Huong Vu kämpft gegen das Rotlichtklischee
Wenn Huong Vu lacht, und das tut sie häufig, dann hallt ihr Lachen von den Wänden ihres geräumigen Poledance-Studios an der Rethelstraße wider. In dem großen Raum mit bodentiefen Fenstern stehen 13 verschieden dicke, an Boden und Decke montierte Metallstangen, sogenannte Poles, einer Spiegelwand gegenüber. Die Jalousien sind heruntergelassen. „Einige Teilnehmer schwitzen mehr als andere, wenn die Sonne hier hereinscheint“, erzählt die Poledance-Trainerin, „dann rutschen schon mal die Hände an der Stange ab.“
Im Alter von zwei Monaten zog Vu mit ihrer Familie von Vietnam nach Mönchengladbach. „Meine Eltern wollten, dass ich Ärztin oder Anwältin werde“, erinnert sich die 38-Jährige. Doch als Jugendliche kam sie über Kampfsport zum Fitnesstraining und begann, nach ihrem Abitur eigene Fitnesskurse und Tanzworkshops anzubieten. 2009 tanzte sie zum ersten Mal an der Pole. „Mein erster Eindruck war: Das ist ja anstrengend und tut weh, wer will das denn lernen?“Trotzdem ließ sie sich zur Trainerin ausbilden, aus Nettigkeit gegenüber ihrer Ausbilderin. Und dann fand sie daran Gefallen. „Das ist wie mit einem ungewollten Kind“, vergleicht sie das, „irgendwann liebt man es doch.“
2011 eröffnete Vu schließlich ihr eigenes Studio, Poledance NRW. „Der Unterricht ist wie eine Party“, erzählt sie mit leuchtenden Augen, „wenn du etwas Nichtmaterielles wie Freude am Tanzen teilst,
dann multipliziert es sich. Und meine Schüler glücklich zu machen, macht mich glücklich.“Einen anderen Beruf kann sie sich nicht vorstellen. „Das ist für mich Freiheit: Jeden Tag das machen zu dürfen, was mir Spaß macht, mit Menschen, die da sind, weil sie Bock drauf haben.“
Ihre Schüler sind Mädchen und Frauen zwischen 14 und 57 Jahren, Anfängerinnen und Profis. „Das einzige, was sie mitbringen müssen, ist Spaß an Bewegung, Ehrgeiz und eine gewisse Gelassenheit, wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert“, sagt die Lehrerin, „den Rest kann ich ihnen antrainieren.“Das Ziel: Die eigene Komfortzone verlassen und erweitern. Aber: „Das muss immer liebevoll und freiwillig geschehen, sonst rächt sich der Körper auf langer Sicht dafür.“
Diese Rache erfuhr Huong Vu am eigenen Leib. „Als ich mit Poledance anfing, habe ich zwei Jahre lang sehr intensiv trainiert, meinen Körper überansprucht“, erinnert sie sich. Das Ergebnis: Mondbeinnekrose, eine Durchblutungsstörung im zentralen Handgelenksknochen. Die Ärzte waren sich einig: Wenn sie weiter an der Stange tanzt, ist ihr Handgelenk in fünf Jahren unbrauchbar. Deshalb beschloss sie, ihren gesamten Lebensstil zu ändern und sich in diesem Zug auch gesünder zu ernähren. „Ich muss nicht super lange leben, aber ich will gesund sterben und das Leben in vollen Zügen genießen.“
Manchmal erntet die 38 Jahre alte Tänzerin schon noch irritierte Blicke von denen, die das Tanzen an der Stange nur aus dem Rotlichtmilieu kennen. „Aber Poledance ist so vielfältig wie Spaghetti“, erklärt sie und fügt lachend hinzu, „wobei ich die nicht esse – zu viel Gluten!“
Und was sagen ihre Eltern, die sich eine Ärztin oder Anwältin zur Tochter gewünscht haben? „Meine Familie dachte früher: ‚Wenn sie mit dem Studium fertig ist, wird sie einer vernünftigen Arbeit nachgehen - Arbeit darf doch keinen Spaß machen’“, sagt Vu, „heute sind sie stolz, dass ich meinem Herzen gefolgt bin. Solange ich glücklich bin, sind sie es auch.“
Johanna Porten