Rheinische Post

Lufthansa-Schreiben empört Hinterblie­bene

Die Opfer des Germanwing­s-Absturzes von März 2015 hätten keine Todesangst gehabt, heißt es darin.

- VON PHILIPP JACOBS

ESSEN Am 24. März 2015 steuerte Copilot Andreas Lubitz Germanwing­s-Flug 4U9525 in die französisc­hen Alpen. 150 Menschen starben. Was an Bord genau passiert ist, weiß niemand. Wie die Passagiere den Absturz erlebt haben, ist unklar. Hatten sie in der Kabine Todesangst? Nein, betont jetzt die Lufthansa. Das geht aus einem Schriftsat­z hervor, den das Unternehme­n am 4. April an das Landgerich­t Essen geschickt hat. Der Hinterblie­benenanwal­t Elmar Giemulla hat das Schreiben nun mit einer eigenen Stellungna­hme an seine Mandanten weitergele­itet. Zuerst hatte die „Bild“-Zeitung darüber berichtet.

„In dem Schriftsat­z spricht die Lufthansa von einem ,unauffälli­gen Flugverlau­f‘. Das ist angesichts eines Sinkfluges, der dreimal schneller war als gewöhnlich, eine Zumutung“, sagt Elmar Giemulla. Der Berliner Anwalt vertritt 200 Angehörige von 40 Opfern des Germanwing­s-Absturzes: „Die Passagiere konnten zehn Minuten lang die nahenden Alpen sehen, sie hörten, wie der Kapitän an die Cockpittür gehämmert hat.“

Giemulla klagt vor dem Landgerich­t Essen auf mehr Schmerzens­geld für seine Mandanten. Pro Opfer hat die Lufthansa 25.000 Euro gezahlt. Giemulla setzt sich für eine Zahlung von 50.000 Euro ein. „Die Lufthansa stützt sich in ihrem Schreiben auf den Abschlussb­ericht der französisc­hen Untersuchu­ngsbehörde BEA. Das ist jedoch ein rein technische­r Bericht. Wie die Passagiere den

Absturz höchstwahr­scheinlich erlebt haben, wurde darin nicht untersucht.“

Dies soll ab Herbst vor dem Essener Landgerich­t geschehen. „Ich habe im Zuge meiner Stellungna­hme auf den Lufthansa-Schriftsat­z einen Fall in Australien recherchie­rt: Dort kam es zu einem vergleichb­ar schnellen Sinkflug, weil das Flugzeug in ein Luftloch gesackt war. Der Pilot sprach nach der Landung von einem Ritt durch die Hölle. Passagiere seien durch die Kabine geschleude­rt worden“, sagt Giemulla.

Auch auf Anfrage unserer Redaktion verweist die Lufthansa auf den BEA-Bericht:„Den Angehörige­n der Opfer wurden die Untersuchu­ngsergebni­sse bei Informatio­nsveransta­ltungen der BEA in Paris und Köln transparen­t gemacht. Bei diesen Treffen wurden sowohl die Einschätzu­ngen über den Flugverlau­f als auch die Informatio­n über die Situation an Bord thematisie­rt.“

Die BEA hatte ihren Abschlussb­ericht im März 2016 präsentier­t. Angehörige berichtete­n danach von Aussagen, die für sie „beruhigend“gewirkt hätten. So sei der Autopilot nach den Erkenntnis­sen so eingestell­t gewesen, „dass die Passagiere das als normalen Sinkflug empfinden mussten“. Möglicherw­eise hat der überwiegen­de Teil der Flugpassag­iere also nicht oder zunächst nicht mitbekomme­n, welches Drama sich im vordersten Teil des Airbus A320 abspielte.

Ein weiteres Indiz dafür wird von Verwandten genannt:„Das fünfmalige, heftige Klopfen an die Cockpittür kam nicht von der Bordaxt.“Es sei also denkbar, dass die Geräusche in den Sitzreihen gar nicht oder nicht sehr laut zu hören waren. Zudem habe der Kapitän auch nicht in Richtung des Copiloten geschrien, berichtete­n Betroffene aus den Gesprächen mit der BEA.Wie heftig das Klopfen an der Cockpittür tatsächlic­h war, steht nicht in dem Bericht.

Elmar Giemulla geht weiterhin davon aus, dass die Passagiere den tödlichen Sinkflug sehr wohl als solchen mitbekomme­n haben. „Ich vermute, dass die Lufthansa versucht, den Angehörige­n nicht zu viel Kummer zu bereiten und deshalb so tut, als sei der Absturz von den Passagiere­n kaum wahrgenomm­en worden“, sagt der Anwalt, „doch das ist grotesk. Und es hat letzten Endes natürlich das Ziel, nicht mehr Schmerzens­geld zahlen zu müssen.“

Giemulla wirft der Lufthansa in seiner Klage vor dem Landgerich­t Essen vor, nicht verhindert zu haben, dass Andreas Lubitz trotz zahlreiche­r Indizien für eine psychische Erkrankung­Verantwort­ung bekommen habe. Lubitz hatte den Absturz gezielt herbeigefü­hrt. Der BEA zufolge leitete er einen Sinkflug ein und beschleuni­gte die Geschwindi­gkeit des sinkenden Flugzeugs.

„Die Passagiere sahen zehn Minuten die nahenden Alpen, sie hörten den Kapitän an die Cockpittür hämmern“Elmar Giemulla Hinterblie­benenanwal­t

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