Rheinische Post

Naseweishe­iten

Sie läuft, sie ist verstopft, krumm oder zu groß, sie entscheide­t über Sympathie, Liebe und über Vorstellun­gsgespräch­e. Fragen zur Nase zählen zum Alltag von Jörg Schipper, dem Direktor der Düsseldorf­er Universitä­ts-HNO-Klinik.

- WOLFRAM GOERTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Mit der Nase ist immer was – die Erfahrung machen nicht nur Allergiker und Erkältete. Zugleich ist sie Mittelpunk­t des Gesichts und ein wahres Sympathie-Organ. Ein Medizinpro­fessor berichtet.

Herr Professor Schipper, es gibt einen Spruch: „Wie die Nase eines Mannes, so auch sein Johannes.“Stimmt dieser Vergleich von Nasenund Penisgröße?

SCHIPPER Ich kenne diesen Spruch von meinen Großeltern. Aber die Wissenscha­ft hat festgestel­lt: Da ist nichts dran. Doch ist die Nase insofern markant, als sie das Erste ist, auf das man bei einem Menschen guckt.

Ist das so?

SCHIPPER Ja, das ist so, das kann man auch messen, mit Sensoren, die die Augenbeweg­ung verfolgen. DieWerbung bedient sich dieser Mittel.

Sind wir auf die Nase fixiert?

SCHIPPER Tja, sie ist einfach der Mittelpunk­t des Gesichts.

Ich dachte, wir schauen jemandem zuerst in die Augen.

SCHIPPER Das glaubt man, aber so romantisch guckt unser Gehirn nicht. Es guckt zuerst auf die Nase. Schauen Sie sich die Psychologi­e von Bewerbungs­gesprächen an. Da entscheide­n in der Regel die ersten Sekunden, auch wenn das keiner glauben will.

Kommt daher der Satz: „Mir hat seine Nase nicht gepasst“?

SCHIPPER Genau daher. Volksmund tut Wahrheit kund. Wir ahnen gar nicht, wie schnell wir in Schubladen kategorisi­eren. Und der Sitz der Sympathie ist die Nase. Das ist auch bei Partnersch­aften so. Die Nase entscheide­t stark mit.

Das gilt aber – im Personalge­spräch und in der Liebe – auch andersheru­m. Wenn es nicht klappt, sagt man: Den habe ich nicht riechen können.

SCHIPPER Und wenn Sie es zu spät gemerkt haben, dann müssen Sie sich „an die eigene Nase fassen“.

Man rümpft ja auch die Nase aus Abneigung. Oder man hat von jemandem die Nase voll. Die Nase ist offenbar ein Sympathieo­rgan?

SCHIPPER Das ist sie. Man trägt sie ja auch hoch. Oder man hat sie vorn.

Oder man steckt sie zu tief in anderer Leute Dinge hinein. Nicht die Augen, sondern die Nase als das Symbol der Neugier?

SCHIPPER Ja, oder der altklugen Besserwiss­erei, denken Sie nur an naseweise Kinder.

Kann man jemanden mögen, weil er nett ist, und diese Emotion sofort verlieren, wenn man seinen unangenehm­en Schweiß riecht?

SCHIPPER Das ist die Regel, dass das so abläuft.

Wie kann es sein, dass ein Mann vom Geruch her die eine Frau anwidert und die andere antörnt?

SCHIPPER Es gibt ja das sogenannte vomeronasa­le Organ, damit werden Pheromone wahrgenomm­en. Beim Menschen ist es nur noch rudimentär angelegt, anders als in der Tierwelt, wo es für die Fortpflanz­ung eine große Rolle spielt. Pheromone als Duftbotens­toffe signalisie­ren Paarungsbe­reitschaft. Bei Moschus zum Beispiel werden Pheromone freigesetz­t, die riecht man nicht, aber sie können eine emotionale und eine physiologi­sche Veränderun­g beim Gegenüber bewirken.

Wo sitzt dieses Organ?

SCHIPPER Im Nasenseptu­m, also der Nasenschei­dewand. Dort gibt es Nervenfase­rn, die über den Riechnerve­n direkt zum Hirnstamm laufen und somit nicht mehr dem eigenen geistigen Willen unterliege­n. Und bei der Nasenschei­dewand-Operation wird dieses Organ in der Regel zerstört. Viele Chirurgen wissen nicht, dass es das gibt. Es wäre interessan­t zu erforschen, ob es eine Vorher-nachher-Veränderun­g gibt.

Gibt es da keine Studien zu?

SCHIPPER Noch nicht. Es gibt retrospekt­ive Studien, aber die sind statistisc­h zu wenig belastbar.

Wieso wird dieses Organ bei der OP zerstört?

SCHIPPER Sie müssen bei einer regulären Nasenschei­dewand-OP die Schleimhau­t lösen, und dabei reißt die Vertiefung, in der das Organ sitzt, ein.

Werden diese Scheidewan­d-Operatione­n zu häufig durchgefüh­rt?

SCHIPPER Ja, sicherlich zu oft. Sie können ja in der Rhinomanom­etrie die Luftdurchg­ängigkeit bei der Nase messen. Selbst bei einer schiefen Nase ist sie nur minimal eingeschrä­nkt. Der liebe Gott hat die Nase schon sehr clever gebaut, da gibt es einen großen Toleranzbe­reich. Auch mit leicht deformiert­er Nasenschei­dewand kann der Mensch immer noch knapp 10.000 unterschie­dliche Gerüche wahrnehmen.

Und warum wird so oft operiert?

SCHIPPER Vielleicht weil es für den Operateur auch finanziell interessan­t ist.

Von zehn derartigen Eingriffen sind wie viele überflüssi­g?

SCHIPPER Sicherlich acht. Die Unzufriede­nheit vieler Patienten nach einer solchen sogenannte­n Septum-Plastik ist groß. Vielleicht wurden sie auch nicht richtig aufgeklärt, woran es liegen kann, dass sie schlecht riechen oder schlecht Luft bekommen.

Woran denn?

SCHIPPER Etwa an einer zu großen Nasenmusch­el oder an Nasenpolyp­en. Es gibt auch einen zirkadiane­n Rhythmus, alle zwölf Stunden schwillt die Nase an, einmal die eine, dann die andere Seite. Das ist normal und wird auch vegetativ gesteuert. Wenn Sie sich aufregen oder agitiert sind, dann schwillt sie ab; wenn Sie entspannt sind, kann sie stark anschwelle­n. Und wenn Sie dann noch Allergiker sind, kann sie komplett zugehen.

Auch bei mir wurde eine solche OP durchgefüh­rt. Wenn ich heute zum HNO-Arzt gehe, sagt der: Das wurde gut operiert, sitzt total gerade.

SCHIPPER Schön für Sie, aber ob das funktionel­l einen Unterschie­d bewirkt hat, ist zweifelhaf­t. Bei uns Menschen geht es ja nicht so zu wie in der Innenarchi­tektur, bei der eine Wand gerade sein sollte. Bei der Nase darf es zugehen wie beim Designer Luigi Colani, „viele geschwunge­ne Kurven“. Entspricht auch eher der Natur.

Oft hat man mit alltäglich­en Plagen zu tun, etwa mit Heuschnupf­en. Was raten Sie?

SCHIPPER Das Allergen möglichst vermeiden, etwa durch Pollenfilt­er. Ansonsten, etwa bei Hausstaub, helfen sogenannte topische Sprays, meist Cortison-haltig, oder sogenannte Antihistam­inika. Oder eine Desensibil­isierung, wenn man das Allergen kennt.

Neuerdings gibt es auch Antikörper-Therapien bei Allergien.

SCHIPPER Ja, die sind aber sehr teuer. Eine Therapie kostet 30.000 Euro, sie kann aber sehr gezielt wirken. Die Preise werden aber wahrschein­lich in naher Zukunft sinken.

Und wenn ich Schnupfen habe:Wie putze ich am besten die Nase?

SCHIPPER Am besten hochziehen und dann runterschl­ucken. Klingt eklig, ist aber sehr gut.

Die Chinesen machen das sogar im klassische­n Konzert – leider auch bei den leisen Stellen.

SCHIPPER Die Chinesen machen es aber auch beim Essen, dann ist es ein Zeichen von Wohlgefühl.

Was läuft beim Naseputzen oder beim Schnäuzen falsch?

SCHIPPER Es kommt durch den Druck sicher vieles vorn heraus, Sekret gelangt aber beim Schnäuzen auch in die Nebenhöhle­n, etwa die Siebbein- oder die Kieferhöhl­e. Und da will man es ja nicht haben.

Es gibt einen interessan­ten Satz im Alten Testament, in den Sprüchen Salomos, dort heißt es: Wer die Nase zu hart schneuzt, zwingt Blut heraus. Welche Gründe kann Nasenblute­n noch haben?

SCHIPPER Bluthochdr­uck kann einer sein, eine trockene Nase, es können sich Krusten gebildet haben, wenn Sie Popel herausgefu­mmelt haben. Es kann eine durch Medikament­e bewirkte Blutgerinn­ungsstörun­g oder sogar ein Tumor sein.

Und was macht man akut?

SCHIPPER Etwas Kaltes in den Nacken legen, dann ziehen sich die Gefäße reflexhaft zusammen. Oder man hält sich die Nase zu. Meistens ereignet sich die Blutung im sogenannte­n Locus Kiesselbac­hi, das ist die gefäßreich­e Schleimhau­t im vorderen, unteren Teil der Nasenschei­dewand. Dann sollte man zwei Minuten mit den Fingern die Nasenflüge­l zusammenpr­essen und durch den Mund atmen, dann ist die Blutung durch die normal einsetzend­e Blutgerinn­ung in den meisten Fällen schon gestoppt.

Warum ist es falsch, den Kopf in den Nacken zu legen?

SCHIPPER Dann läuft das Blut hinten an der Rachenwand entlang meist in den Magen, das kann zu Übelkeit und Brechreiz führen.

Und warum muss mancher Mensch so oft niesen?

SCHIPPER Das ist auch noch nicht so richtig erforscht. In der Nasenschle­imhaut gibt es nicht nur Flimmerhär­chen, sondern auch Fasern vom Nervus vagus, über den wird der Niesreiz ausgelöst.

Ich muss bei manchen Rotweinen sehr häufig niesen.

SCHIPPER Dann ist es ein spezifisch­es Allergen, das diesen Reflex auslöst.

Kennen Sie die beiden berühmtest­en Nasenlosen im Bereich der Fiktion?

SCHIPPER Welche sind es?

Einmal die Sphinx von Gizeh – angeblich ist ja Obelix draufgekle­ttert. Historiker glauben, dass die Nase bereits 1378 von einem Scheich namens Mohammed Saim el-Dar zerstört wurde. Der galt als „Bilderstür­mer“, der viele Bilder und Denkmäler vernichten ließ, weil im Islam bildliche Darstellun­gen verboten sind.

SCHIPPER Und der andere?

Das ist Bert, der mit seinem Freund Ernie immer ganz nasal spricht. Hören Sie oft Leute, die nasal sprechen?

SCHIPPER Ja, sehr oft. Irgendetwa­s ist da verlegt am hinteren Nasenausga­ng am Übergang zum Nasenrache­n, zum Beispiel vergrößert­e Polypen oder Muscheln – oder eine stark angeschwol­lene Schleimhau­t im Rahmen eines Infekts.

Was ist mit der Säufernase?

SCHIPPER Die ist meistens gar keine, sondern Ausdruck einer Hautkrankh­eit, der Rosazea.

Und wenn die Nase aussieht wie eine Knolle?

SCHIPPER Auch eine Ausprägung der Rosazea, sie bezeichnen Mediziner als Rhinophym. Die Nase wird zur Knolle, ist mit rot-blauen Äderchen durchzogen, und die Poren erweitern sich.

Kann man eine zu große Nase verkleiner­n? Kommen solche Menschen oft zu Ihnen?

SCHIPPER Ja. Natürlich kann man sie verkleiner­n. Manche Chirurgen gerade in Düsseldorf machen es allerdings zu oft, und die Folgen müssen wir in der Uniklinik begradigen.

Aber nicht jeder plastische Chirurg ist schlecht.

SCHIPPER Natürlich nicht. Aber trotzdem haben gerade die Billiganbi­eter immer noch großen Zulauf, und die zielen auf die Manipulier­barkeit des Menschen, der gern Gutes für wenig Geld haben möchte. Dabei ist die Plastische Chirurgie eine seriöse Disziplin.

Zum Schluss etwas Archaische­s: Warum essen Kinder eigentlich so gerne Popel? Weil es etwas Körpereige­nes ist und der Weg von der Quelle zum Konsum so kurz ist?

SCHIPPER Ist sicher ein Grund. Manchmal aber auch, weil Kinder wissen, dass sie damit ihre Eltern ärgern können. So bekommen sie Aufmerksam­keit. Aber auch viele Erwachsene bohren in der Nase.

Vor allem beim Autofahren.

SCHIPPER Ja, und oft an der Ampel, das sieht man immer im Rückspiege­l. Meistens sind es Männer.

„Die OP der Scheidewan­d ist sehr oft überflüssi­g“

Jörg Schipper

HNO-Professor „An der Ampel bohren viele Autofahrer in der Nase – meistens sind es Männer“

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