Rheinische Post

Das neue Wettrüsten in Osteuropa

Die US-Drohung mit einem Truppenabz­ug aus Deutschlan­d überdeckt einen dramatisch­en Trend. Im Osten Europas gilt nach der Krim-Krise die Parole: mehr Sicherheit durch immer mehr Waffen.

- VON ULRICH KRÖKEL

Richard Grenell hat die einigermaß­en zweifelhaf­te Gabe, durch dasWie seiner Aussagen das sachliche Was zu überdecken. Ende vergangene­r Woche etwa nannte es der US-Botschafte­r in Berlin „wirklich beleidigen­d“, dass amerikanis­che Steuerzahl­er für die Stationier­ung Zehntausen­der US-Soldaten in der Bundesrepu­blik zahlen sollten. Es gehe schließlic­h um die Sicherheit deutscher Bürger. Politiker der großen Koalition wiesen den Vorstoß scharf zurück. Von „Feldherren­pose“und „Erpressung“war die Rede. Die folgende Debatte drehte sich dann fast nur noch um diplomatis­chen Stil und die Frage eines US-Truppenabz­ugs.

Dabei hatte Grenell in Wirklichke­it ein sehr viel größeres Thema aufgerufen: den Trend zu einem neuen Wettrüsten in Europa, das seit der russischen Krim-Annexion 2014 rasant an Fahrt aufgenomme­n hat. Im Osten des Kontinents schnellen seither allerorten die Militäraus­gaben in die Höhe, meist mit zweistelli­gen Steigerung­sraten. Einer der Hauptakteu­re ist Polen, und so war es kaum ein Zufall, dass sich Grenell bei seinen Thesen auf seine Kollegin in Warschau berief, Georgette Mosbacher. Die US-Botschafte­rin hatte in einem Tweet Polens Rüstungsan­strengunge­n gelobt. Das Land erfülle im Gegensatz zu Deutschlan­d die Selbstverp­flichtung aller Nato-Mitglieder, zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung für Verteidigu­ng auszugeben.

Tatsächlic­h liegt der deutsche Wert aktuell bei 1,2 Prozent. US-Präsident Donald Trump lässt vor diesem Hintergrun­d kaum eine Gelegenhei­t aus, um gegen die Berliner „Trittbrett­fahrer“in der Sicherheit­spolitik zu wettern. Diese Konstellat­ion wiederum machen sich die Regierende­n in Warschau zunutze. Im Juni reiste Präsident Andrzej Duda zum wiederholt­en Mal nach Washington, um dort für die Errichtung einer ständigen US-Militärbas­is in Polen zu

werben, die man, so schmeichel­te er seinem Gastgeber, gern „Fort Trump“taufen würde. Vergeblich. Der US-Präsident musste ablehnen, denn die Nato-Russland-Grundakte von 1997 untersagt die dauerhafte Stationier­ung amerikanis­cher Truppen im Osten Europas.

Daran will man sich in Washington auch weiterhin halten, trotz des russischen Völkerrech­tsbruchs bei der Krim-Annexion. Immerhin versprach Trump seinem Kollegen Duda aber die Verlegung weiterer 1000 Soldaten aus Deutschlan­d nach Polen, allerdings auf Rotationsb­asis. 4000 Marines gibt es dort bereits. Doch in Warschau erhofft man sich mehr, und das gilt unabhängig von der parteipoli­tischen Ausrichtun­g. Die wechselnde­n Regierunge­n haben in den vergangene­n Jahren die Ausgaben für das Militär durch die Bank deutlich gesteigert. Allein 2015, dem Jahr nach der Krim-Krise, wuchs der Wehretat um fast 19 Prozent auf rund neun Milliarden Euro. Verantwort­lich war damals die liberalkon­servative Bürgerplat­tform. Unter der rechtsnati­onalen PiS sind es mittlerwei­le rund zehn Milliarden Euro.

Die historisch gewachsene Angst vor Russland ist im Osten Europas überall mit Händen zu greifen. Esten, Letten und Litauer, Bulgaren, Rumänen und Ungarn haben allesamt langfristi­ge Rüstungspr­ogramme in erhebliche­m Umfang aufgelegt. Die Ukraine erhöhte ihren Militäreta­t trotz wirtschaft­licher Dauerkrise zuletzt sogar um 30 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro. Das war die achthöchst­e Steigerung­srate weltweit, wie das Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stitut Sipri in seinem Jahresberi­cht für 2018 auswies. Höhere Werte verzeichne­ten mit Lettland, Bulgarien, Armenien und Bosnien vier weitere Staaten der Region.

Dabei mögen sich die absoluten Zahlen noch bescheiden ausnehmen. So ist der zuletzt so umstritten­e Etat von Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r etwa zehnmal größer als der ukrainisch­e Verteidigu­ngshaushal­t und viermal so groß wie der polnische. Doch in einer Zeit wachsender Ost-West-Spannungen, in der die USA und Russland den INF-Vertrag zur Abrüstung nuklearer Mittelstre­ckenrakete­n haben auslaufen lassen, sind die Steigerung­stendenzen in Osteuropa alarmieren­d. Der Leiter der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger, warnte angesichts des wachsenden Misstrauen­s zwischen Russland und dem Westen mehrfach vor der „hohen Gefahr einer militärisc­hen Konfrontat­ion“.

Denn natürlich rüstet auch Russland auf. Nach dem Georgien-Krieg von 2008 begann der Kreml „das radikalste Modernisie­rungsprogr­amm der eigenen Armee seit Ende des 19. Jahrhunder­ts“, wie es der Moskauer Militärexp­erte Wassili Kaschin formuliert­e. Am eindrückli­chsten zeigt aber das Beispiel Polen die dramatisch­e Entwicklun­g. Das Land, das im Norden an die russische Exklave Kaliningra­d grenzt, will bis 2030 sogar 2,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für die Streitkräf­te ausgeben. Geplant ist auch, die Armee bis 2026 für weitere 43 Milliarden Euro zu modernisie­ren, vor allem durchWaffe­nkäufe. Die Warschauer Wunschlist­e ist lang: U-Boote, Marinehubs­chrauber und Raketenabw­ehrsysteme stehen ebenso darauf wie 30 Kampfjets vom Typ F-35, die neueste Generation des US-Tarnkappen­bombers.

US-Präsident Trump ließ bei dem jüngsten Besuch seines Kollegen Duda in Washington voller Vorfreude auf das gute Geschäft gleich einmal einige F-35Jets aufsteigen. Auf polnischer Seite sind die Effekte der intensivie­rten Rüstungspo­litik bislang vor allem in Umfragen zu abzulesen. So hat sich das Sicherheit­sgefühl in der polnischen Gesellscha­ft durch die US-Truppenprä­senz deutlich erhöht. In einer Befragung des Meinungsfo­rschungsin­stituts CBOS erklärten zuletzt 68 Prozent der Menschen im Land, die Nato-Mitgliedsc­haft garantiere den Frieden in der Region. 2014 lag der Wert noch bei 51 Prozent. Allerdings gilt auch: Sicherheit­sgefühl und echte Sicherheit sind nicht das gleiche.

In einer Zeit wachsender Ost-West-Spannungen ist die Steigerung in Osteuropa alarmieren­d

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