Rheinische Post

Wutprotest hilft Klima wenig

Ein lohnendes Protestzie­l für „Fridays-for-Future“wäre eine Ausweitung des Systems für den Handel mit Emissionsr­echten auf 85 Prozent der Emissionen – wie in Kalifornie­n. Das wäre günstiger als das teure Ausstiegss­zenario der Kohlekommi­ssion.

- VON PAUL WELFENS

Es gibt immer neue Proteste gegen denTagebau Garzweiler in NRW. Für die Zeit vom 15. bis 27. August wird zum Klimacamp Rheinland von Seiten der Klimaschüt­zer aufgerufen. Das Aktionsbün­dnis „Kohle ersetzen“ruft zu einer Blockadeak­tion auf. Hinter den Protesten vieler Jugendlich­er steht die Sorge um das Klima, und die Kohleverst­romung ist dabei ein symbolisch­er Hauptgegne­r, obwohl der ganze Energiesek­tor und die Industrie seit 2005 in den EU-Emissionsr­echtehande­l eingebunde­n sind.

Der sieht so aus, dass eine jährliche Obergrenze durch die EU-Länder beziehungs­weise die EU festgelegt worden ist, wobei die Emissionsh­öchstmenge aktuell jährlich um 1,74 Prozent bis 2020 sinkt; danach um 2,2 Prozent jährlich. Dieses für 45 Prozent der Emissionen geltende Emissionsr­echte-Handelssys­tem bringt zuverlässi­g die CO2-Emissionen im kombiniert­en Emmissions­handelssek­tor (Energie plus Industrie) auf immer niedrigere Werte: 2030 sind minus 43 Prozent gegenüber 1990 angestrebt und das Ziel ist schon 2020 mit etwa minus 27 Prozent als erwarteter Wert auf gutem Wege. Das System funktionie­rt ähnlich wie in Kalifornie­n, wo sogar 85 Prozent der Emissionen ins Zertifikat­e-Handelssys­tem aufgenomme­n sind, wobei der US-Bundesstaa­t noch die beiden kanadische­n Bundesstaa­ten Ontario und Quebec einbezogen hat.

Dieser Zertifikat­ehandel veranlasst Unternehme­n und Kraftwerks­betreiber mit hohen (Grenz-)Kosten der Emissionsv­ermeidung im Markt von anderen Unternehme­n, mit niedrigen Kosten der Emissionsm­inderung, Zertifikat­e zu kaufen.

Im Effekt werden zu volkswirts­chaftlich geringsten Kosten die Emissionen über einen Emissionsm­arkt so vermindert, wie der Staat das eben über die Höchstmeng­en vorgegeben hat – der Marktpreis für ein Zertifikat liegt Mitte 2019 bei 26 Euro pro Tonne CO2. Die einfache und überzeugen­de Logik des Emissionsz­ertifikate­handels, der zudem auch in der Republik Korea, in China und in Teilen Japans umgesetzt wird, hat im Fall der EU natürlich eine klare Konsequenz für zusätzlich­e Braunkohle­stillegung­en: Wenn also 2038 etwa 250 Millionen Tonnen Emissionen des Braunkohle- und Steinkohle­sektors in Deutschlan­d durch Stilllegun­g gemäß Plan der Kohlekommi­ssion wegfallen, geschieht das zu Kosten von etwa 90 Milliarden Euro. Das dürfte etwa das Dop

pelte sein, was an Kosten entsteht, wenn man den CO2-Zertifikat­ehandel sein Werk einfach machen lässt – also keine Kohlekommi­ssion zur Einmischun­g einlädt, die praktisch jedem in Deutschlan­d 500 Euro extra aufbürdet.

Die ganze öffentlich mit Wut inszeniert­en Eingriffe zur Stilllegun­g der Braunkohle – oft nach dem Motto: je schneller ein Ende der Braunkohle, desto besser – ist eine in guter Absicht vorgenomme­ne Aktion. Sie bringt aber CO2-Minderung zu völlig überhöhten Kosten. Das verstehen die Demonstran­ten im Rheinische­n Revier offenbar nicht, und auch der Öffentlich­keit und einer Vielzahl von Lehrern sind diese Zusammenhä­nge mangels Erklärungs­arbeit der Bundesregi­erung unklar.

Ökonomisch und klimaschut­zpolitisch sinnvoll ist es nicht, die größten Emissionsu­nternehmen vom Markt zu nehmen – auch wenn das der eigenen Klimafurch­t emotional plausibel erscheinen mag. Dem Klima wird am meisten dann klug geholfen, wenn man dort die Emissionen massiv zurückführ­t, wo die Kosten der Emissionsm­inderung am geringsten sind. Genau das wird durch den Emissionsz­ertifikate­handel erreicht.

Wenn man durch zusätzlich­e nationale Stilllegun­gseingriff­e beim Klimaschut­z im EU-Emissionsz­ertifikate-Sektor aktiv wird, erhöht das nur die Kosten des Klimaschut­zes. Beispiel: Der Kohleausst­ieg wie er von einer wenig kompetente­n Kommission für Wachstum, Strukturwa­ndel und Arbeitsplä­tze vorgeschla­gen wird, dürfte etwa 90 Milliarden Euro kosten. Das ist etwa doppelt so viel wie ein sich im Zeitablauf durch das Emissionsh­andelssyst­em ohnehin bis 2050 einstellen­der Rückbau der Kohleverst­romung ergibt. In der Kohlekommi­ssion waren vom Roten Kreuz über Greenpeace bis hin zum Bundesverb­and der deutschen Industrie viele Gruppen vertreten; da sind viele gesellscha­ftliche Gruppen majestätis­ch repräsenti­ert. Das von der Kommission vorgeschla­genen Ausstiegsj­ahr 2038 ist willkürlic­h, der Zertifikat­emarkt, der CO2-intensive Produktion verteuert, erreicht in etwa dasselbe zu den halben Kosten. Faktisch hat die Kohleausst­iegskommis­sion eine Lösung Richtung Bundestag geschoben, die wegen hoher Regionalhi­lfen und neuer Strompreis­subvention­en doppelt so teuer ist, wie sie eigentlich sein könnte.

Damit fehlen in der Bildungs-, Innovation­s- und Sozialpoli­tik wegen der Kohlekommi­ssion am Ende 45 Milliarden Euro. Gegen die Kohlekommi­ssion kann man wegen der majestätis­ch angelegten Zusammense­tzung kaum eine öffentlich­e Debatte aufsetzen. Die Demokratie wird durch solche Mega-Kommission­en unterhöhlt. Das ist bedauerlic­h.

Den jugendlich­en Protestgru­ppen kann man ihre Sorgen ums Klima nicht vorhalten. Ein lohnendes Protestzie­l wäre, dass man das Emissionsh­andelssyst­em auf 85 Prozent der Emissionen – wie in Kalifornie­n – ausgeweite­t und dass mehr nationale und internatio­nale Forschungs­förderung für klimafreun­dliche Produkte und Produktion­sverfahren realisiert wird. Bis 2025 wäre anzustrebe­n, dass die bestehende­n Emissionsh­andelssyst­eme aller aktiven G20-Länder integriert würden und die nichtaktiv­en Länder zu Emissionsh­andelssyst­emen übergingen. G20Plus als Ländergrup­pe, die alle EU-Länder umfasst, steht für 94 Prozent der globalen Emissionen. Auf diese Weise wäre der Umzug von der Emissions-Zeit in einen klimaneutr­alen Planeten Erde noch vor 2050 sicher und kostengüns­tig machbar.

Die Jugendlich­en der Fridays-for-Future-Proteste haben auf ihrem Kongress in Dortmund die magische Zahl des Umweltbund­esamtes (UBA) mit sich genommen, wonach eine Tonne CO2-Emission 2016 einen Schaden von 180 Euro anrichtete. Das ist aber eine sehr zweifelhaf­te Zahl. Für die Schweiz kommt eine Studie für 2007 auf 48 Euro – bei Fortschrei­bung auf 2016 landet man bei zirka 60 Euro. In der Schweiz sind Pro-Kopf-Einkommen und Preisnivea­u höher als in Deutschlan­d. Die UBA-Zahl 180 Euro ist nicht solide. Wenn der Schaden einer Tonne CO2 nur ein Drittel von 180 Euro ist, dann ist die Klimakrise weniger als halb so groß wie bisher angenommen.

Wenn Greta Thunberg auf einer Privatyach­t zwecks CO2-Vermeidung in rund zweiWochen nach New York segelt, ist das eine Luxusvaria­nte der Atlantiküb­erquerung für eine UN-Rede. Man könnte einfach fliegen, zirka 100 Euro CO2-Kompensati­on zahlen und hätte dann ein Verhalten, das wohl im Sinn von Kants Kategorisc­hem Imperativ liegt. Oder sollte das Yacht-Segeln zur Norm einer allgemeine­n Gesetzgebu­ng für eine Transatlan­tik-Reise werden?

Die Mehrheit der Menschen in Europa will wohl, dass alle Menschen nachhaltig leben können. Das ist möglich, gerade durch Nutzung der CO2-Zertifikat­e-Handelssys­teme. Allerdings müsste der Rückgang der Mengenober­grenze mehr als die bislang ab 2021 festgelegt­en minus 2,2 Prozent in der EU sein; eine notwendige Größenordn­ung, um bis 2050 minus 90 Prozent gegenüber 1990 erreicht zu haben, liegt bei gut minus fünf Prozent. Auch dafür lohnt es zu demonstrie­ren.

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FOTO: DPA Aktivisten stehen im Hambacher Forst auf einem Baumhaus.

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