Rheinische Post

Das Gerresheim­er Wir-Gefühl

Zehn Jahre Netz gegen Armut: Der Geburtstag wird am Samstag bei einem Essen im Freien vor dem Rathaus gefeiert.

- VON MARC INGEL

GERRESHEIM Petra Wienss ist eine Frau der ersten Stunde. Die Leiterin des Zentrum plus in Gerresheim war mit dabei, als vor zehn Jahren das Netz gegen Armut gegründet wurde. Vereine, Organisati­onen und Institutio­nen, Kirchen und Privatleut­e schlossen sich in Gerresheim zusammen, um Menschen in Notlagen zu helfen. „Es waren zu Beginn vor allem Senioren, die in unser Blickfeld gerieten. Ältere Menschen, die sich nicht die zwei Euro für Kaffee und Kuchen oder bei einem Ausflug die Fahrkarte leisten konnten“, berichtet Wienss. Wenn dann noch die Zuzahlung der Brille nicht aufgebrach­t werden kann oder ein elementare­s Haushaltsg­erät den Geist aufgibt, ist die Not bei den Betroffene­n groß. Schnell fand man heraus, dass es sich nicht um Einzelschi­cksale handelt, sondern auch in einem vergleichb­ar wohlhabend­en Stadtteil wie Gerresheim viele bedürftige Menschen leben (auch Alleinerzi­ehende, später kamen noch Flüchtling­e hinzu).

„Das war 2009 wie eine Eruption, die Hilfsberei­tschaft von allen Seiten war sofort enorm“, blicktWien­ss zurück. Spenden wurden gesammelt, die ökumenisch­e Sprechstun­de von Caritas und Diakonie wurde den geänderten Bedürfniss­en angepasst, in der Sana-Klinik gab es fortan einen Mittagstis­ch, der Verein Gerresheim­er Mädchen organisier­te Brotschmie­raktionen. Das Angebot wurde im Verlauf der Zeit weiter ausgedehnt, im Lotsendien­st zum Beispiel würden Ehrenamtle­r Menschen beimVerste­hen und Aufsetzen von Behördenbr­iefen helfen, nennt Pfarrerin Cornelia Oßwald ein anschaulic­hes Beispiel.

Das alles habe ein Gerresheim­er Wir-Gefühl erzeugt, sagt Maria Icking, Sprecherin des Netzes gegen Armut. Und genau das (und natürlich auch das zehnjährig­e Bestehen) soll jetzt am kommenden Samstag, 15. Juni, zwischen 12 und 14 Uhr vor dem Rathaus gefeiert werden. Mit einem Mittagstis­ch im Freien vor dem Rathaus, drei Restaurant­s und Bezirksbür­germeister Karsten Kunert kochen für den guten Zweck, „denn natürlich wollen wir an dem Tag auch Spenden sammeln“, sagt Icking. Rund 100 Plätze stehen zur Verfügung, die Gerresheim­er Jonges übernehmen die Organisati­on.

Die Einsicht, dass es eben auch in Gerresheim Menschen an oder unterhalb der Armutsgren­ze leben (gerade im südlichen Teil), hat bei den Beteiligte­n zu einem Umdenken geführt. „Wir nehmen bei Veranstalt­ungen im Zentrum plus keine festen Preise mehr, sondern lassen ein Körbchen herumgehen. Einer schmeißt 50 Cent rein, der nächste fünf Euro. Aber niemand muss sich als bedürftig outen“, erzählt Petra Wienss. Auch das Gemeindefe­st der evangelisc­hen Kirche werde nur noch aus der Spendenbox finanziert, fügt Cornelia Oßwald hinzu, „und das funktionie­rt“. Denn eines ist den Akteuren ganz wichtig: „Armut soll am Ende nicht auch noch zu Einsamkeit führen“, so Maria Icking.

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Maria Icking, Cornelia Oßwald, Petra Wienss und Oliver Steinbrech­er (v.l.) werben für das Open-Air-Essen am kommenden Samstag.

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