Das Gerresheimer Wir-Gefühl
Zehn Jahre Netz gegen Armut: Der Geburtstag wird am Samstag bei einem Essen im Freien vor dem Rathaus gefeiert.
GERRESHEIM Petra Wienss ist eine Frau der ersten Stunde. Die Leiterin des Zentrum plus in Gerresheim war mit dabei, als vor zehn Jahren das Netz gegen Armut gegründet wurde. Vereine, Organisationen und Institutionen, Kirchen und Privatleute schlossen sich in Gerresheim zusammen, um Menschen in Notlagen zu helfen. „Es waren zu Beginn vor allem Senioren, die in unser Blickfeld gerieten. Ältere Menschen, die sich nicht die zwei Euro für Kaffee und Kuchen oder bei einem Ausflug die Fahrkarte leisten konnten“, berichtet Wienss. Wenn dann noch die Zuzahlung der Brille nicht aufgebracht werden kann oder ein elementares Haushaltsgerät den Geist aufgibt, ist die Not bei den Betroffenen groß. Schnell fand man heraus, dass es sich nicht um Einzelschicksale handelt, sondern auch in einem vergleichbar wohlhabenden Stadtteil wie Gerresheim viele bedürftige Menschen leben (auch Alleinerziehende, später kamen noch Flüchtlinge hinzu).
„Das war 2009 wie eine Eruption, die Hilfsbereitschaft von allen Seiten war sofort enorm“, blicktWienss zurück. Spenden wurden gesammelt, die ökumenische Sprechstunde von Caritas und Diakonie wurde den geänderten Bedürfnissen angepasst, in der Sana-Klinik gab es fortan einen Mittagstisch, der Verein Gerresheimer Mädchen organisierte Brotschmieraktionen. Das Angebot wurde im Verlauf der Zeit weiter ausgedehnt, im Lotsendienst zum Beispiel würden Ehrenamtler Menschen beimVerstehen und Aufsetzen von Behördenbriefen helfen, nennt Pfarrerin Cornelia Oßwald ein anschauliches Beispiel.
Das alles habe ein Gerresheimer Wir-Gefühl erzeugt, sagt Maria Icking, Sprecherin des Netzes gegen Armut. Und genau das (und natürlich auch das zehnjährige Bestehen) soll jetzt am kommenden Samstag, 15. Juni, zwischen 12 und 14 Uhr vor dem Rathaus gefeiert werden. Mit einem Mittagstisch im Freien vor dem Rathaus, drei Restaurants und Bezirksbürgermeister Karsten Kunert kochen für den guten Zweck, „denn natürlich wollen wir an dem Tag auch Spenden sammeln“, sagt Icking. Rund 100 Plätze stehen zur Verfügung, die Gerresheimer Jonges übernehmen die Organisation.
Die Einsicht, dass es eben auch in Gerresheim Menschen an oder unterhalb der Armutsgrenze leben (gerade im südlichen Teil), hat bei den Beteiligten zu einem Umdenken geführt. „Wir nehmen bei Veranstaltungen im Zentrum plus keine festen Preise mehr, sondern lassen ein Körbchen herumgehen. Einer schmeißt 50 Cent rein, der nächste fünf Euro. Aber niemand muss sich als bedürftig outen“, erzählt Petra Wienss. Auch das Gemeindefest der evangelischen Kirche werde nur noch aus der Spendenbox finanziert, fügt Cornelia Oßwald hinzu, „und das funktioniert“. Denn eines ist den Akteuren ganz wichtig: „Armut soll am Ende nicht auch noch zu Einsamkeit führen“, so Maria Icking.