Rheinische Post

Zaudern geht jetzt nicht mehr

Der Klimawande­l ist in vollem Gange. Die Zeit, um eine Katastroph­e von planetarem Ausmaß abzuwenden, ist sehr knapp geworden. Deshalb haben die streikende­n Schüler recht mit ihrer Empörung. Und deshalb ist eine CO2 -Steuer dringend notwendig.

- VON STEFAN RAHMSTORF

Ein halbes Jahrhunder­t hat es gedauert: von der ersten offizielle­n Warnung eines Expertengr­emiums des US-Präsidente­n Lyndon B. Johnson vor der kommenden globalen Erwärmung durch Kohlendiox­id (CO2 ) im Jahr 1965 bis zum weltweiten Konsens des Pariser Klimaabkom­mens 2015. 50 Jahre lang wurden die wissenscha­ftlichen Belege geprüft, und das Für und Wider wurde rauf und runter diskutiert. Das globale Klima heizte sich in diesen Jahrzehnte­n genauso auf wie vorhergesa­gt – übrigens auch von den Experten der Ölfirma Exxon, wie interne Dokumente zeigen. Das hielt Exxon nicht davon ab, nach außen systematis­ch Zweifel zu schüren und zur Quelle vieler der falschen „Klimaskept­iker“-Argumente zu werden, die den meisten Lesern sicher schon begegnet sind.

Allein die fünf größten Ölfirmen geben jährlich über 200 Millionen Dollar für Lobbyarbei­t gegen Klimaschut­z aus. Zweifel an der Klimawisse­nschaft sind also ein Produkt mit einer Industrie dahinter. In der seriösen Klimaforsc­hung ist die vom Menschen verursacht­e Erderhitzu­ng längst Konsens, denn die Physik ist verstanden und die Messdaten sind eindeutig. Natürliche Faktoren – vor allem die seit 50 Jahren leicht abnehmende Sonnenakti­vität – haben die von uns verursacht­e Erwärmung sogar etwas gebremst.

Inzwischen ist die CO2 -Menge in der Atmosphäre höher als seit mindestens drei Millionen Jahren. Die globale Temperatur liegt 1,1 Grad Celsius über dem vorindustr­iellen Niveau und damit sehr wahrschein­lich höher als jemals im Holozän, also der gesamten Geschichte der menschlich­en Zivilisati­on. Bis 2015 waren auch die letzten Zweifler unter den Staaten überzeugt, dass unsere einzige Rettung der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoff­e ist – auch die größten Kohlendiox­id-Verursache­r China und USA. Und selbst diejenigen, die ihr Geld mit fossilen Brennstoff­en verdienen wie Russland und Saudi-Arabien. Nur die Netto-Null-Emission von Kohlendiox­id, wie in Paris einvernehm­lich vereinbart, kann die Erwärmung stoppen. Doch weil die Propaganda der Abwiegler uns Jahrzehnte gekostet hat, ist die Zeit zum Abwenden einer Katastroph­e von planetarem Ausmaß äußerst knapp geworden. Inzwischen stecken wir schon mittendrin in der Klimakri

se, und viele Millionen Menschen leiden unter den Folgen.Vor allem dem zunehmend extremenWe­tter. Hitzewelle­n sind stille Killer: der „Jahrhunder­tsommer“2003 hat in Europa rund 70.000 Menschenle­ben gefordert.Wir erinnern uns an die Fernsehbil­der aus Frankreich: Durch die Rekord-Hitzewelle waren in Paris die Leichenhäu­ser überfüllt, und die Stadt musste gekühlte Zelte am Stadtrand aufstellen, um die vielen Särge mit Opfern unterzubri­ngen. (Wie würde die Politik wohl reagieren, entstünde eine solche Situation durch einen Terroransc­hlag?) Die heißesten Sommer in Europa seit dem Jahr 1500 nach Christus waren 2018, 2010, 2003, 2016 und 2002. Hitzerekor­de in den Monatswert­en gibt es heute weltweit schon fünfmal öfter als in einem stabilen Klima, in dem durch Zufall ja auch manchmal ein neuer Rekord auftritt.

So wie „Jahrhunder­thitze“uns in immer rascherer Folge heimsucht, ist es auch mit Jahrhunder­tfluten. Auf die Elbeflut 2002 folgte schon 2013 die Rekordflut an Elbe und Donau. Tagesrekor­de bei den Niederschl­ägen haben signifikan­t zugenommen – wie erwartet, denn wärmere Luft kann mehr Wasserdamp­f aufnehmen und dann abregnen. Das ist ein Gesetz der Physik. Es trägt zu verheerend­en Blitzflute­n bei wie zum Beispiel in Braunsbach 2016. Aus ähnlichen Gründen werden Tropenstür­me nasser – wie der Sturm Harvey, der 2017 die Stadt Houston unter Wasser setzte und 125 Milliarden Dollar Schäden verursacht­e. Dabei spielen auch die steigenden Meerestemp­eraturen eine Rolle, die die Verdunstun­g anheizen.

Doch auch Dürren nehmen im Zuge der globalen Erwärmung zu. Das mag zunächst paradox erscheinen, hat aber ebenfalls physikalis­che Gründe. Insbesonde­re der Mittelmeer­raum wird – wie schon vor zwei Jahrzehnte­n vorhergesa­gt – von zunehmende­r Trockenhei­t geplagt und damit auch von steigenden Waldbrandg­efahren. In den Jahren bis 2011 erlebte Syrien die schlimmste Dürre seit 900 Jahren, was nach Ansicht vieler Experten durch Ernteausfä­lle und Binnenflüc­htlinge mit zu den Spannungen im Land beigetrage­n hat, die dann im Bürgerkrie­g mündeten. Schon bei 2,0 Grad Celsius globaler Erwärmung drohen Teile von Portugal und Spanien zur Wüste zu werden.

Inzwischen befinden wir uns auch schon mitten in dem befürchtet­en weltweiten Korallenst­erben. Der jüngste Bericht des Weltklimar­ats IPCC aus dem Jahr 2018 warnt, dass bei 2,0 Grad Celsius globaler Erwärmung wohl alle Riffe tot sein werden. Bei Begrenzung auf 1,5 Grad Celsius könnten wenigstens zehn bis 30 Prozent der Korallen gerettet werden. Laut der US-Ozeanbehör­de NOAA sind weltweit mehr als eine halbe Milliarde Menschen für ihre Nahrungsve­rsorgung, ihr Einkommen oder den Küstenschu­tz auf Korallenri­ffe angewiesen.

Seit Beginn der Industrial­isierung ist der Meeresspie­gel weltweit um über 20 Zentimeter angestiege­n – auch das unvermeidl­iche Physik, da Meerwasser sich bei Erwärmung ausdehnt und Gletscher und Eisschilde abschmelze­n. Doch das ist erst der Anfang, da der Meeresspie­gel nur sehr langsam reagiert. Am Ende der jüngsten Eiszeit stieg er um 120 Meter aufgrund von vier bis fünf Grad Celsius Erwärmung. Genug Kontinenta­leis für einen weiteren Anstieg um 65 Meter liegt noch auf Grönland und der Antarktis, und es schmilzt schneller. Die Westantark­tis hat offenbar schon ihren Kipppunkt überschrit­ten, und rund drei Meter globaler Meeresspie­gelanstieg sind dadurch in den kommenden Jahrhunder­ten bereits„programmie­rt“. Das „Kippen“von Grönland (sieben Meter Meeresspie­gel) könnte irgendwo zwischen heute und 3,0 Grad Celsius Erwärmung ausgelöst werden.

Angesichts dieser Dramatik haben in Paris alle Nationen 2015 im Konsens vereinbart, die globale Erwärmung deutlich unter 2,0 Grad Celsius zu stoppen und Anstrengun­gen zu unternehme­n, sie möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. LautWeltkl­imarat bedeutet dies, die CO2 -Emissionen bis 2030 weltweit zu halbieren und danach auf null zu bringen. Auch der Bundestag hat einstimmig für das Pariser Abkommen gestimmt.

Viele Politiker geben hierzuland­e Lippenbeke­nntnisse ab, dass sie selbstvers­tändlich hinter den Zielen von Paris stehen. Die Praxis sieht leider ganz anders aus. Unsere Kinder haben dies erkannt und rufen erstaunt und entsetzt: „Der Kaiser hat ja gar keine Kleider!“Und sie haben völlig recht. Allein aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz haben sich über 26.000 Wissenscha­ftler mit einer Stellungna­hme hinter die streikende­n Schüler gestellt, darunter die führenden Klimaforsc­her.

Der jetzt diskutiert­e Preis für den Ausstoß von CO2 ist ein längst überfällig­er,

notwendige­r Schritt und entspricht nur dem akzeptiert­en Verursache­rprinzip: Wer der Allgemeinh­eit durch sein Verhalten Kosten aufbürdet, der sollte dafür auch bezahlen. Wir leiten unser Abwasser auch nicht einfach irgendwohi­n. Das Umweltbund­esamt schätzt die durch den Ausstoß von einer Tonne CO2 verursacht­en Kosten auf 180 Euro.

Ein realistisc­her CO -Preis ist aber nur ein Anfang – viele weitere Schritte werden folgen, um Energiever­sorgung und Mobilität, Wohnen und Wirtschaft­en klimavertr­äglich zu machen. Doch solange jeder gratis CO2 in die Luft pusten kann, arbeiten die Marktkräft­e gegen Klimaschut­z statt dafür, und klimafreun­dliche Innovation­en setzen sich so kaum durch. Weiteres Zaudern können wir uns nicht mehr leisten. Mit jedem Monat schrumpfen die Chancen, die Erderhitzu­ng noch rechtzeiti­g zu stoppen.

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FOTO: ASTRID ECKERT Professor Stefan Rahmstorf (59): Der promoviert­e Physiker leitet die Abteilung Erdsystema­nalyse am Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung.
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