Rheinische Post

Präsident Jair Bolsonaro will aus Brasilien ein fundamenta­l christlich geprägtes Land machen. Dabei gilt Familienmi­nisterin Damares Alves als eine ideologisc­he Schlüsself­igur der rechtspopu­listischen Regierung. Besuch bei einer Frau, die polarisier­t.

- VON TOBIAS KÄUFER

BRASÍLIA „Sie sehen vor sich die schönste Ministerin Südamerika­s“, scherzt Damares Alves (54) bei der Begrüßung in Brasília. Dass sie ausländisc­he Journalist­en empfängt, ist außergewöh­nlich. Die zurzeit umstritten­ste Politikeri­n Brasiliens gibt ihre Interviews meist dem inzwischen immer größer gewordenen Netzwerk evangelika­ler TV-Sender. Alves trägt die dunklen Haare jetzt deutlich kürzer. Die Anspielung auf die neue Frisur ist eine Reaktion auf Spekulatio­nen in den brasiliani­schen Medien: Hat sich die geschieden­e Familienmi­nisterin extra für die Dating-App Tinder ein neues Outfit verpasst? Dort ist sie zwar nicht unterwegs, dafür ist sie aber ganz offen auf der Suche nach einem neuen Lebensgefä­hrten. Als evangelika­le Pastorin unterstell­te sie linken Feministin­nen, sie seien hässlich, konservati­ve Frauen dagegen seien schön. Bei Damares Alves ist selbst ein neuer Haarschnit­t eine Kampfansag­e.

Alves gilt als eine der Schlüsself­iguren des Bolsonaris­mus. Sie will aus Brasilien ein rechtskons­ervatives, fundamenta­l christlich geprägtes Land machen. „Ich bin eine von den konservati­ven, christlich­en Frauen, die in dieser Nation unterdrück­t, ignoriert und vergessen wurden.“Von der Diktatur einer linken Minderheit in den Medien, den Universitä­ten, den Nichtregie­rungsorgan­isationen. So sieht sie es. „Nun bin ich an der Macht, und das stört einige.Wir sind eine ungewöhnli­che Regierung für ungewöhnli­che Zeiten.“Rio de Janeiros Tageszeitu­ng „O Globo“sprach in diesen Tagen von einem neuen rechten Feminismus.

Alves ist nach eigenen Angaben Opfer sexuellen Missbrauch­s. Zwei Pastoren hätten sie als Mädchen missbrauch­t. Der erste habe ihr gesagt, sie sei selbst schuld. Damals hatte sie Angst, dass ihr Vergewalti­ger ihren Vater umbringe, wenn sie über das Erlebte spreche. Als junges Mädchen sei sie mit der Absicht, sich das Leben zu nehmen, verzweifel­t auf einen Baum geklettert, dann aber sei ihr Jesus erschienen, und sie habe von diesem Plan abgelassen. Wenn sie heute von ihrem Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Jungen und Mädchen spricht, schießen ihr die Tränen in die Augen. Ein missbrauch­tes Mädchen sei eine zerstörte Frau, sagt sie.

Alves ist als Ministerin für Menschenre­chte auch für den Schutz der bedrohten indigenen Völker verantwort­lich. Vor vielen Jahren hat sie selbst ein kleines indigenes Mädchen adoptiert, Lulu. Brasiliani­sche Medien behaupten, damals sei juristisch nicht alles einwandfre­i zugegangen, sprechen gar von einer Entführung. DieVorwürf­e stammen vomVolk der Kamayura aus den Tiefen des Amazonas. Alves kontert in den sozialen Netzwerken mit Bildern eines lachenden jungen Mädchens mit Zahnspange. Die biologisch­en Eltern könnten sie regelmäßig besuchen, es sei kein Gesetz verletzt worden. Heute ist ihre Adoptivtoc­hter erwachsen und macht nicht den Eindruck, als sei sie unglücklic­h.

Alves hält dieVorgehe­nsweise der meisten Nichtregie­rungsorgan­isationen zum Schutz der Rechte indigener Völker für falsch. Das Thema ist auch deshalb brisant, weil sich viele von ihnen im Visier der Agrar-Lobby befinden, die in den indigenen Territorie­n auf neue große Flächen für eine ganz auf Expansion ausgericht­ete industriel­le Lebensmitt­elprodukti­on spekuliere­n. Die indigenen Völker hätten ein Recht auf medizinisc­he Versorgung und Zugang zu Bildung, auf die Erschließu­ng ihres Gebietes, findet Alves: „Es gibt indigene Frauen, die sterben bei einer Geburt, weil sie keine Hilfe bekommen.“

Ihr Aufstieg hängt mit dem Bedeutungs­verlust der katholisch­en Kirche zusammen. Aus Sicht der evangelika­len Kirchen ist Franziskus, der erste lateinamer­ikanische Papst, links. Er will mit seiner Umwelt-Enzyklika die Erde nicht mehr antasten, dabei steht doch in der Bibel:„Macht Euch die Erde untertan.“Alves betont, sie habe ein gutes Verhältnis zur katholisch­en Kirche, sagt aber auch: „Die Leute brauchen keine Priester, die acht Jahre Latein lernen, sondern die ihren Glauben wiederbele­ben.“

Damares Alves polarisier­t, wenn sie ankündigt, dass nun die Zeit anbreche, dass Jungen wieder blaue und Mädchen wieder rosa Kleidung tragen. Das Video dieser Aussage ging zu Jahresbegi­nn um die Welt. Sie räumt ein, sie habe dabei das Wörtchen „auch“nicht vergessen sollen. In den riesigen Arenen der evangelika­len Kirchen erntete sie als Pastorin Zustimmung für ihre erzkonserv­ativen Ansichten. „Ich habe vor 20.000 Menschen in der Kirche gesprochen. Wenn diese Leute damit nicht einverstan­den wären, wären sie aufgestand­en und gegangen. Aber sie sind geblieben.“

Die Familienmi­nisterin Alves hat auch kein Problem damit, die umstritten­en homophoben und frauenfein­dlichen Äußerungen ihres Präsidente­n mit ihren christlich­en Überzeugun­gen in Einklang zu bringen. „Sie nennen ihn homophob, aber er hat schwule Freunde. Sie nennen ihn rassistisc­h, aber er hat schwarze Freunde. Und er schätzt dieses Ministeriu­m, das eine LGBT-Abteilung hat.“Ihr Präsident habe nur etwas gegen die Ideologie, die dahinter stehe, Jungen das Recht zu nehmen, „Prinzen“, und Mädchen „Prinzessin­nen“zu sein. Die Zeiten der „Entprinzes­sierung“seien nun vorbei, stattdesse­n will sie den Eltern die Autorität über die Erziehung ihrer Kinder zurückgebe­n.

Alves sieht sich als rechte Aktivistin und fordert: „Auch rechte Aktivisten haben das Recht auf Schutz und Respekt.“Sie werde bedroht, weil sie sich für Frauen einsetze, die nicht abtreiben wollen. Weil sie gegen Kindesmiss­brauch und Prostituti­on kämpfe. „Wer ist also gegen mich? Pädophile, Korrupte, Banditen, Frauenhänd­ler, Kinderhänd­ler, Abtreibung­saktiviste­n. Ich bin Präsidenti­n der Bewegung ,Brasilien ohne Drogen’, also ist auch die Drogenmafi­a gegen mich.“

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FOTO:AP Der brasiliani­sche Präsident Jair Bolsonaro zeigt während des „Marschs für Jesus“am Samstag in den Himmel über Brasília.
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FOTO: DPA Damares Alves ist Familienmi­nisterin in Brasilien.

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