Von der Leyen kämpft um Europa
Die CDU-Politikerin tritt am Mittwoch als Verteidigungsministerin zurück. Die Union erhofft sich dadurch bessere Chancen von der Leyens bei der Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin.
BERLIN Die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen hat im Ringen um die EU-Kommissionsspitze eine Trumpfkarte gezogen: Sie kündigte am Montagnachmittag überraschend den Verzicht auf ihr Amt als Verteidigungsministerin an – unabhängig davon, ob sie am Dienstag im EU-Parlament zur Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker gewählt wird oder nicht. Nach Informationen unserer Redaktion rechnet sich die Union damit bessere Chancen bei kritischen EU-Parlamentariern aus, weil die 60-Jährige ihr hundertprozentiges Engagement für Europa glaubhaft vermittle. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, von der Leyen zeige, dass sie mit ganzer Kraft und Verve für Europa eintreten wolle. Niedersachsens CDUChef Bernd Althusmann meldete für seinen Verband Anspruch auf von der Leyens Nachfolge in Berlin an. Die Regierung äußerte sich nicht zu Personalspekulationen.
Mit der Abstimmung in Brüssel steht Deutschland vor einer Zäsur: 52 Jahre nach dem letzten deutschen Amtsinhaber Walter Hallstein wäre die Wahl der CDU-Politikerin historisch – ein Scheitern aufgrund von fehlenden Stimmen aus der SPD hingegen existenzgefährdend für die Koalition.
Unionspolitiker empörten sich darüber, dass die 16 SPD-EU-Abgeordneten bei ihrem Nein bleiben wollen. Der kommissarische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel erklärte wiederum die Konservativen zur Ursache des Problems. Die Europäische Volkspartei (EVP) habe ihrem eigenen Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) die Zustimmung verweigert. Die SPD halte am Spitzenkandidatenprinzip fest. „Es wurde eingeführt, damit die Menschen in Europa eine Wahl haben und entscheiden können, wer Europa führen soll“, sagte Schäfer-Gümbel unserer Redaktion. Von der Leyen war nicht als Spitzenkandidatin angetreten, sondern erst nach der EU-Wahl als mögliche Kommissionspräsidentin ins Spiel gebracht worden. Die CDU-Vizevorsitzende und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner griff den Koalitionspartner scharf an: „Die erste Bewährungsprobe des kommissarischen SPD-Führungstrios ist vollkommen danebengegangen. In Berlin koalieren und in Brüssel schamlos gegen Frau von der Leyen wettern – das tut man nicht.“Die Ministerpräsidentinnen und kommissarischen SPD-Chefinnen Malu Dreyer und Manuela Schwesig sollten sich „staatsfraulich verhalten – im Interesse des ganzen Landes“. Dreyer, Schwesig und Schäfer-Gümbel hatten sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Wahl von der Leyens ausgesprochen.
Die CDU-Politikerin wäre die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission. Die studierte Ärztin muss im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Abgeordneten bekommen, sonst ist sie durchgefallen. Scheitert von der Leyen, müssen die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel zusammenkommen und innerhalb eines Monats einen neuen Vorschlag machen.
Anders als CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer befürchtet der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen im Falle einer Niederlage von der Leyens keine Verfassungskrise der EU. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ermahnte die große Koalition in Berlin zum Weitermachen – „egal wie die Abstimmung ausgeht“.