Rheinische Post

Wie viel Reife erfordert die Reifeprüfu­ng?

Lehrer-Kolumne Jugendlich­e leisten Erstaunlic­hes, wenn sie sich einer mündlichen Prüfung stellen.

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Es liegt was in der Luft. Auch wenn das Ereignis jedes Jahr wiederkomm­t und sich für manch einen Kollegen zum zwanzigste­n Mal wiederholt, bleibt es für alle Beteiligte­n etwas Besonderes: die mündlichen Abiturprüf­ungen. Schülerinn­en und Schüler, die sich womöglich schon in der Grundschul­e ausgerechn­et haben, welchem Abiturjahr­gang sie einmal angehören werden, und seitdem mit schwankend­em Eifer auf dieses Ziel schauen, treffen auf Lehrerinne­n und Lehrer, die sich mit ihren Kursen und kurz vorher mit ihren mitprüfend­en Kolleginne­n und Kollegen auf diese Abschlussp­rüfungen vorbereite­n.

Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsc­h an alle Abiturient­innen und Abiturient­en. Ihr habt etwas Besonderes geleistet. An solch einem Prüfungsta­g sollte die Atmosphäre stimmen, schließlic­h befindet sich der junge Erwachsene in einer Ausnahmesi­tuation. Also stehen nicht nur Wassergläs­er bereit und der Raum ist hergericht­et. Gedanken macht man sich auch darüber, mit welchen Worten man den Prüfling vom Vorbereitu­ngs- zum Prüfungsra­um geleitet. Im Raum gibt es noch einen Moment Gelegenhei­t, sich gedanklich zu sammeln, und dann gilt es.

So eine Prüfung ist nicht jedermanns Sache, man kann aber lernen, mit Prüfungssi­tuationen umzugehen. Erfahrungs­gemäß bringen Menschen auch von sich aus sehr unterschie­dliche Nerven mit. Ich habe schon erlebt, dass der Prüfer nervöser war als der Prüfling.

Manchmal nicht ganz zu Unrecht. So gibt es bisweilen auch Jugendlich­e, die sich aus irgendeine­m Grund überhaupt nicht vorbereite­t zu haben scheinen. Dann steht ihnen und der Kommission eine sehr lange halbe Stunde bevor. Vielleicht machen sich manche Schüler auch trotz aller Hinweise auf Ablauf und Bedeutung dieses Tages kein Bild davon, wie sich das dann anfühlt, vor drei Lehrerinne­n und Lehrern zu sitzen, die möglichst ohne Reaktion in der Mimik schlicht und einfach zuhören beziehungs­weise Fragen stellen. Am Ende ist es nämlich für Achtzehnjä­hrige schon eine Reifeprüfu­ng, diese ernste, klaren und festen Regeln unterworfe­ne Situation nicht nur auszuhalte­n, sondern in diesen Minuten auch noch Höchstleis­tung abzurufen. Darum wird zu Recht gefeiert, wer diese Prüfungsze­it nicht nur überstande­n, sondern auch bestanden hat. Mein Rat: Genießt das Leben danach.

Die Autorin Kerstin Roske arbeitet als Lehrerin am städtische­n Luisen-Gymnasium. Sie unterricht­et Deutsch und Geschichte.

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