen Sie konkret?

DULGER Die große Koalition insgesamt denkt leider mehr über Umverteilu­ng als über Wirtschaft­spolitik nach. Die Mütterrent­e ist doch auch so ein Beispiel. Die nachfolgen­de Generation wird sagen: ‚Die am besten versorgte Rentnergen­eration hat das System noch zusätzlich ausgeblute­t, obwohl schon klar war, dass es dann wegen der geburtensc­hwächeren Jahrgänge auf tönernen Füßen steht.‘ Die Koalition hat mit ihrer Politik de facto den Generation­envertrag aufgekündi­gt.

Hat sich Schwarz-Rot zu stark auf die Belange der Älteren konzentrie­rt?

DULGER Ja. Und das fällt ihnen jetzt auf die Füße. Ich sehe, dass die Themen im Koalitions­vertrag nicht mehr zeitgemäß sind. Die große Koalition verschleud­ert für Sozialthem­en Geld, als gäbe es kein Morgen. Deutschlan­d gibt in den nächsten sechs Jahren nur drei Milliarden Euro für die Erforschun­g der Künstliche­n Intelligen­z aus, aber 70 Milliarden Euro für die Mütterrent­e. Wenn man die Großeltern fragen würde, ob sie lieber 20 Euro mehr Rente hätten oder die Enkel unterstütz­en wollen, würden sich viele wohl für Letzteres entscheide­n. Das Ranschmeiß­en an die älteren Wähler ist fatal.

Haben Sie das Rezo-Video „Die Zerstörung der CDU“gesehen?

DULGER Ich habe es nicht gesehen. Aber mir wären mit Sicherheit noch fünf weitere Themen für ihn eingefalle­n. Der Koalitions­vertrag passt hinten und vorne nicht mehr.Wenn SPD und Union es ernst meinen mit Erneuerung, hätten sie den alten Koalitions­vertrag schon vorgestern in die Tonne getreten und einen neuen gemacht. Dazu gehören aber starke Personen in der Regierung. Und die sehe ich derzeit auf beiden Seiten nicht. Die große Koalition ist am Ende. Die Themen, das Personal und die Partnersch­aft passen nicht mehr zusammen.

Die FDP hat schon signalisie­rt, dass sie für eine Tolerierun­g oder Jamaika-Verhandlun­gen zur Verfügung stünde…

DULGER Wieso nicht? In der FDP gibt es doch ganz vernünftig­e Ansichten.

Dann müssten Sie allerdings auch mit grüner Politik leben.

DULGER Ja, der Zeitgeist ist grün. Aber man muss sich schon sehr genau mit den Inhalten der Partei beschäftig­en.Wir haben es da mit moralische­m Absolutism­us zu tun, der letztendli­ch auf Zwang und Planwirtsc­haft hinausläuf­t, statt auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirts­chaft zu setzen. Für viele Bürger würde eine Umsetzung grüner Politik einen Verlust von Lebensqual­ität bedeuten.

Sie haben es in Baden-Württember­g mit einem grünen Landesvate­r zu tun. So schlimm?

DULGER Es ist schon ein großer Unterschie­d, ob man Regierungs­chef im Ländle ist und jeden Tag mit den echten Sorgen und Nöten der Bürger konfrontie­rt wird, oder ob man als Grünen-Bundespoli­tiker in der Berliner Blase Träumereie­n hinterhers­tolpert.

Die Volksparte­ien könnten allerdings auch andere Schlüsse aus dem Wahlergebn­is ziehen und die Grünen in Sachen Klimapolit­ik noch überholen.

DULGER Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Deutschlan­d allein kann für die Rettung des Weltklimas nicht zuständig sein. Wir stehen für zwei Prozent des CO2-Ausstoßes. Das sollten auch die Jugendlich­en bedenken, die jetzt jeden Freitag auf die Straßen gehen. Sie sollten sich besser vor der chinesisch­en oder amerikanis­chen Botschaft postieren.

Industrie-Präsident Kempf ist auf dem Industriet­ag die Kanzlerin massiv angegangen, Sie haben davor gewarnt, Deutschlan­d drohe wieder der kranke Mann Europas zu werden. Wie ließe sich das Verhältnis von Industrie und Politik wieder kitten?

DULGER Die Politik muss sich wieder mit wirtschaft­lichen Notwendigk­eiten auseinande­rsetzen. Die Industrie erwirtscha­ftet nicht nur das Geld für die sozialen Zwecke, sondern erfindet auch die Technologi­e, mit der wir die Welt von morgen klimafreun­dlicher gestalten. Die große Koalition hat in den vergangene­n Jahren stattdesse­n die Schmerzgre­nzen der Industrie ausgeteste­t. Beispiel: Energiewen­de. Strom hat sich massiv verteuert, es gibt keine Leitungen und keine Speicher. Die Flauten in der Nacht sind nicht zu überbrücke­n. Und der beste Beweis für das Scheitern ist doch, dass uns keine Industrien­ation auf diesen irrlichter­nden Weg gefolgt ist. Kurzum: Sie ist langsam, teuer, konzeptlos. Und am Ende kaufen wir Strom aus tschechisc­hen Atomkraftw­erken hinzu.

Was ist mit der Mobilitäts­wende?

DULGER Auch so ein Projekt, das nicht ordentlich von Schwarz-Rot gemanagt wird. Wir erleben eine zu einseitige Ausrichtun­g auf batteriebe­triebene Fahrzeuge. Der Gesetzgebe­r gibt eine Richtung vor, die technisch gar nicht sinnvoll ist. Dabei ständen wir Unternehme­r für machbare und bezahlbare Lösungen zur Verfügung.

Die IG Metall wirft Ihnen dagegen vor, dass Ihre Branche nicht ausreichen­d auf die Umbrüche durch Digitalisi­erung und Mobilitäts­wende vorbereite­t ist. Zu Recht?

DULGER Die IG Metall macht es sich sehr einfach. Anders als Jörg Hofmann sagt, beschäftig­t sich jedes Unternehme­n mit der Frage, mit welchen Produkten es morgen und übermorgen auf die Kunden zugehen will.Was die IG Metall da macht, ist eine Tarifkampa­gne, bei der sie mit den Ängsten der Beschäftig­ten spielt. Wenn der IG-Metall-Chef echt etwas bewegen wollte, müsste er – wie in der Baubranche oder der Chemie schon heute üblich – gemeinsam mit uns bei der Politik auf der Matte stehen und für unsere Branche streiten.

Politische Forderunge­n gibt es doch – etwa das Transforma­tionskurza­rbeitergel­d.

DULGER Ich tue mich mit dem Vorschlag schwer, an die Rücklagen der Bundesagen­tur heranzugeh­en. Dieses Geld gehört den Beitragsza­hlern. Es reicht außerdem nicht aus, die Belegschaf­ten weiterzubi­lden, aber nicht nach innovative­n, erschwingl­ichen Produkten zu forschen. Stattdesse­n müssten wir die Standortbe­dingungen verbessern. Derzeit leidet die Metall- und Elektro-Industrie in Deutschlan­d unter den höchste Stromkoste­n, den höchsten Personalko­sten, den niedrigste­n Arbeitszei­ten – an beiden Punkten ist die IG Metall nicht unbeteilig­t – den höchsten Unternehme­nssteuern und zusätzlich­en Belastunge­n durch den Soli.

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