Fußballer werden nicht mehr nur körperlich, sondern auch kognitiv ausgebildet. Wie das funktioniert.
Kognition ist das kommende große Thema im Fußball – findet Joachim Löw. Doch wie trainiert man das Hirn?
DÜSSELDORF Es dauert an diesem Tag mehr als eine halbe Stunde, bis Joachim Löw bei seiner Pressekonferenz in der Frankfurter DFB-Zentrale Mitte März auf das Thema zu sprechen kommt, bei dem Daniel Memmert genau hinhört. „Ich glaube, dass im Fußball irgendwo eine Grenze erreicht ist, was die körperliche Leistungsfähigkeit erreicht ist. Wir brauchen in Zukunft Spieler, die wir im kognitiven Bereich besser ausbilden. Denn das ist die Frage der Zukunft:Wer hat unter gestiegenem Zeitdruck und in engeren Räumen auf dem Feld Lösungen parat? Wer hat die Handlungsfähigkeit im Kopf, die richtigen Dinge zu machen?“, sagt der Fußball-Bundestrainer.
Kognition ist Memmerts großes Forschungsthema an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Dort ist er Geschäftsführender Leiter am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik. Unlängst hat er dazu sogar ein Buch geschrieben. „Fußballspiele werden im Kopf entschieden“, heißt es. Memmert wie Löw sind sich einig in der Überzeugung, dass der mentale Bereich im Fußball der ist, in dem noch die größte Möglichkeit zu Leistungssteigerungen besteht. Kognition, laut Lexikon der Psychologie die „Sammelbezeichnung für die geistige Aktivität von Menschen“, könnte also in naher Zukunft ein zentraler Teil der Trainingsarbeit sein.
Herr Memmert, Konditionstrainer gibt es in jedem Verein, wann kommen die ersten Kognitionstrainer?
MEMMERT Es gibt schon festangestellte Kognitionstrainer. Es gibt einen in Salzburg, Bremen hat unlängst einen eingestellt. Es gibt sie noch nicht in der Breite, das ist klar. Aber ich bin mir relativ sicher, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Vereine mehrheitlich diesen Weg einschlagen werden.
Kann man sich heute denn schon zum Kognitionstrainer ausbilden lassen?
MEMMERT Kognition im Fußball ist auf Forschungsseite noch gar nicht so umfangreich beleuchtet worden. Wir haben jetzt an der Sporthochschule eine erste Meta-Analyse herausgebracht, um zu schauen, ob es überhaupt Effekte gibt. Und die scheint es tatsächlich zu geben. Deswegen kann es auch noch keine richtige Ausbildung zum Kognitionstrainer geben. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass wir versuchen, das in den kommenden Monaten stärker in Studiengänge einzubringen. Kommen wird das auf jeden Fall, denn da steckt sehr viel Potenzial drin.
Ist man nach einer kognitiven Einheit eigentlich erschöpft?
MEMMERT Ja, Kognitionstraining ist anstrengend. Das muss es auch sein, wenn es etwas bringen soll.
Wie baut sich eine kognitive Trainingseinheit auf?
MEMMERT Ein seriöses kognitives Training beginnt mit der Diagnostik. Deswegen führen wir schon länger Tests in punkto Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeitsfenster,Wahrnehmung von Objekten und Ablenkung durch Objekte durch..
Antizipation, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kreativität, Spielintelligenz – das sind die Kernbegriffe des kognitiven Trainings. Wer Aktionen voraus ahnen kann, hat einen zeitlichen Vorteil, wer Ballverlauf, eigene Position, Gegen- und Mitspieler richtig wahrnimmt und die wichtigen Wahrnehmungen filtern kann, ohne überfordert und abgelenkt zu sein, der kann seine Handlungen besser steuern. Und wer schneller und besser handelt, ist kreativer und am Ende damit spielintelligenter. Es gibt heute schon Trainingsformen, die all diese Fähigkeiten testen und verbessern können. Memmert nennt Trainer Thomas Tuchel (Paris St. Germain) explizit als Vorreiter, dessen Trainingsinhalte seit Jahren schon für Spieler nicht nur körperlich, sondern auch für den Kopf höchst belastend seien.
Sind intelligente Fußballer kognitiv besser?
MEMMERT Tatsächlich hat man herausgefunden, dass grundlegende kognitive Leistungen durchaus Rückschlüsse auf den IQ und die Kreativität der Person zulassen.
Und was ist dann mit den vielbesungenen „Straßenfußballern“und ihrem Instinkt? Fällt der künftig hinten rüber?
MEMMERT Ich mag dasWort Instinkt nicht, das taucht in der Wissenschaft so auch nicht auf. Ich würde lieber von Kreativität sprechen. Da wissen wir auch genau, was das ist. Und es gibt im Fußball eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man Kreativität schulen kann – einen immens wichtigen Faktor im Fußball. Studien zeigen, dass die Mannschaften erfolgreicher sind, die kreativer sind. Vor allem am vorletzten Pass wird das deutlich, dem Nahtstellen-Pass, nicht am letzten Pass vor dem Tor, der oftmals sehr einfach ist.
Es gibt die These, dass eine Ausbildung in mehreren Sportarten ein Kind kreativer werden lässt.
MEMMERT Ja, wer als Kind und Jugendlicher lange verschiedene Sportarten parallel ausübt, bei dem scheint ein Transfer der Bewegungen und Lösungsansätze nicht nur im motorischen, sondern auch im kognitiven Bereich möglich zu sein.
Das Thema Kognition lenkt nebenbei den Fokus auch auf die Frage, wie sehr Profiklubs und Wissenschaft in Deutschland eigentlich vernetzt sind.
Wie innovativ ist der deutsche Profifußball?
MEMMERT Die Zahl der Vereine, die innovativ sind und mit der Wissenschaft zusammenarbeiten, liegt, das ist mein Gefühl, noch immer bei höchstens zehn Prozent. Dabei ist es im heutigen Profisport entscheidend, nicht nur „state of the art“zu sein, sondern eben den einen Schritt voraus.
Sind andere Sportarten innovativer?
MEMMERT Vor 10, 15 Jahren war Hockey noch der Sport weltweit, der sehr innovativ war. Inzwischen ist der Fußball vorbeigezogen, nicht zuletzt aufgrund des vielen Geldes, der darin steckt.
Wo in der Welt arbeiten Profisport und Wissenschaft so zusammen, wie Sie es sich vorstellen würden?
MEMMERT Australien ist da definitiv einen Schritt voraus, wenn es um die Zusammenarbeit von Leistungssport und Wissenschaft geht. Ein Beispiel: Ein Verein in Australien zahlt eine halbe Doktoranden-Stelle, die Uni zahlt die andere Hälfte. Das ist Win-Win für beide Seiten, gibt es in Deutschland aber nicht.
Warum nicht?
MEMMERT Da ist die Politik gefragt – die Vereine aber auch. Momentan entscheiden sich aber eben viele Vereine noch immer eher dazu, eine Million für einen neuen Spieler auszugeben, anstatt 500.000 Euro in einen vernünftig ausgestatteten Trainingsbereich Kognition. Trainer und Sportdirektor haben halt vor allem den kurz- und mittelfristigen Erfolg im Blick, weniger die langfristige Entwicklung des Klubs, an der sie in der Regel doch nicht mehr teilhaben.